Ça ira in Syrien
Assad ist Geschichte!
Die letzten Tage waren keine, die man am Blog, sondern schlaflos vor Twitter verbringt. Ein paar Kommentare zu den Ereignissen in Damaskus habe ich heute morgen derweil in aller Schnelle auf FB geschrieben und möchte sie hier teilen.
Ça ira: Verhältnisse und Menschen zum Tanzen bringen
Das just for the record: Was man die letzten 48 Stunden in und um Damaskus - nicht vorher in Aleppo und Hama, da waren es bewaffnete und trainierte Milizen - miterleben konnte, war eine genuine Revolution, in der im gute alten Sinne eine Bevölkerung, die schlicht die Nase aber so etwas von gestrichen voll hatte, ein Regime gestürzt hat, das so derart unbeliebt und fertig war, dass einem die Worte fehlen, es zu beschreiben.
(Bild: Selbst in Lattakia, frühere Hochburg des Regimes wird Assads Sturz gefeiert)
Genau so sieht Revolution aus, was danach kommt ist eine andere Frage. Nur: Wer je eine (mit)gemacht hat, die so genuin gewesen ist, pflegt in Erinnerung zu behalten, dass man Mächtige stürzen, an Laternen hängen oder außer Landes jagen kann und dass am Ende denen dann auch keine Panzer, Armeen, Geheimdienste und all der Pomp, den Staat nun mal ausmacht, irgendwie helfen.
Und der Witz bei alldem: Es kam wirklich diesmal keinen einzigen regionalen oder internationalen Akteur, der wollte, dass Assad einfach zum Teufel gejagt wird.
Und wenn Mächtige zusehen müssen, wie andere Mächtige einfach so in ein paar Tagen gestürzt werden, pflegen sie nie begeistert zu sein, denn im Kern wird da einfach gezeigt, dass, wenn "the people" nur entschlossen genug sind, man sowas überall machen kann und niemand irgendwo so ganz sicher in seinem Präsidentenpalast oder seiner Herrschervilla sitzt.
Und so sollte man nun auch Reaktionen bewerten: Denn so einige Knochen zittern gerade auf der Welt angesichts der gestrigen Bilder. Und dann gibt es die, deren Knochen nicht zitterten, sondern die denen, die da gestern Statuen stürzten und Knasttüren öffneten ebenso zittrig die Daumen drückten und gerne dabei gewesen wären als Zeugen, wie eine der miesesten und übelsten Diktaturen unserer Zeit einfach so in Geschichte verwandelt wurde.
Kirchenglocken und Adventssingen
Am zweiten Advent feiern Christen vor Weihnachtsbaum mit Kirchengeläut in einem Vorort von Damaskus den Sturz Assads.
Und dieses Kirchengeläut ist auch der Klang mit dem eine der ekelhaftesten Ideologien der vergangenen Jahrzehnte zu Grabe getragen wird: Ba'athismus. Was 2003 mit dem Sturz Saddam begann findet nun endlich sein lange verdientes Ende.
Der Spruch, dass alle Syrer Eins seien wird übrigens gerade überall im Land skandiert.
"In the city of Sahnaya, located in the countryside of Damascus, Syrian #Christians are celebrating the fall of Bashar al-Assad. They are chanting, {One, one, one — the Syrian people are one.}"
Eigentlich mag ich mir jetzt keine deutschen Medienkommentare reinziehen aber eines nervt mich gerade doch:
Nein! Es waren keine Jihadisten, die Damaskus befreit haben. Es waren noch nicht mal islamistische Milizen der HTS.
Es waren ein paar schlecht bewaffnete Rebellen und vor allem als DER ganz große Akteur die Bevölkerung von Damaskus und seinem Umland, darunter Drusen, Christen, sogar Alawiten, die Assad nicht mochten und ganz viele Leute, die sich einen Dreck interessiert haben dafür, was sie eigentlich sein sollen nach in Europa so unglaublich geliebten religiös-ethnologischer Definition, die einfach als Syrerinnen und Syrer, ja schlicht als Menschen, die Chance genutzt haben, einen widerwärtigen und verhassten Diktator zu stürzen.
Und etwas Lokalkolorit dazu: Damaszener blicken meist ein wenig auf Menschen aus Aleppo und dem Norden herab, die sind ihnen zu traditionell und islamisch. Seit je her. Niemals hätten sie es akzeptiert, dass ihre Stadt von Bärten aus dem Norden befreit wird. Das mussten sie selbst tun.
Und es ist nur eine Vermutung aber da die HTS-Leute nun mal auch Syrer sind und mehrheitlich aus dem Norden des Landes, wussten sie das und sind mehr oder weniger vor Homs stehen geblieben, damit die in und um Damaskus sich selbst befreien können.
In Rojava existierten bis vorgestern Enklaven des syrischen Regimes in Qamishli und Hasseke, weil diese Teile Rojava unter einer Art Doppelverwaltung standen. (Letztes Jahre musste auch ich noch dort an diesen ekelhaften Statuen vorbeilaufen.)
Nach Abzug der syrischen Offiziellen tun die Menschen in Qamishli - auch einem wunderbaren Ort in Syrern - was Syrer gerade landesweit tun und stürzen das Teil.
Apropos Qamishli: Man sollte auch daran erinnern, dass es hier schon 2004, auch motiviert von den Ereignissen im Irak, einen Massenaufstand gegen Assad gab, der damals blutig niedergeschlagen wurde.
Leert die Knäste
Derweil werden überall im Land die Foltergefängnisse des Regimes befreit und es spielen sich unglaubliche Szenen ab: