Dienstag, 05.11.2024 / 17:17 Uhr

Spiegelbild einer gespaltenen Gesellschaft: Der neue israelische Haushalt

 

Das israelische Kabinett unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am vergangenen Donnerstag einen Entwurf für den Haushalt 2025 verabschiedet, der zur Finanzierung des Krieges die bislang größten Ausgabenkürzungen und Steuererhöhungen vorsieht, die das Land je erlebt hat. Der anhaltende Krieg ist bereits der längste und teuerste, den Israel jemals geführt hat, und ein Ende ist nicht in Sicht. Somit werden sich die geplanten Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen wahrscheinlich noch verschärfen, bevor die Knesset den Haushalt in drei Monaten endgültig verabschiedet.

 

Zu den beschlossenen Maßnahmen gehören ein Einfrieren der Löhne im öffentlichen Dienst sowie Kürzungen bei den Sozialleistungen für Ältere, Menschen mit Behinderung und Shoa-Überlebende. Selbst verwundete Soldaten und die Familien gefallener Soldaten bleiben davon nicht verschont. Da die Verbraucherpreise jährlich um fast vier Prozent steigen, müssen die Israelis künftig höhere Steuern zahlen: Die Mehrwertsteuer wird angehoben, und Beschäftigte in der untersten Einkommensklasse werden eine Einkommensteuererhöhung von zehn auf vierzehn Prozent hinnehmen müssen, während der reale Wert der Sozialleistungen weiter sinkt.

 

Die bequeme Lastenverteilung

 

Israels neuer Haushaltsplan für 2025 ist ein düsteres Zeugnis der Prioritäten des Landes. Angesichts der enormen Kosten des anhaltenden Krieges hat die Regierung drastische Kürzungen im öffentlichen Sektor und umfassende Steuererhöhungen angekündigt. Besonders die Budgets für Bildung, Soziales und den öffentlichen Nahverkehr werden stark beschnitten – und das in einer Gesellschaft, die ohnehin mit wachsender Ungleichheit zu kämpfen hat. Gleichzeitig steigen die Verteidigungsausgaben, und die Lebenshaltungskosten klettern in die Höhe.

 

Doch nicht alle Bürger sind gleichermaßen betroffen. Die ultraorthodoxe Gemeinschaft, die traditionell enge Verbündete der aktuellen Regierung ist, bleibt weitgehend von den militärischen und wirtschaftlichen Belastungen verschont.  Unterstützt durch politische Ausnahmegesetze und privilegierte Subventionen zeigt sich die ultraorthodoxe Gemeinde unbeeindruckt von den Anforderungen, die der Krieg dem Rest der Bevölkerung abverlangt. Die Ultraorthodoxen stellen etwa 13 Prozent der zehn Millionen Einwohner Israels, und ihre Zahl wächst angesichts der hohen Geburtenraten rapide.

 

Netanjahu braucht die Vereinigte Thora-Partei (UTJ), ein ultraorthodoxes, religiös-konservatives Bündnis, das die Interessen der aschkenasischen Haredim vertritt, sowie ihre Schwesterpartei Shas, die vor allem die Interessen sephardischer und mizrahischer ultraorthodoxer Juden vertritt. Zusammen halten die beiden Parteien 18 der 120 Sitze in der Knesset – eine Machtbasis, die Netanjahus Koalition sichern soll .

 

Wehrdienst als „gerechte“ Pflicht?

 

Tausende junge Männer aus der ultraorthodoxen Gemeinde bleiben weiterhin von der Wehrpflicht befreit. Zwar hat der Oberste Gerichtshof Israels das Gesetz zur militärischen Ausnahme für Jeschiwa-Studenten gekippt, doch die ultraorthodoxen Parteien setzen auf die schützende Hand ihrer politischen Verbündeten. Drohungen und Ultimaten werden laut, wenn es um die Verlängerung des Ausnahmegesetzes geht. Der Verteidigungsminister betont die wachsende Notwendigkeit, mehr Soldaten in den Kampf zu schicken, doch die ultraorthodoxen Parteien weichen diesen Forderungen beharrlich aus . Während Reservisten unter enormen Belastungen an der Front kämpfen, bleiben viele Haredim weiterhin durch bürokratische Tricks und politische Taktiken vom Dienst verschont.

 

Diese Haltung stellt nicht nur eine moralische Frage dar, sondern auch eine politische und soziale. Der Dienst in der Armee gilt in Israel als Beitrag zum nationalen Zusammenhalt. Doch diese Tradition wird zunehmend ausgehöhlt, da eine wachsende Bevölkerungsgruppe davon befreit wird. Für viele Israelis entsteht der Eindruck, dass sich die Haredim nicht nur dem militärischen Dienst entziehen, sondern auch grundlegenden Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft.

 

Subventionierte „Arbeitslosigkeit“: Ein Luxus in Kriegszeiten?

 

Besonders brisant ist der Vorschlag, ultraorthodoxen Familien, die dem Militärdienst entgehen, finanzielle Hilfen für Kindertagesstätten zu gewähren – zu einem Zeitpunkt, da Sozial- und Bildungsausgaben für den Rest der Bevölkerung drastisch gekürzt werden. Die geplanten Subventionen belaufen sich auf 54 Millionen Dollar jährlich und werden allein auf der Erwerbstätigkeit der Mutter basieren, während die wirtschaftliche Inaktivität der Väter ignoriert wird. Dieser Zuschuss stellt nicht nur eine finanzielle Belastung dar, sondern zementiert eine Arbeitsverweigerungskultur innerhalb der ultraorthodoxen Gemeinschaft, die für das Land teuer wird. In einer Wirtschaft, die dringend jede Arbeitskraft braucht, droht diese Regelung, eine ohnehin fragile Sozialstruktur weiter zu destabilisieren.

 

Kurzsichtigkeit in Zeiten des Krieges

 

Die Prioritätensetzung der Regierung, insbesondere die Einflussnahme der ultraorthodoxen Parteien, ist ein gefährlicher Weg, der Israel politisch und sozial untergräbt. Während der Krieg hohe Opfer fordert und der Bedarf an Soldaten stetig wächst, sendet die Politik ein fatales Signal an die säkulare Bevölkerung. Sie steht zunehmend allein für die Kriegs- und Haushaltskosten ein, während die ultraorthodoxe Gemeinde ihre Sonderstellung weiter festigt.  Das politische Kalkül hinter dieser bevorzugten Behandlung beruht auf einer kurzsichtigen Logik: Die Regierung hofft, die Haredi-Gemeinschaft bei Laune zu halten, um die Koalition zu sichern und politische Krisen zu vermeiden. Doch das Risiko, das sich aus dieser Strategie ergibt, ist kaum zu unterschätzen.

 

Ein Land am Rande der Spaltung

 

Der neue Haushalt wird die Gräben zwischen den verschiedenen Bevölkerungsschichten weiter vertiefen. Für die säkularen Israelis, die zunehmend die Last der Verteidigung und die finanziellen Opfer tragen, wächst die Frustration über eine privilegierte Minderheit, die nicht nur ihren Beitrag zum Land verweigert, sondern auch die politische Macht nutzt, um ihre Sonderrechte zu sichern. Die Regierung wird hier zur Schachfigur einer Gemeinschaft, die sich nur dann mit dem Staat identifiziert, wenn dieser ihre Forderungen erfüllt.

 

In den kommenden Jahren drohen nicht nur hohe Steuern und eine weitere Verschärfung der sozialen Ungleichheit, sondern auch eine zunehmende gesellschaftliche Spaltung. Während die Lasten des Krieges auf den Schultern der wenigen liegen, die sich verpflichtet fühlen, ihre Pflicht zu erfüllen, bleibt eine wachsende Bevölkerungsgruppe davon verschont – und damit auch jede Hoffnung auf eine gerechtere, geeinte Gesellschaft. Israels Weg in die Zukunft wird ein Weg der Widersprüche sein.