Mittwoch, 23.04.2025 / 10:22 Uhr

Waffenstillstand im Schatten der Diplomatie: Wird die Hisbollah entwaffnet?

Aus vergangenen Zeiten: Poster der Hizbollah in Damaskus, Bildquelle: Flickr

Viele Hinweise deuten darauf hin, dass im Libanon diesmal die Hizbollah wirklich geschwächt, ja unter Umständen sogar entwaffnet wird.

Jahrzehntelang galt die Vorstellung als utopisch: Die Entwaffnung der Hisbollah, der mächtigsten nichtstaatlichen Miliz im Nahen Osten, war weder politisch noch militärisch denkbar. Doch nun, im Frühjahr 2025, mehren sich die Anzeichen für einen geopolitischen Wendepunkt – eingeleitet durch den jüngsten Krieg mit Israel, einen Strategiewechsel im Libanon, internationalen Druck und laufende Atomverhandlungen zwischen den USA und dem Iran.

Die militärische Erosion der Hisbollah

Der 13 Monate andauernde Krieg mit Israel – ausgelöst durch Raketenangriffe der Hisbollah zur Unterstützung der Hamas am 8. Oktober 2023 – hat die libanesische Miliz schwer geschwächt. Führende Kommandeure wie Hassan Nasrallah wurden getötet, und ein erheblicher Teil des Waffenarsenals wurde zerstört oder ist unbrauchbar. Zudem verlor die Gruppe durch den Sturz des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad im Dezember 2024 einen zentralen Waffennachschubkanal via Syrien.

Im Rahmen eines von den USA vermittelten Waffenstillstands vom 27. November 2024 übergab die Hisbollah 190 von 265 Stellungen südlich des Litani-Flusses an die libanesische Armee. Diese hat ihre Truppenstärke im Süden auf 6.000 Soldaten erhöht, mit weiteren 4.000 in Ausbildung. Ziel: vollständige Kontrolle gemäß UN-Resolution 1701.

Geopolitisches Druckmittel: Die Atomgespräche

Parallel zum innerlibanesischen Wandel spielt sich ein strategisch nicht minder bedeutsames Ringen auf internationaler Bühne ab: Die indirekten Atomgespräche zwischen den USA und dem Iran im Oman. Viele Analysten – darunter Michael Young vom Carnegie Middle East Center – sehen in der Entwaffnung der Hisbollah ein mögliches Verhandlungsobjekt Teherans. Die USA setzen den Iran unter Druck, während Israel eine militärische Eskalation androht, sollte es keine Einigung geben.

„Der Iran könnte bereit sein, seine Unterstützung für die Hisbollah zu reduzieren, wenn er im Gegenzug für das Atomprogramm diplomatische Zugeständnisse erhält“, so Karim Bitar von Sciences Po Paris. 

Nach über zwei Jahren politischer Lähmung wurden im Libanon ein neuer Präsident (Joseph Aoun) gewählt und eine handlungsfähige Regierung unter Premier Nawaf Salam gebildet. Beide betonen ein zentrales Ziel: das staatliche Waffenmonopol.

Aoun kündigte in einem Interview mit Al-Araby Al-Jadeed an, die Entwaffnung der Hisbollah solle 2025 umgesetzt werden – im Rahmen eines bilateralen Dialogs zwischen Präsidialamt und Hisbollah.

Konfessionelle Balance: Mehr als nur Waffen

Doch die Entwaffnung der Hisbollah ist auch eine innenpolitische Gratwanderung. Seit Jahrzehnten gelten ihre Waffen unter Schiiten als Symbol politischer Teilhabe im konfessionellen Machtsystem. Politologe Imad Salamey warnt vor sozialen Spannungen, sollte die Abrüstung als „Entmachtung der Schiiten“ gedeutet werden.

Ein Konsens ist unerlässlich: Die libanesische Gesellschaft ist fragmentiert, und Parteien wie Amal, die Freie Patriotische Bewegung oder die Libanesischen Kräfte vertreten teils konträre Positionen zur Rolle der Hisbollah.

Mehrere Analysten warnen eindringlich vor einem gewaltsamen Vorgehen. Nicholas Blandford vom Atlantic Council sieht darin ein „Rezept für Bürgerkrieg“. Auch Michael Young betont, dass ein Dialog Vorrang vor Konfrontation haben müsse.

Ein schmaler Grat – aber auch eine historische Chance

Die Entwaffnung der Hisbollah ist heute realistischer als je zuvor – aber kein Selbstläufer. Sie hängt von einem strategischen Gleichgewicht ab: innenpolitischem Konsens, militärischem Fortschritt, internationaler Unterstützung – und vor allem vom Ausgang der iranisch-amerikanischen Gespräche. Der Libanon steht vor einer historischen Entscheidung. Die Frage ist nicht mehr, ob die Entwaffnung kommen wird – sondern wie, wann und zu welchem Preis.