Syriens "pro-russische" Fake-Opposition und ein Autor der Neuen Zürcher Zeitung
2015 erfand der Kreml sehr erfolgreich eine "pro-russische Opposition" in Gestalt von Randa Kassis, die dann zusammen mit dem NZZ-Autoren Kacem El Ghazzali einen fragwürdigen Think Tank leitete.
Ich bin mir seit langem nicht ganz sicher, ob Kacem El Ghazzali, der regelmäßig für die NZZ schreibt, wirklich so ein glaubhafter Experte ist, wenn es um syrische Oppositionelle geht.
Denn entweder saß er 2015/2016 aus gutem Glauben einem aus Russland gesteuerten Fake auf oder er wusste Bescheid. In beiden Fällen wäre das zumindest zu problematisieren.
Zur Vorgeschichte, die ich zusammen mit Kolleginnen und Kollegen 2020 recht detailliert recherchiert hatte, sie aber, um beteiligte Syrer zu schützen, bislang nur intern verwendet und nicht veröffentlicht habe:
Nach seinem massiven und brutalem Eingreifen in Syrien 2015 wollte der Kreml auch auf den so genannten Friedensprozess, der unter UN-Ägide in Genf stattfand, Einfluss nehmen. Dafür brauchte er so etwas wie eine Opposition. Also baute man eine bis dahin weitgehend unbekannte christliche Dame aus Damaskus namens Randa Kassis systematisch zur Sprecherin einer solchen, de facto natürlich inexistenten, Opposition auf.
Denn es ging dem Kreml darum, diese Verhandlungen von Genf nach Astana zu transferieren, was unter anderem dank der Erfindung dieser pro-russischen Opposition auch gelang. Ja, mehr noch, Randa Kassis war seitdem sogar die Leiterin des Ganzen.
(Bild: Randa Kassis, Fabian Baussart und russische Delegation in Astana 2018, Bildquelle: Wikimedia Commons)
Schon damals erklären authentische syrische Oppositionelle, dass sie nichts als eine Erfindung des Kremls, unterstützt von ihrem “persönlichen Freund”, dem russischen Außenminister Lawrow, sei:
Bassam Barabandi, a former Syrian diplomat who defected and is now a Washington-based dissident said that Kassis’s organisation does not have widespread support. “It is really her and a group of her friends,” he said. “No one else in Syria recognises her as an opposition except the regime.” (..)
“She is a good friend of Lavrov, and he invited her and several others to Moscow and they created what is known – with a certain irony – as the ‘Moscow opposition’,”Bahout said. “The Russians in their cynicism tried to impose these people as an opposition delegation to the peace talks in Geneva. But of course the rest of the opposition all objected.”
Kassis punktete, indem sie ständig vor Islamisten warnte und in etwa genau das erzählte, was man in Europa hören wollte. Sie wurde damals sogar auch vom Spiegel und anderen Zeitungen interviewt.
Zugleich machte sie nie ein Hehl daraus, was sie von Russland hielt in Zeiten, als die russische Luftwaffe gezielt Krankenhäuser und zivile Einrichtungen in Syrien bombardierte. So erklärte sie Ende 2016:
“Russia intervened to save the country, for the sake of Syria,” Kassis said on the al-Jazeera programme on Tuesday. “The problem is that you don’t know the Russians, you don’t understand the Russians … you just accuse the Russians of being against the opposition but you need to understand them.”
2018 veröffentlichte sie auch ein Buch voller Lob für den Kreml: “La Syrie Et Le Retour De La Russie : De La Guerre Aux Accords De Sotchi”. und auf Facebook hat sie über eine Million Follower.
Aber ihr fehlte die Geschichte und Legitimität, um auch im Westen anzukommen. Und nur darum ging es, denn syrische Oppositionelle wussten, dass sie ein russisches Projekt war. Also begannen jene nur allzu bekannten Trolle in St. Petersburg, ihr digital eine neue Geschichte zu verschaffen. Man erfand eine Fake-NGO namens Infinitum Limites, die sowohl in Nordsyrien, als auch auf Lesbos, eine extrem dubiose Rolle spielte, eine angeblich islamkritische Satirezeitung, die früher in Damaskus erschienen sei, die aber real nie existierte, und ein obskurer, der extrem rechten in Frankreich nahestehender Autor, Alexandre de Valle (er wird uns später noch einmal begegnen) half ihr, ein Buch über die Lage in Syrien zu verfassen.
Ein eigener Think Tank
Außerdem kreierte man in St. Petersburg oder Moskau einen “säkularen Think Tank” namens ADHOC. Einige dieser Organisationen - ganz sicher ihre NGO - waren anfangs in North Finchley nahe London registriert, und zwar: 2 Woodberry Grove.
Da steht ein kleines einstöckiges Gebäude, das jahrelang als Adresse für tausende von Briefkastenfirmen aus Russland und anderen Ländern des ehemaligen Ostblocks fungierte. Die Adresse geriet bereits in den Fokus von Journalisten, die andere Skandale recherchierten, bei denen es um Milliarden von russischem Geld ging, so etwa auch den Skandal um Trump-Buddy Paul Manafort.
Und wer saß im Vorstand von ADHOC, dessen Vorsitzende von Tag eins Randa Kassis war? Richtig: Kacem El Ghazzali, der bis heute auf seiner FB Seite Konferenzen, die dieser Fake Think Tank durchgeführt hat, bewirbt.
(Gelöschte Seite von ADHOC, Bildquelle: Wayback Machine)
Inzwischen hat St. Petersburg versucht, alle nur möglichen Spuren zu verwischen, die Webseiten von damals sind ebenso wie die Accounts auf Social Media gelöscht, aber das britische Vereinsregister vergisst nicht. Da findet man ADHOC noch immer, als aufgelöst und mit inzwischen einer neuen Adresse.
Treffen mit Trump Jr. in Paris
Schon damals hätte man sehr gut wissen können, wer Randa Kassis ist, denn es gab schließlich 2016 einen kleinen Skandal um sie, der es sogar in die Weltmedien schaffte.
Da traf sie sich nämlich in Paris mit dem Sohn von Donald Trump, um vor dessen erster Präsidentschaft Möglichkeiten einer neuen Zusammenarbeit mit Moskau und Damaskus auszuloten. Organisiert wurde dieses Treffen durch einen anderen russischen Fake Think Tank namens “Center of Political and Foreign Affairs”, der von einem französischen Geschäftsmann und Lebenspartner von Randa Kassis auf Payroll des Kreml namens Fabian Baussart begleitet wurde. (Als Beirat fungieren Randa Kassis Cousin Chafik Kassis und ihre Tocher Kelly Kassis, die unter ihrem Zweitnamen Kelly Al-Khouly auch in dubioser Funktion unterwegs war.)
Über Baussart schrieb die Los Angeles Times damals:
Baussart, a lawyer by training, has worked with Russian oligarchs and with senior officials from former Soviet republics, according to a former associate who has known him since the 1990s and asked not to be identified.
His Paris-based think tank, the Center of Political and Foreign Affairs, has no address or phone number on its website or in the phone listings. Under French law, it is not required to disclose who funds it.
(Bild: Trump Jr. und Randa Kassis in Paris, Bildquelle: Wikimedia Commons, Guardian)
Laut Informationen von Le Monde war Baussart in unterschiedliche obskure Geschäfte mit Russen und Ukrainern verwickeln, während Trump Junior sich “aurait été payé « au minimum 50 000 dollars » (46 000 euros) pour son apparition” für sein Treffen mit Kassis zahlen ließ.
Das also ist die syrische Oppositionelle, mit der Kacem El Ghazzali zusammen im Vorstand eines Think Tanks saß und mit der er mehrfach auftrat, um diesem mit seiner syrischen Agenda zu helfen.
Ich habe El Ghazzalis Beiträge und Interventionen immer geschätzt und gehe deshalb davon aus, dass er sich eher instrumentalisieren ließ und es ihn vielleicht auch reizte, als Boardmember eines vermeintlich international aktiven arabischen Think Tanks in Erscheinung zu treten.
Ebenso glaube ich kaum, dass andere Teilnehmer dieser Konferenz wie der syrische Poet Adonis oder die Frau des in Saudi Arabien inhaftierten Bloggers Raif Badawi wussten, wer hinter ADHOC steht.
Aber als Journalist, der sich auch noch als Kenner Syriens präsentiert, hätte er in diesem Falle sich ein wenig informieren müssen, wer Randa Kassis eigentlich war und ist. Denn ich nehme nicht an, dass El Ghazzali, als er damals ADHOC beitrat, über all diese Hintergründe wusste.
(Bild: ADHOC Konferenz im Mai 2016, Bildquelle: FB-Seite von Kacem El Ghazzali)
In jedem Fall - und damit kehren wir zum Anfang zurück - scheint es mir etwas unangebracht, wenn er jetzt erneut syrische Oppositionelle ins Spiel bringt, die vor Islamisten warnen. Denn genau darin bestand die Agenda von Randa Kassis, und viel zu viele glaubten all das ganz genuin.
Nicht, dass nicht unzählige prominente und wirkliche Oppositionelle sich auch um die Zukunft ihres Landes sorgen. Ihnen soll und muss man Platz für ihre Stimme geben.
Zugleich beginnt erst der Prozess der Aufarbeitung darüber, wie und wo der Kreml überall seine Finger im Spiel hatte, und es wird noch so einiges in nächster Zeit das Licht der Öffentlichkeit sehen.
(Damals hat unter sich anderem Shirin Tinnesand an der Recherche über diese Moskau Connection beteiligt.)