Dienstag, 21.01.2025 / 21:06 Uhr

Notizen aus Damaskus (IV) - Ein Tag in Suwaida

Suwaida liegt ca. 100 km südlich von Damaskus an der jordanischen Grenze und ist Hauptstadt der gleichnamigen, mehrheitlich von Drusen bewohnten Provinz.

 

Montag, 20. Januar: Mit dem Minibus legen wir die 100 Kilometer nach Suwaida zurück, einer über 1000 Meter hoch gelegenen Stadt mit etwa 70000 überwiegend drusischen Bewohnern.

Am Freedom Square, einem großen Podest, parken wir. Eine große Aufschrift an der Überdachung verkündet: „Peace to all Syrians – 2023 Freedom 2024“. Die Stadt ist für ihre Proteste bekannt. In jüngster Zeit, im August 2023, gingen Tausende hier auf die Straße, um gegen die Verschlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse zu protestieren und Bashar al-Assads Rücktritt zu fordern.

Dann zogen die syrischen Sicherheitskräfte weitgehend ab.

 

Unser Fahrer M., ein drahtiger Typ mit Dreitagebart, zeigt mir, was auf dem Platz ausgestellt ist. Ein großes Porträtbild eines jungen Manns in Uniform. „Er hat sich geweigert, 2011 auf Demonstranten zu schießen“, sagt M. Im Jahr darauf sei er getötet worden. Daneben ein großes Plakat mit den Protagonistinnen der oppositionellen Frauenbewegung. Auf dem Platz steht ein leeres Podest. „Hier war einst eine Statue von Hafez al-Assad“, sagt M. 

 

Drei Männer fragen M., wo ich herkomme, und verwickeln uns in ein politisches Gespräch. Sie sind glücklich, dass Assads Herrschaft beendet ist. M. verweist auf die Einschusslöcher in den Geschäften an der Straße. „Von dort haben die Assadisten auf uns geschossen“, sagt er und zeigt auf das große Polizeihauptquartier mit einer Riesenantenne auf dem Dach etwa 100 Meter jenseits des Platzes. Ein Beschäftigter kramt auf seinem Handy vergeblich nach den Bildern, die das kaputte Schaufenster zeigen. „Viermal ist es zerschossen worden“, sagt er. Auf dem Platz diskutieren über zehn Leute munter mit uns über den Sturz Assads, Bürgerrechte und Demokratisierung, danach singen sie ein Revolutionslied und klatschen dazu.

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Ein lokales Komitee hat eine Frau zur Gouverneurin designiert. In dunkelblauer Hose und  Jackett mit schicker weißer Seidenbluse empfängt sie uns in ihrer Wohnung und bewirtet uns. Sie habe zuvor im Finanzministerium gearbeitet, sagt sie. Doch ihre Ernennung zur Gouverneurin durch die Interimsregierung in Damaskus steht seit einem Monat aus. Sie will den Zuständigen noch zwei Tage geben, dann ziehe sie sich zurück. Darauf entspinnt sich eine Diskussion über lokale Selbstbestimmung statt Separatismus, Citizenship statt islamischem Staat und die Zukunft Syriens.

Kopftücher sieht man kaum in der Stadt, eine Ausnahme bilden vor allem ältere religiöse Drusinnen. Dafür mangelt es nicht an Läden, die Alk verkaufen: Bier, Wein, Whiskey, Wodka, Arak. Der al-Rayan-Fabrik in Suwaida, die einen der bekanntesten Araks Syriens produziert, wurde der Verkauf des Arak erst von irgend einem Offiziellen des HTS offenbar verboten. Daraufhin hagelte es Proteste, vor allem auch der Bauern, die die Fabrik beliefern. Kurze Zeit später, so berichtet uns ein lokaler Aktivist, habe die Führung des HTS die Entscheidung annulliert.

Es beginnt zu dunkeln, schnell mit einem Taxi zurück nach Damaskus. Der Taxifahrer, ein sympathischer Druse vielleicht Mitte vierzig, redet wie ein Wasserfall: Weil er nicht der Baath-Partei beitreten wollte, habe er 2013 seinen guten Arbeitsplatz verloren.  2021 habe er über die Türkei nach Europa flüchten wollen, sei aber von der türkischen Polizei aufgegriffen und nach Idlib abgeschoben worden. Dort habe ihn HTS drei Monate eingesperrt; deren Knäste seien ebenso schlimm wie die Assads. Dass Israel die Hizbollah geschwächt hat, findet er prima. Nun hoffe er auf eine demokratische Zukunft Syriens. Und wünsche sich eine Union der Staaten der Levante – Syrien, Libanon, Jordanien, Palästina und Israel –, mit offenen Grenzen wie die EU.