Samstag, 05.07.2025 / 21:41 Uhr

Menschen im Iran befinden sich seit Jahren im Krieg

Für die Iraner begann der Krieg nicht erst, als die israelischen Angriffe begannen, denn das Regime führt seit Jahren Krieg gegen die eigene Bevölkerung.

Wir Iraner waren schon lange begraben, bevor Raketen unsere Häuser trafen; begraben unter den Trümmern von explodierenden Wechselkursen erstickenden Mietpreisen, Arbeitslosigkeit, Inflation, steigender Hoffnungslosigkeit und in die Höhe schnellenden Selbsttötungsraten. Und nun ist der Krieg da, das letzte Teilchen im Puzzle des Elends, das von einem inkompetenten Regime sorgfältig zusammengesetzt wurde.

Heutzutage zucken wir nicht mehr zusammen, wenn wir Explosionen hören. Lange vor den Sirenen wurde unser Schlaf durch Nachrichten über Preiserhöhungen, neue Internetbeschränkungen und endlose Anweisungen zur Einschränkung unserer Freiheiten unterbrochen: alles Teil eines Kriegsrechts, das von einem Regime verhängt wurde, das seine eigene Bevölkerung mehr fürchtet als jeden Feind.

Bevor der zwölftägige Krieg zwischen Israel und dem Iran weltweit Schlagzeilen machte, waren wir bereits in einen jahrelangen Krieg verwickelt: Einen Krieg um Lebensmittelpreise, zensierte Apps, und um privilegierte sowie korrupte Eliten. Wir sind diejenigen, die immer ganz hinten stehen – bei der Arbeitssuche, bei Vorstellungsgesprächen, bei der Migration. Nicht, weil wir unqualifiziert sind, sondern, weil jemand anderer hinter einem Vorhang, bequem und unberührt, über unser Schicksal entscheidet.

In diesem Land gab es schon vor dem Krieg kein normales Leben. Es ist nicht normal, überrascht zu sein, wenn der Strom ausfällt. Es ist nicht normal, dass jemand, der eine Arbeitsanstellung bekommen hat, sofort gefragt wird, ob er Beziehungen hat. Für uns ist ein normales Leben immer ein Mythos: eine Gutenachtgeschichte aus fernen Ländern auf Instagram, wo Menschen ein Leben in Sicherheit, Würde und Grundrechten führen.

Und dann kam der Krieg …

Bereits vor dem Erklingen den Luftschutzsirenen, die unser Regime übrigens nicht einmal zum Schutz der Bevölkerung ausgelöst hat, pulsierte Angst in unseren Adern. Angst vor dem, was das Heute für uns in petto hielt und der nächste Tag bringen würde. Wir haben ein Leben lang in Angst gelebt – Angst vor einer zusammenbrechenden Währung, vor der Entscheidung, ob wir bleiben oder gehen sollen, hin- und hergerissen zwischen der Liebe zu unserer Heimat und dem Überlebensinstinkt. Und dann kam der Krieg. Natürlich kam er. Was hat uns denn sonst noch gefehlt? Eine weitere Katastrophe, um die Sammlung zu vervollständigen.

Wir Iraner beginnen gerade erst, Trauer zu verstehen; zu lernen, was Trauer wirklich ist, was sie sein könnte. Wir erkennen gerade, dass Trauer nicht hinter einem erzwungenen Lächeln versteckt werden sollte. Und doch müssen wir weiterhin so tun, als sei alles in Ordnung, denn die Normalisierung des Elends ist Teil der Überlebensstrategie des Regimes geworden. Während die Welt sagt: »Das ist nicht normal«, behauptet das Regime: »Alles ist in Ordnung, wir gewinnen.« Und die Bevölkerung, konditioniert durch Jahre der Verleugnung, sagt: »Uns geht es gut, gar nicht so schlecht.«

Dieser zwölftägige Krieg ist nicht unser erster. Wir befinden uns seit Jahren im Krieg – mit der Propagandamaschine des Regimes, den staatlichen Medien, die uns davon überzeugen wollen, dass alles großartig sei. Selbst, als die Inflation ihren Höhepunkt erreichte, lächelten deren Moderatoren und sagten: »Wir haben das Inflationswachstum verlangsamt.«

Sie waren schon immer Experten für Euphemismen: Armut wird zu »Entbehrung«, Arbeitslosigkeit zu »unternehmerischer Chance«, Unsicherheit zur »Provokation durch den Feind«.

… aber nicht der Frieden

Jetzt, wo keine Jets mehr am Himmel zu sehen sind, haben wir Frieden? Nein, denn schon vor dem Krieg war das Leben hier kein Frieden. Wir waren schon zerbrochen, bevor die Bomben fielen. Diejenigen, die uns nun im Fernsehen dazu auffordern, »zur Normalität zurückzukehren«, haben offensichtlich noch nie in einer Schlange gestanden. Haben wir denn jemals so etwas wie Normalität gehabt in unserem Leben, in dem es immer nur ums Überleben ging, aber nie ums Leben?

Wir haben genug gelitten und bleiben dennoch in den Schlagzeilen unsichtbar, denn diejenigen, die uns sehen sollten, sind damit beschäftigt, Macht zu demonstrieren. An die Außenwelt, die diese Illusion inzwischen durchschaut, senden sie Bilder von Stärke, uns senden sie die Rechnung. Die Wahrheit ist, dass wir nicht nur die Explosionen fürchten, sondern auch die Stille, die auf sie folgt.

Wir glauben längst nicht mehr an die Lüge, alles werde wieder »normal«. Denn egal, wie dieser Krieg endet, wird er unseren Schmerz nicht wegnehmen. Wir machen einfach weiter, wie wir es immer getan haben. Denn wir haben gelernt, weiterzumachen – auch wenn es keine Hoffnung gibt, auch wenn Raketen fliegen, auch wenn es kein Brot gibt.

Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch