Samstag, 26.04.2025 / 00:02 Uhr

Niederlagen für Muslimbrüder und Hamas

Bild: Thomas v. der Osten-Sacken

Die Hamas, ihre Mutterorganisation die Muslimbrüder und die vom Iran orchestrierte "Achse des Widerstandes" müssen dieser Tage weitere Niederlagen einstecken.

Die Hamas und dessen Dachverband der Muslimbruderschaft versuchen seit dem 7. Oktober 2023, die gesamte Welt an der Seite der Hamas in den Krieg gegen Israel hineinzuziehen – mit immer rücksichtsloseren Methoden.

Statt eine weltweite Kriegsallianz zusammenzubrauen, die Israel vernichten würde, führte diese Strategie stattdessen dazu, dass sich alle, die sich letztlich an der Seite der Hamas im Rahmen der iranischen „Achse des Widerstands“ in den Krieg einmischten, eine blutige Nase holten. Dazu gehören die Hesbollah im Libanon, der Iran in Syrien, das von beiden abhängige Assadregime in Syrien und Terrororganisationen im Westjordanland. Selbst die schlagkräftigen jemenitischen Houthis verlieren angesichts amerikanischer Angriffe an Stärke.

Nun verliert die „Achse des Widerstands“ auch in der arabischen Welt immer mehr an Einfluss.

Das sieht man vor allem an zwei Entwicklungen der letzten Tage.

Jordanische Regierung geht gegen Muslimbruderschaft vor

Die erste Entwicklung bezieht sich auf das Königreich Jordanien, das östliche Nachbarland Israels, das seit 1994 einen Friedensvertrag mit Israel unterhält und zu den demokratischsten arabischen Staaten gehört. Die jordanischen Behörden haben am Mittwoch, dem 23. April verkündet, dass sie mit sofortiger Wirkung ein Betätigungsverbot für die Muslimbruderschaft erlassen haben. Das schließt wohl auch die islamistische Oppositionspartei der „islamischen Aktionsfront“ ein, die bei den letzten Wahlen 2024 bei sehr niedriger Wahlbeteiligung unter dem Eindruck des Krieges in Gaza noch ein unerwartet gutes Ergebnis von etwa 40% erreicht hatte.

Im Fokus der Ermittlungen steht der Libanon, wo die Hezbollah und die Hamas mit iranischer Unterstützung Ausbildungslager unterhalten.

Der Grund für das jetzige Betätigungsverbot ist das Auffliegen einer Reihe von Anschlagsplänen von Mitgliedern der jordanischen Bruderschaft. So wurde erst am 15. April eine Zelle von sechzehn Männern ausgehoben, denen vorgeworfen wird, Sprengstoff und Waffen ins Land geschmuggelt und Raketen und Drohnen produziert zu haben. Ebenso wird ihnen vorgeworfen, Geld und Ausbildung aus dem Ausland erhalten zu haben. Im Fokus der Ermittlungen steht der Libanon, wo die Hezbollah und die Hamas mit iranischer Unterstützung Ausbildungslager unterhalten. Die Verbindung zum iranischen Regime ist kaum zu übersehen, das keinen Hehl daraus macht, das halbdemokratische jordanische System zu stürzen.

Das Pikante daran: Mehrere Mitglieder der Zelle sitzen im Vorstand der „islamischen Aktionsfront“ und die Aktionsfront bemühte sich dieses Mal nicht einmal, sich ernsthaft von der Terrorzelle zu distanzieren. Bis dahin hatte die jordanische Bruderschaft nämlich eine gewisse Distanz zu solchen Terrorzellen gewahrt, zumal bis dahin nur Brüder niedriger Ränge an diesen beteiligt waren. Damit hatte sie seine Handlungsfreiheit im Königreich wahren können und seit Beginn des Krieges zahlreiche Demonstrationen für die Palästinenser, aber auch für die Hamas abhalten können. Obwohl die Hamas seit 1999 in Jordanien verboten ist, durften die Anführer der Terrororganisation unbehelligt per Leinwand zu den Demonstrierenden zugeschaltet werden. Ebenfalls griff der jordanische Staat nicht ein, wenn die Mitglieder der „islamischen Aktionsfront“ Anführer der Hamas betrauerten oder die israelische Botschaft in Amman zu stürmen versuchten.

Aufruf zum Sturz der Regierung in Amman

Als Reaktion auf das Verbot rief nun eine extremistische Teilorganisation der weltweiten Muslimbruderschaft offen zum Sturz der jordanischen Regierung und aller arabischer Regierungen auf, denen sie „Unterwerfung“ und „Nähe zum zionistischen Projekt“ vorwarf. Auch wenn diese nur eine Teilströmung der Bruderschaft ist, gibt es Vorwürfe, dass der Iran diese terroristische Teilströmung fördert, um den internen Machtkampf innerhalb der Bruderschaft zu entscheiden und so die Bruderschaft noch mehr zum Terror zu bewegen.

Die Fatwa eines Muslimbruder-Gelehrten-Gremiums namens „internationale Union der muslimischen Gelehrten“, die den heiligen Krieg gegen Israel zur religiösen Pflicht jedes Muslims erhebt, deutet aber auf eine Radikalisierung der Bruderschaft hin.

Doch genau das findet nun Grenzen durch den jordanischen Staat, der seine jahrzehntelange Tolerierung der Bruderschaft beendet.

Deutliche Worte von Palästinenserpräsident Abbas

Die zweite Entwicklung bezieht sich auf die Palästinenser selbst.

Nach langer Zeit der öffentlichen Vorsicht hat der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde im Westjordanland, Mahmoud Abbas, der auch den Titel des Präsidenten des Staats Palästinas für sich beansprucht, öffentlich zur Freilassung von israelischen Geiseln aufgerufen, oder so scheint es zumindest.

Wörtlich sprach Abbas von "den amerikanischen Geiseln" und dann von Geiseln allgemein, es ist also nicht ganz klar, wen er meinte.

Möglicherweise meinte er nur die eine amerikanisch-israelische Geisel Eden Alexander, die die US-Regierung in direkten Verhandlungen mit der Hamas freibekommen wollte. Dann wäre es eine rein strategische Erwägung, um die USA aus dem Kontext herauszubekommen.

Der Kontext deutet aber darauf hin, dass er auch alle restlichen bis zu 24 lebenden israelischen Geiseln meint, die noch immer in Gefangenschaft von Terrorgruppen in Gaza ausharren. Denn Abbas fordert das Ende des gesamten Kriegs.

Sein Argument: Die Gefangenschaft der Geiseln sei ein Vorwand für "den Vernichtungskrieg" und die Hamas könne den Krieg durch eine Freilassung von Geiseln sofort beenden.

Die Strategie der Hamas, die gesamte Region in einen apokalyptischen Endzeitkrieg hineinzuziehen, ist zu einem strategischen Desaster für den Iran und die Muslimbruderschaft geworden.

Die Hamas solle sich einfach ergeben und die Macht an die Autonomiebehörde übergeben (also an Abbas und seine Fatah-Partei, die die Autonomiebehörde kontrolliert).

Was die Aussagen des Präsidenten interessant machen, ist nicht nur, was er sagt, sondern auch die Art und Weise, wie und wo er sie äußerte.

Der uralte Präsident Abbas sprach öffentlich bei der Eröffnung der Zentralratssitzung der PLO, einer Art palästinensisches Ad-Hoc-Übergangsparlament, das auf wenig demokratische Weise von Abbas' Fatah dominiert wird.

"Söhne von Hunden"

Dabei nannte er die Hamas "Söhne von Hunden".

Bei dieser Äußerung wurde er später von den Anwesenden auch laut beklatscht.

Offenbar ist auch bei der Fatah und Teilen der palästinensischen Öffentlichkeit der Geduldsfaden mit der Hamas und dessen Krieg gerissen, nachdem wesentliche Teile der Fatah über ein Jahr lang seit Beginn des Krieges öffentlich überall betont hatten, wie sehr auch sie "den Widerstand" und Gewalt gegen Israel unterstützen würdenDas war nach dem 7. Oktober nämlich zeitweise populär.

Jetzt ändert die Fatah unter dem Eindruck der Proteste in Gaza und des deutlichen militärischen Scheiterns der Hamas und seiner proiranischen Unterstützergruppen ihre öffentliche Position und fordert die Entwaffnung und Entmachtung der Hamas.

Etwas, was Al Jazeera und den proiranischen arabischen Medien natürlich gar nicht gefällt, die Abbas nun als israelischen Agenten und als peinlichen alten Mann beschimpfen, der niemanden repräsentiere.

All das zeigt natürlich nicht gerade, dass die Fatah und Abbas moralisches Feingefühl oder politischen Weitblick zeigen würden. Ganz im Gegenteil, die Fatah verfolgt ziemliche Eigeninteressen und möchte selbst natürlich von der Zerschlagung des Konkurrenten der Hamas profitieren und an korrupte Fleischtöpfe kommen, die sich bei einem Wiederaufbau ergeben könnten.

Wind dreht sich

Aber letztlich zeigt es auch, wie sehr sich nicht nur wegen des Verlaufs des Krieges, aber auch wegen der Proteste in Gaza der politische Wind gedreht hat. Damit erachtet die Fatah es auch für richtig und politisch opportun, öffentlich diese Position einzunehmen und endlich einmal Druck auf die Hamas auszuüben, nachdem wesentliche Teile der Partei ein Jahr lang rhetorisch die Hamas angefeuert hatten.

All das bestärkt mich in meiner Sicht:

Die Strategie der Hamas, die gesamte Region in einen apokalyptischen Endzeitkrieg hineinzuziehen, ist zu einem strategischen Desaster für den Iran und die Muslimbruderschaft geworden und droht, die Gruppe immer weiter politisch zu isolieren.

Nun steht sie in Gaza weitgehend allein da und hat eine schwächere Verhandlungsposition als je zuvor.

Ich hoffe inständig, dass die Terrorgruppe die Lage erkennt, in der sie sich befindet und ihren gewollten zerstörerischen Krieg durch eine Art von Kapitulation endlich beendet.

 

Manuel Störmer ist freier Journalist für die Jungle World und YouTuber unter dem Alias "Lupen rein"