Die Hände reichen, um auf dem Azadi Platz zu tanzen

Bildquelle: X (vormals Twitter)
In den vergangenen Tagen sind in diesem wunderbaren Blog Texte von Kazem Moussavi erschienen. An dieser Stelle folgt eine kleine Replik darauf.
Vorab: Kazem und ich sind befreundet, wir kennen uns seit vielen Jahren und haben an vielen politischen Aktionen gegen die Islamische Republik teilgenommen, manche davon auch gemeinsam organisiert. Teilweise waren außer uns beiden noch ein paar Tauben anwesend, die zustimmend zu unseren politischen Forderungen gurrten. Mit diesem Scherz haben Kazem und ich in der Vergangenheit unseren Missmut zum Ausdruck gebracht, dass damals vergleichsweise so wenige Iraner*innen sich an politischen Aktionen beteiligt haben.
Heute herrscht eine andere Situation in der iranischen Diaspora. Sehr viel mehr Menschen beteiligen sich an Aktivitäten gegen das Mullah-Regime. In Lesungen, Talkrunden und Filmvorführungen machen queere Gruppierungen auf die systematische Benachteiligung von LGBTIQ*-Personen durch die Islamische Republik aufmerksam, Kommunisten und Widerstandsgruppen organisieren Mahnwachen gegen die Todesstrafe vor der Botschaft der Islamischen Republik, Royalisten halten Mahnwachen vor dem Auswärtigen Amt. Die organisierenden Kreise sind genauso divers wie die Veranstaltungsformate.
Politische Gräben überwinden
Es gibt sogar Gesangsgruppen, in denen iranische Popsongs und Lieder aus dem Widerstand der vergangenen Jahrzehnte gemeinsam gesungen werden. Kazem und ich haben vor einigen Wochen an einer solchen Veranstaltung teilgenommen, haben aus vollem Herzen mitgesungen und, wie sollte es unter Iranern auch anders sein, gemeinsam Tränen vergossen. Diese Momente, in denen die reinigende Wirkung von Tränen politische Gräben überwindet und der gemeinsame Wunsch nach Freiheit und Demokratie alles überragt, sind so wohltuend. Und sie sind verhältnismäßig neu in der iranischen Diaspora.
Es sind Signale von gegenseitigem Respekt, die Mut machen. Völlig egal, wer du bist und was deine politischen Vorlieben sind, heute stehen wir zusammen gegen den Feind, gegen die Islamische Republik. Es ist auch ein Zeichen der politischen Reife, das Exil-Iraner und Iranerinnen zunehmend miteinander verbindet. Nichts fürchten die Mullahs und ihre Schergen mehr als dieses zunehmende Vertrauen.
Iran versucht, Zusammenhalt zu sabotieren
Entsprechend lässt die Islamische Republik auch nichts unversucht, um diesen neuen Zusammenhalt zu sabotieren. Das Muster ist dabei im Iran und in der Diaspora recht ähnlich: Gruppen und Zusammenkünfte werden infiltriert mit Agents provocateurs, die besonders radikal auftreten, um die politischen Aktivitäten und alle beteiligten Personen in Misskredit zu bringen. Jüngst machte ein Video die Runde, in dem ein nicht zu erkennender Mann auf das Grab des in Paris begrabenen iranischen Schriftstellers Gholam-Hossein Saedi urinierte. Der Täter gab sich als Monarchist aus und erzählte, mit seiner Tat gegen die linken Ideale des Schriftstellers protestieren zu wollen. Diese Geschichte wurde von staatlichen Medien tagelang ausgeschlachtet, um Abscheu und Misstrauen in der Opposition zu erzeugen.
Auf Social Media zeigt sich überdeutlich, dass eine große Mehrheit der Iraner*innen gewillt ist, an einem Strang zu ziehen.
Ziel dieser Angriffe ist im Kern Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Shahs und der Kaiserin Farah Diba. Farah Diba wurde 1967 als erste iranische Frau offiziell zur Kaiserin gekrönt. Die rechtliche Gleichstellung von Frauen und Männern fand in einer pompösen Zeremonie in Teheran ihren symbolischen Ausdruck. Farah Diba hat mit ihrem Wirken das Bewusstsein iranischer Frauen geprägt, wofür sie im Iran beinahe als Heilige verehrt wird. Die weibliche Revolution im Iran - Zan, zendegi, azadi – hat ihre Wurzeln im Wirken von Farah Diba.
Pahlavi beliebtester Politiker
Heute ist der Sohn von Farah Diba, Reza Pahlavi, der mit Abstand beliebteste Politiker innerhalb und außerhalb Irans. Mit seiner Popularität könnte er tatsächlich als einigende Figur die Überwindung der Islamischen Republik besiegeln. Er ist charismatisch und belesen, spricht fließend mehrere Sprachen und ist in seinem Auftreten wohltuend höflich und diplomatisch. Er spricht auch deshalb so viele iranischstämmige Menschen an, weil er für eine demokratische Republik und nicht für eine Monarchie wirbt. Er, der Königssohn und Thronfolger, möchte gar kein König sein! Er bietet aber an, die Übergangszeit nach dem Sturz der Islamischen Republik anzuführen. Diese reale Aussicht auf das Ende der Islamischen Republik findet mehr und mehr Zuspruch unter Iraner*innen.
Es ist daher nicht verwunderlich, dass das Mullah-Regime alles daran setzt, diese Bewegung zu diskreditieren. Dabei kann sich das Regime nicht auf die politischen Ziele oder tatsächliche Aussagen von Reza Pahlavi selbst beziehen; es werden stets vermeintliche Anhänger ins Feld geführt, die irgendwas gesagt oder getan haben sollen. Oder aber, es wird mit Hinweisen auf soziale und politische Probleme, die es auch schon vor 1979 im Iran gab, vor einer vermeintlichen Rückkehr in die Monarchie gewarnt. Es wird versucht, die Angst vor einem Rückschritt zu schüren.

Diese Erzählung funktioniert allerdings heute nicht mehr. Denn zum einen gilt in der Vorstellung der meisten Iraner*innen die Zeit vor 1979 geradezu als das Paradies auf Erden. Dazu reicht ein kurzer Blick auf die katastrophale wirtschaftliche Situation in der Islamischen Republik: War der US-Dollar 1979 noch sieben Toman wert, beträgt der Umtauschkurs aktuell 92.000 Toman (in Worten: zweiundneunzigtausend!). Hinzu kommt, dass es jetzt gar nicht darum geht, was nach der Islamischen Republik kommt. Was danach kommt, wird das iranische Volk in freien Wahlen zu entscheiden haben. Jetzt geht es erstmal um den Sturz der Diktatur.
Angst der Mullahs
Die große Angst der Mullahs vor der einigenden Kraft von Reza Pahlavi ist in diesen Tagen auch rund um die Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) sichtbar geworden. Reza Pahlavi war zunächst als Sprecher eingeladen, ehe er durch die Intervention der Bundesregierung wieder ausgeladen worden ist. Mehrere persischsprachige Kanäle berichten, dass Teheran großen Druck auf die Bundesregierung ausgeübt und mit der Hinrichtung von im Iran inhaftierten deutschen Staatsbürgern sowie mit Anschlägen in Deutschland gedroht habe, sollte Reza Pahlavi bei der MSC auftreten. Die Ausladung erfolgte am 13. Februar, wenige Stunden nachdem ein islamistischer Attentäter mit seinem Fahrzeug in München in eine Menschenmenge gerast, 39 Menschen teilweise schwer verletzt hat, von denen zwei mittlerweile verstorben sind.
Durch die Ausladung Reza Pahlavis wurde die wichtigste Stimme der iranischen Opposition bei der SMC offiziell nicht gehört. Damit wurde gleichzeitig deutlich, welche Macht und Wirkung von Reza Pahlavi ausgehen, die von allen Seiten registriert wird. Auch medial schlägt es sich nieder. Persischsprachige (Exil)Sender wie Iran-International oder Manoto-Tv dokumentieren das stark gestiegene Interesse an Reza Pahlavi. Auf Social Media zeigt sich überdeutlich, dass eine große Mehrheit der Iraner*innen gewillt ist, an einem Strang zu ziehen.
Islamische Republik so schwach wie nie
Die Islamische Republik ist so schwach wie noch nie seit ihrem Bestehen. Die politische Großwetterlage bietet aktuell die historische Chance, diese barbarische Diktatur zu Fall zu bringen. Insbesondere an die iranisch-stämmigen Menschen richte ich den Aufruf, sich jetzt die Hände zu reichen. Lange genug haben wir unsere Differenzen betont und uns gegenseitig geschwächt. Lasst uns gemeinsam der Welt zeigen, dass wir die politische Reife besitzen, um gegen die Islamische Republik zusammenstehen! Wir sind es den Menschen im Iran schuldig. Wir sind es der Welt schuldig, nicht mehr zuzulassen, dass in unserem Namen Terror und Schrecken verbreitet werden!
Lasst uns einander vertrauen. Demokratien fußen auf Vertrauen. Diktaturen auf Misstrauen. Lasst uns die Hände reichen, auf dass wir bald auf dem Teheraner Azadi-Platz in Freiheit tanzen!