Wie nationalistischer Extremismus den Freiheitskampf für Demokratie im Iran bedroht

Als iranischer Oppositioneller veröffentliche ich diesen Appell, weil unser Land aufgrund der aktuellen Schwäche des Mullah-Regimes sowohl im Iran als auch im Ausland vor entscheidenden Ereignissen steht. Diese Entwicklungen könnten zu einer gefährlichen Wendung führen, die nicht nur den Iran, sondern auch die internationale Gemeinschaft bedroht.
Der religiöse Klerikalfaschismus im Iran ist unser gemeinsamer Feind – unabhängig von politischer Meinung, Ideologie oder religiöser, kultureller, sexueller oder nationaler Zugehörigkeit.
Nach 46 Jahren unter der Herrschaft des Mullah-Regimes und den immer wieder brutal niedergeschlagenen Protesten sollte eines klar sein: Nur vereint können wir erfolgreich sein! Doch eine gefährliche Nostalgie, die vor allem in Teilen der Diaspora anzutreffen ist und von nationalistischer Ideologie geprägt wird, bedroht nicht nur unseren Freiheitskampf für Demokratie – sie könnte sogar das islamistische System im Iran weiter festigen.
Das Regime unterdrückt seit 46 Jahren alle gesellschaftlichen Schichten, Andersdenkende und individuelle Freiheiten. Durch Verfolgung, Hinrichtungen, Islamismus und Antisemitismus verbreitet es Terror – nicht nur im Iran, sondern auch in der gesamten Region und darüber hinaus.
Die heutige Freiheitsbewegung im Iran basiert auf einer klaren, inklusiven Parole: „Frau, Leben, Freiheit“.
Jeder Mensch hat das unveräußerliche Recht auf Meinungsfreiheit und den Kampf für Menschenrechte, die vom Regime systematisch verletzt werden. Unser Widerstand gegen dieses Regime ist nicht nur ein Kampf für unsere eigene Freiheit, sondern auch eine Verantwortung gegenüber der Weltgemeinschaft. Das iranische Regime bedroht die internationale Sicherheit durch seine Atomprogramme, die Verbreitung von Islamismus und Antisemitismus sowie die Unterstützung von Terrorgruppen wie die Hamas und die Hisbollah und dergleichen zur Vernichtung Israels und die Beherrschung der Region.
Doch dieser Widerstand darf nicht in die Falle eines engstirnigen, autoritären oder extremistischen Nationalismus geraten, der den Boden für eine neue Form der Unterdrückung bereitet. Die Geschichte zeigt, dass Bewegungen, die gegen Diktaturen kämpfen, oft scheitern, wenn sie selbst intolerante oder ausgrenzende Ideologien übernehmen.
„Frau, Leben, Freiheit“ – Eine Bewegung für alle
Bei den Pahlavi-Anhängern zählt nicht die heutige Freiheitsbewegung im Iran. Sie basiert auf einer klaren, inklusiven Parole: „Frau, Leben, Freiheit“. Ihr internationales Symbol ist Jina Mahsa Amini. Träger dieser Bewegung sind mutige Frauen, politische Gefangene und marginalisierte ethnische Gruppen wie Kurdinnen, Belutschinnen, Araber*innen und andere, die seit Jahrhunderten systematischer Diskriminierung und staatlicher Repression ausgesetzt sind.
Diese Gruppen wurden bereits unter der Pahlavi-Dynastie unterdrückt und nach der Islamischen Revolution von 1979 noch stärker marginalisiert. Das Mullah-Regime hat durch Terror, kulturelle Repression und erzwungene Islamisierung versucht, die Identitäten der nationalen Minderheiten auszulöschen und sie unter die zentralistische Herrschaft des Velayat-e Faqih (Ali Khamenei) in Teheran zu assimilieren.
Die Gefahr einer nationalistischen Verklärung der Vergangenheit
Ein nationalistischer Extremismus, der eine nostalgische Rückkehr zur vermeintlich „goldenen Ära“ Irans unter dem Pahlavi-Regime propagiert, ist ein gefährlicher Irrweg. Solche Bewegungen beginnen oft mit dem Vorwurf des Separatismus und enden in Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Unterdrückung – manchmal sogar in faschistischen Ideologien. Bereits unter Reza Shah und Mohammad Reza Shah wurde mit einer aggressiven Politik der „Iranisierung“ versucht, das Land in eine ethnisch und kulturell homogene Nation zu verwandeln. Dies führte zur Unterdrückung nicht-persischer Identitäten, zur Verfolgung politischer Gegner und zur Einschränkung der Meinungsfreiheit.
Wiederholung der Fehler der Vergangenheit?
Eine Rückkehr zu den Strukturen des Pahlavi-Regimes ist keine Lösung für die Zukunft eines modernen Iran. Es ist wichtig zu betonen, dass das Pahlavi-Regime, obwohl es im Vergleich zum Mullah-Regime vielleicht weniger repressiv in religiöser Hinsicht war, eine Diktatur war, die grundlegende Freiheitsrechte unterdrückte. Der Versuch, eine ethnisch homogene Gesellschaft zu schaffen, schuf tiefgreifende Ungerechtigkeiten und Entfremdung in vielen Teilen der iranischen Gesellschaft.
Ein freier Iran kann nur durch einen demokratischen, pluralistischen und gerechten Ansatz erreicht werden.
Vergleichen wir diese Frage mit anderen Ländern, so stellt sich die Frage: Warum sollten Iraner*innen für ein System abstimmen, das die Erfahrungen der Diktatur der Vergangenheit wiederholt? In Deutschland könnte niemand ernsthaft eine Wahl zwischen einer republikanischen Ordnung und dem Nationalsozialismus in Erwägung ziehen. So wie Deutschland sich von der Vergangenheit distanziert hat, sollte auch der Iran sich von autoritären Regimen wie dem Pahlavi-Regime abwenden.
Die gefährliche Rolle nationalistischer Strömungen in der Opposition
Eine echte demokratische Bewegung muss inklusiv sein und alle Stimmen respektieren. Doch wenn Teile der Pahlavi-Anhänger, die sich als „wahre Opposition“ bezeichnen, Andersdenkende diffamieren und anderen Freiheitsbewegungen die Legitimität absprechen – ja sogar drohen, nach dem Sturz des Mullah-Regimes mit Gerichtsverfahren, Verfolgung und Hinrichtungen gegen sie vorzugehen – führt dies zwangsläufig zu Spaltung, Hetze und neuer Unterdrückung. Besonders besorgniserregend ist, dass viele Anhänger von Reza Pahlavi diesen radikalen Weg einschlagen: Anstatt sich für eine demokratische Zukunft einzusetzen, propagieren sie einen intoleranten Nationalismus, der ethnische und politische Vielfalt untergräbt.
Die ideologische Verherrlichung des „Pahlavismus“ oder die Darstellung Reza Pahlavis als Symbol nationaler Einheit und territorialer Integrität ist ein gefährlicher Rückschritt.
Ein entscheidender Punkt hierbei ist, dass sich viele Pahlavisten auf die Unterstützung bestimmter westlicher Staaten stützen. Diese Staaten handeln in erster Linie aus ihren eigenen nationalen Interessen heraus und nicht aus den Bedürfnissen des iranischen Volkes oder den Interessen der Pahlavisten. Sie haben ihre Unterstützung für Pahlavi-Verbände und Propagandamedien im Exil kanalisiert, die anscheinend von diesen Staaten finanziert und betrieben werden. Die Nachrichten über die Aktivitäten der andersdenkenden Oppositionellen werden häufig stark zensiert oder zugunsten von Pahlavi manipuliert.
Diese Unterstützung kann jedoch nicht das Fundament für eine nachhaltige Demokratie im Iran bilden. Ein „Regimewechsel“, der von westlichen Staaten zugunsten von Pahlavi-Kräften vorangetrieben wird, birgt die Gefahr, dass der Freiheitskampf und die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ instrumentalisiert und vereinnahmt wird. Ein solcher Wechsel würde nicht zu einem selbstbewussten, demokratischen Iran führen, sondern das Land erneut in ein von äußeren Interessen geprägtes System stürzen.
Die ideologische Verherrlichung des „Pahlavismus“ und die Gefährdung der Vielfalt
Die ideologische Verherrlichung des „Pahlavismus“ oder die Darstellung Reza Pahlavis als Symbol nationaler Einheit und territorialer Integrität ist ein gefährlicher Rückschritt. In einer multikulturellen Gesellschaft mit enormem menschlichem Potential und im Zeitalter der Künstlichen Intelligenz und globaler Vernetzung ist ein Rückgriff auf autoritäre, zentralistische Nationalismus-Konzepte überholt und unvereinbar mit den Herausforderungen der modernen Welt. Wer für Demokratie kämpft, darf nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen.
Die Zukunft Irans: Demokratie statt Wiederholung alter Fehler
Der Weg zur Freiheit führt nicht über gescheiterte Systeme. Ein freier Iran kann nur durch einen demokratischen, pluralistischen und gerechten Ansatz erreicht werden – nicht durch die Wiederholung autoritärer oder nationalistischer Ideologien, die in der Vergangenheit zu Unterdrückung und Revolution geführt haben.
Die Bewegung „Frau, Leben, Freiheit“ ist das Ergebnis eines über 100 Jahre langen Kampfes der iranischen Bevölkerung für Freiheit und Demokratie. Sie stellt sich gegen Patriarchalismus – sei er religiös, sozial-kulturell oder national geprägt – und Diktatur jeder Art für eine säkulare, gleichberechtigte Zukunft. Nur wenn wir gemeinsam für Demokratie, Menschenrechte und Gleichberechtigung kämpfen und uns gegen jede Form von Extremismus stellen, können wir die Zukunft gestalten, die unser Land und die kommenden Generationen verdienen.
Fazit
Die Wahl liegt bei uns: Lernen wir aus der Geschichte oder wiederholen wir die Fehler der Vergangenheit? Setzen wir uns für eine gerechte, demokratische Zukunft ein – oder lassen wir zu, dass unser Freiheitskampf von Spaltung und gefährlicher Nostalgie untergraben wird?
Die Zeit zum Handeln ist jetzt. Vereint für einen freien Iran!
https://jungle.world/blog/von-tunis-nach-teheran/2023/03/iranische-opposition-brecht-mit-eurem-vater