Samstag, 14.12.2024 / 10:42 Uhr

Bärte und Minderheiten

In Lattakia nehmen an einer Demonstration zur Feier des Endes von Assad demonstrativ Vertreter aller religiösen Gruppen teil, Bildquelle: X (Vormals Twitter)

Kürzlich las ich in der Times of Oman einen interessanten Leitartikel.

Der argumentierte, dass Oman ein ideales politisches System habe und gut gerüstet für das 21. Jahrhundert sei, in dem sich ja auch überall im Westen zeigen würde, dass auf Volkssouveränität basierende Demokratien sich als Irrweg herausgestellt hätten, warum überall nun starke Führer gewählt würden und in Umfragen Demokratie immer weniger Zustimmung fände.

Im Oman dagegen habe man ein auf dem Koran basierendes Sultanat, in dem wein weiser Mensch dem Land vorstehe, es aber auch eine Fülle von Konsultationen gäbe, mittels derer seine Untertanen auf politische Prozesse Einfluss nehmen könnten. Außerdem seien Grundrechte gesichert und man respektiere andere Religionen. Oman sei also bestens für die Zukunft gerüstet, prosperiere und zeige, wie Länder jenseits dieser sterbenden Demokratien funktionieren könnten.

An diesen Leitartikel musste ich angesichts der Ankündigungen von HTS und Entwicklungen in Syrien denken. Mir scheint, so etwas in die Richtung - nur nicht als Monarchie - schwebt den Bärten da vor.

Und das ganze Gerede über religiöse und andere Minderheiten spielt dem - Ironie der Geschichte - in die Hände. Was sie nämlich gar nicht mögen, ist Gerede von freien und gleichen Staatsbürgern, einer republikanischen Verfassung, vor der alle als abstrakte juristische Subjekte gleich sind, von Volkssouveränität und Religion als Privatsache.

Schutz religiöser Minderheiten (und deren konfessionelle Selbstverwaltung) war im osmanischen Reich Grundlage von Herrschaft und existierte in der islamischen Welt viel umfassender als im vormodernen christlichen Abendland. Auf diese Tradition können islamische Denker und Politiker sich eben so gut berufen wie auf die von blutigem Jihad gegen Andersgläubige. (Erdogan zum Beispiel tut dies gerne im Rahmen seiner Islamisierung- und Osmanisierungpolitik der Türkei).

Nicht zu vergessen: Die religiösen oder sonstigen Führer dieser "Minderheiten", die dann quasi automatisch als legitime Chefs angesehen werden, sind in den meisten Fällen auch eher reaktionäre Knochen, die nicht etwa, weil sie "Minderheit" sind auch Fürsprecher von Emanzipation und Liberalität sind. Sie können im Gegenteil mit solchen Arrangements ganz gut leben - eben nur in der Angst, dass irgendwann irgendwelche anderen Bärte irgendwann mal wieder ein paar andere Koransuren über Ungläubige für wichtiger als die über Toleranz und Verständnis halten. Aber sie wissen auch, dass in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, es in der Region sich selbst säkular nennende Bewegungen und Regierungen waren, die die übelsten Vertreibungen und Morde an Christen und Juden organisiert und durchgeführt haben.

Schutz von Minderheiten heißt nämlich keineswegs Demokratisierung, clevere Apologeten der islamisch legitimierten Herrschaftsformen am Golf haben das, der Artikel in der Times of Oman, haben das inzwischen perfekt verstanden.

Es spricht also Bände, wenn in Europa nun dauernd nur Schutz und Respekt von Minderheiten in Syrien gefordert wird, nicht aber Demokratisierung.

Und by the way: Dieses Gerede über Minderheiten ist immer ein zweischneidiges Schwert, denn in einer demokratischen Republik sollte es die gar nicht geben, sondern nur gleichberechtigte Staatsbürger. Wo Menschen frei und vor dem Gesetz gleich sind, also Bürgerrechte gelten, braucht es keine Minderheitenrechten, außer im Bereich von Kultur und Bildung.

Das Reden über Minderheiten ist immer problematisch, zur Zeit ist es zudem nichts, was islamisch legitimierte Herrschaft, die etwas anderes sein will als Halsabschneiderregimes à la IS, jetzt sonderlich in Frage stellen würde.

Ich fürchte eher das Gegenteil: Der Deal läuft in etwas auf so etwas heraus: Liebe HTS-Bärte, wenn ihr mit Rückgriff auf frühere Zeit, religiöse Minderheiten in Ruhe und ihren Kram machen lasst dann hören wir auf, Euch mit Themen wie Demokratie und individueller Freiheit auf die Nerven zu gehen. Denn wir alle sehen ja, wie wunderbar der so genannte Westen mit den Emiraten, Bahrain und dem Oman klarkommt (die halten uns schließlich auch ökonomisch ein bisschen über Wasser) und neuerdings sogar Saudi Arabien.

Vielleicht hat lieber HTS, der Kommentator aus dem Times of Oman auch ganz Recht, und die Zeit demokratischer Republiken und Citoyenneté läuft eh aber und wir können am Ende von Euch noch was über Herrschaft im 21. Jahrhundert lernen.

Denn, um es noch einmal zu sagen, die Frontlinien laufen nicht durch Kulturen oder Religionen, sondern sind weiter die zwischen Freiheit und Unfreiheit. Und im Lager der Unfreiheit basteln sich islamisch legitimierende Herrscher gerade an einem ziemlichen Uplifting.