Donnerstag, 08.05.2025 / 17:02 Uhr

Hochrangiger Palästinenser-Führer in Damaskus festgenommen

Fahne der PFLP-GK, Bildquelle: Wikimedia Commons

In Syrien wurde der Chef der mit dem gestürzten Assad-Regime eng verbundenen palästinensischen Organisation PDLP-GK verhaftet.

Damaskus war während der Herrschaft des gestürzten Baschar al-Assad dafür bekannt, ziemlich jeder Terrororganisation Unterschlupf zu gewähren, die gegen Israel oder die USA aktiv waren.

Zu jenen, die das Gastrecht der syrischen Regierung genossen und ihr im Gegenzug behilflich waren, wo immer sie konnten, gehörte auch die Volksfront zur Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC), eine ganz besonders unangenehme, von Ahmed Jibril 1968 gegründete Abspaltung der PFLP.

Eng verbündet mit der Hisbollah und auch mit dem Iran kämpften die Dschihad Jibril Brigaden, die bewaffneten Einheiten der PFLP-GC, im syrischen Bürgerkrieg an Seite von Assads Armee. Besonders taten sie sich bei der Belagerung des südlich von Damaskus, von Palästinensern bewohnten Yarmouk Camps hervor.

Viele der in Syrien lebenden Palästinenser hatten sich nach 2011 mit der syrischen Opposition gegen die Assad-Diktatur solidarisiert. So kam auch Yarmouk im Jahr 2012 unter die Kontrolle von Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) und mit ihnen sympathisierender palästinensischer Milizen. In Folge wurde das Camp über zwei Jahre lang von der syrischen Armee und den Jibril Brigaden belagert und die Bewohner systematisch ausgehungert. Bilder aus dem Lager gingen damals um die Welt. Bis heute ist unklar, wie viele Menschen damals verhungerten oder durch Beschuss ums Leben kamen.

Vor wenigen Tagen nun meldeten syrische Agenturen, dass der Chef der PFLP-GC, Talal Naji, der Nachfolger des 2021 verstorbenen Jibrils, in Damaskus festgenommen worden sei. Zuvor waren schon zwei Führungsfiguren des Palästinensischen Islamischen Dschihads (PIJ) verhaftet worden.

(Bild: Talal Naji, Quelle: Middle East Observer)

Unklar ist bislang, weshalb die syrische Interimsregierung nun gegen Vertreter dieser eng mit dem gestürzten Assad-Regime verbündeten palästinensischen Gruppen vorgeht. Kommt sie damit vor allem einer Forderung aus den USA nach, die dies zu einer der Voraussetzungen für eine mögliche Lockerung der Sanktionen gemacht hatte?

In Syrien jedenfalls dürften die Verhaftungen eher – aus unterschiedlicher Motivation – auf Zustimmung stoßen, denn Gruppen wie die PFLP-GC sind im Land wegen ihrer Loyalität gegenüber dem Assad-Regime ähnlich verhasst wie die libanesische Hisbollah. Damit dürfte auch klar sein, dass die vom Iran unterstützten und finanzierten palästinischen Organisationen wie PFLP-GC oder der PIJ in Syrien keine Zukunft mehr haben.

Gespannte Beziehungen

Die Verhaftungen, die eigentlich auch für Israel gute Neuigkeiten sein müssten, finden in einer Zeit statt, in der die israelische Luftwaffe fast täglich militärische Ziele in Syrien bombardiert – nach eigenen Aussagen, um so der drusischen Bevölkerung in Syrien zur Seite zu stehen.

Die Regierung in Jerusalem hat mehrfach betont, im syrischen Interimspräsidenten Ahmad al-Sharaa weiterhin den alten al-Qaida-Führer zu sehen, einen »Wolf im Schafpelz«, und dessen Bekundungen, eine moderate Linien zu folgen, keinen Glauben zu schenken.

Der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich hatte jüngst bei einer Veranstaltung im Westjordanland sogar erklärt, das Ziel israelischer Politik sei die Aufteilung und Auflösung Syriens. Derweil hatte al-Sharaa gegenüber einem republikanischen Kongressabgeordneten aus den USA Interesse bekundet, unter gewissen Bedingungen – etwa dem Abzug Israels aus Gebieten, welche die israelische Armee nach dem Sturz Assads im Dezember 2024 besetzt hält – den Abraham-Abkommen beizutreten und Frieden mit Israel zu schließen.

Zugleich hatte al-Sharaa den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) Mahmud Abbas Mitte April nach Damaskus eingeladen, wohl auch, um mit ihm über seine geplanten Maßnahmen gegen PFLP-GC und PIJ zu sprechen. In den vergangenen Wochen hatte Abbas für seine Verhältnisse recht deutliche Worte gegen die Hamas und andere im Gazastreifen kämpfende Milizen gerichtet. Die PFLP-GC ist dort mit der Hamas alliiert und hat sich auch an den Massakern des 7. Oktober 2023 beteiligt. Noch ist allerdings unklar, ob es bei den Verhaftungen von Führungsfiguren bleibt oder die syrische Regierung plant, die Tätigkeit dieser Organisationen zur Gänze zu untersagen.

Ironie der Geschichte

In der Zwischenzeit sieht die iranische Regierung weitgehend ohnmächtig zu, wie die von ihr über Jahre aufgebaute »Achse des Widerstands« Stück für Stück zerfällt, zu der eben nicht nur islamistische Organisationen wie die Hisbollah, sondern auch vermeintlich säkulare palästinensische Terrorgruppen wie die PFLP-GC gehören.

Doch die Islamische Republik liegt nicht ganz am Boden, schließlich verfügt sie in ihren Archiven über unzählige geheime Dokumente, wovon sie einige über Ahmad al-Sharaa jüngst in Umlauf gebracht hat. Und die haben es in sich, zeigen sie doch, dass dieser 2003 als junger al-Qaida-Kämpfer offenbar durchaus gute Beziehungen zum Assad-Regime unterhielt.

Zur Erinnerung: Die blutige Terrorkampagne gegen US-Soldaten und Iraker, die mit der neuen Regierung nach dem Sturz Saddam Husseins kooperierten, wurde maßgeblich aus Syrien orchestriert. Denn damals schon fürchtete Assad, der Funke könne auch auf sein Land überspringen. Ohne logistische Unterstützung aus Damaskus wäre der al-Qaida-Terror im Irak nie so effektiv gewesen.

Kontakte zum syrischen Geheimdienst

Dass also auch al-Sharaa damals, zumindest mit dem Wissen des syrischen Geheimdienstes, wenn nicht sogar in dessen Auftrag, in den Irak zog, gehört zu den biografischen Details, über die der neue Interimspräsident in Damaskus lieber schweigt, so Kyle Orton in einem Beitrag, in dem er die vom Iran geleakten Unterlagen analysierte und daran erinnerte, in welchem Ausmaß erst al-Qaida und später der Islamische Staat (IS) vom Assad-Regime gefördert wurden:

»Er [al-Sharaa] war mit Hilfe des Regimes von Baschar al-Assad, den er im Dezember [2024] stürzte, in den Irak geschickt worden. Man fragt sich, wie viel Zeit Assad in seinem Moskauer Exil damit verbringt, die Ironie zu beklagen, dass er die Karriere des Dschihadisten ins Leben gerufen hat, der ihn letztlich vernichtet hat.

Als er jedoch die Entscheidung treffen musste, hat Assad den Dschihadismus immer unterstützt: Nachdem er [Abu Musab] al-Zarqawis [hochrangiges al-Qaida-Mitglied; Anm. Mena-Watch] Aktivitäten in Syrien im Sommer 2002 geduldet hatte, ermöglichte Assad den irakischen Dschihad während der gesamten amerikanischen Regentschaft, wie beide Seiten gestanden haben. Selbst als sich die IS-Netzwerke 2011 mit dem Aufkommen der Rebellion in Syrien ›umdrehten‹, setzte Assad sein Überleben darauf, die Dschihadisten unter den Aufständischen zu stärken. (…)

Innerhalb des Geheimdienstapparats von Assad war es die Palästina-Abteilung (Far Falastin) oder Zweig 235 des Militärgeheimdienstes, der sich um die Dschihadisten und andere terroristische Gruppen kümmerte – indem er Kontakte pflegte, sie infiltrierte und manipulierte. Die Akte der Palästina-Abteilung über al-Sharaa enthielt zahlreiche Ungenauigkeiten zu seinem Leben, da die Abteilung die Informationen nicht direkt gesammelt hatte, aber sie vermerkte, dass er am 10. November 2003 wegen seiner ›illegalen‹ Ausreise in den Irak und seiner ›illegalen‹ Rückkehr nach Syrien zu einem Treffen in Damaskus vorgeladen worden war.

Zwischen den Zeilen lässt sich herauslesen, dass die Palästina-Abteilung al-Sharaa befragte, um herauszufinden, was er im Irak getan, mit wem er Kontakt hatte und welchen Organisationen er angehörte. Für unsere Zwecke ist wichtig, dass al-Sharaa, wie er behauptet, nach seinem ersten Aufenthalt im Irak, der 2003 weniger als sechs Monate gedauert haben muss, tatsächlich nach Syrien zurückgekehrt ist [bevor er erneut in den Irak ging, wo er 2005 fortgenommen und bis 2011 von den USA inhaftiert wurde; Anm. Mena-Watch].«

 

So schließt sich der Kreis: Wie oben schon gesagt, waren in Damaskus jahrzehntelang so gut wie alle Terrorgruppen willkommen, so sie nur gegen den »großen« und »kleinen Satan«, sprich: die USA und Israel kämpften – und Assad sich von ihnen politisches Kapital versprach.

 

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch