Mittwoch, 08.10.2025 / 10:46 Uhr

Erinnerung als höchste Form des Respekts

Erinnerungen an den 7. Oktober 2023

Waldemar Alexander Pabst:

 

Der 7. Oktober begann mit Meldungen auf dem Handy, die von Twitter kamen und ungewöhnlich klangen. Massive Raketenangriffe, Paraglider, eine Meldung der israelischen Botschaft, mit der Überschrift “Israel befindet sich im Krieg”. Das war so gegen halb 10 unserer Zeit. Eine Stunde danach kamen die Zeilen von Oliver Vrankovic "Die Armee bestätigt, dass Hamas noch eine Reihe israelischer Ortschaften im Umland von Gaza in der Hand hat." und es war mir schlagartig klar, dass dort in unvorstellbarer Weise Menschen abgeschlachtet wurden, weil sie Juden wären. Es hat sich in mich eingebrannt, dass ich es immer wieder erwähnen muss.

 

Es waren bis dahin Bilder in meinem Kopf. Nichts wusste ich von einem Musikfestival, das genau dort stattfand, genau in der Minute seinen Höhepunkt finden sollte, als der massenhafte Raketenbeschuss begann. Mit dem Video der ermordeten Shani Louk löste der alles noch einmal übertreffende Schrecken der Realität die Fantasien im Kopf ab und grub sich dort für immer ein.

 

Zeitlebens hat mich die Befassung mit der Shoah nicht losgelassen, nun holte sie mich wie ein entsetzliches Dejavu ein. Menschen wurden abgeschlachtet, weil sie Juden waren und sie wurden nicht nur erschossen. Sie wurden zerstückelt, verbrannt und auf eine nicht beschreibbare Weise zu Tode vergewaltigt.

 

Die Führer Gazas hatten sich über Jahrzehnte eine Operation überlegt, mit der sie Israel düpierten, in akribischer Weise hatte Sinwar Israel studiert und die Schwachpunkte durchschaut. 22 km tief drangen seine Bestien in Israel vor. Doch nur einen Zweck hatte diese Operation. Sie diente allein dem Töten jedes Juden, der in die Gewalt der Gazaner geraten würde. Die Zivilisten folgten ihnen, zu plündern, Ermordete und noch Lebende in das verfluchte Gaza zu verschleppen. Das Tätervolk stand jubelnd auf den Straßen, als blutende Tote und Halbtote in ihre Stadt gebracht wurden und jammerte später, als die Rechnung präsentiert wurde. Ich vermochte und vermag seit dem 7. Oktober keinerlei Mitleid mit den Menschen dieses Streifens der Hölle zu empfinden. Nichts regt sich in mir.

 

(Bild: Shani Louk, Quelle: Instagram)

 

Es sind die Toten, von denen ich mich nicht lösen kann. Jene, die keine Stimme mehr seit jenem Samstag haben. Die Zahl 1.200. Und es ist Nova. Das Musikfestival. Die wundervollen Menschen, die tanzen, lieben und Frieden wollten. Der Kontrast zum Bösen, zu ihren Mördern, die gleichaltrige junge Menschen waren und vergiftet vom Hass seit frühester Kindheit in der Lage waren, diese monströsen Taten zu begehen. Dem Video von Shani Louk folgte das von Noa Argamani. Das dritte war die Verschleppung Naama Levys. In den Monaten danach waren alle drei mein Hauptaugenmerk. Noa wurde befreit, Naama konnte gegen Mörder ausgetauscht werden. Naama, Liri Albag, Daniella Gilboa und Karina Ariev standen vor den Bestien und schuldigen Zivilisten, die ihre erniedrigende Show wie bei allen anderen durchführen wollten und nahmen den Peinigern das Ereignis aus den Händen. Ihnen gelang es, die Helden der eigenen Freilassung zu werden. Ich hatte nie gewagt, zu glauben, dass sie überleben könnten, an diesem Morgen triumphierten sie. Es war ein Tag der Tränen der Erlösung. Das schaurige Video von Naamas Verschleppung, die Bestie, die die gefesselte blutende junge Frau ins Auto zerrt, hat sich verkehrt. Er konnte in Gaza getötet werden, sie aber stand im Oval Office, Trump für das Schicksal der Geiseln zu gewinnen. Das verschafft manchmal eine kleine Zufriedenheit.

 

Doch Shani kam nicht wieder. Mit ihr alle anderen der 1200. Meine liebe Freundin Anja, sie beschreibt die wunderbaren Geschichten der Helden, der Retter dieses Tages des Schreckens. Sie ist die Zionistin, deren Zukunft Israel sein soll. Ich bin der Waldgermane, der alte Mann, der die Toten nie vergessen will. Einer muss auch der sein, der zurückbleibt, wenn es weiter geht. Zurück in Nova. Bei Shani und den anderen.


 

Anja Stanizek:

 

Die jüdische Erinnerung ist nicht nur eine Erinnerung an die Toten, sondern auch an die Helden. Am Tag des tödlichsten Massakers seit dem bestehen des jüdischen Staates, gab es viele Zivilisten, die Menschen gerettet oder Kibbuzim verteidigt haben. Nicht, weil das ihre Aufgabe gewesen ist, sondern weil die IDF versagt hat, ihrem Versprechen, die Juden zu beschützen, nachzukommen. 

 

Einer von ihnen war Baruch Cohen, der Sicherheitschefs des Kibbuz Magen. Von ihm hörte ich zum ersten Mal in einer Zoom Veranstaltung der DIG Stuttgart, bei der Martin Sessler über den Kampf im Kibbuz sprach. Er erzählte, dss Baruch Cohen unermüdlich war, seine Leute und das gesamte Kibbuz auf genau das Szenario vorzubereiten, dass die Hamas am 7.10. in die Realität verwandelte. Ich habe es im Ohr als hätte ich es gestern gehört:

 

Sie werden kommen.

 

Die anderen Bewohner des Kibbuz nahmen ihn nicht ernst und entgegneten ihm, dass die IDF schon kommen würde.

 

Sie kam erstmal nicht und der 72-jährige Cohen übernahm das Kommando.

 

Um 6:30 war er, laut eigener Aussage bereits wach und hörte die Raketen und die Schüsse. Er nahm sein Gewehr und sagte zu seiner Frau, dass sie sich im Haus einsperren solle und ging nach draußen.

 

(Bild: Baruch Cohen, Quelle: privat)

 

Es gibt einen Hügel in Kibbuz Magen, von dem aus er die Lage überblickte. Er sah die Hamasschlächter auf ihren Motorrädern Richtung Ofakim fahren und bekam die ersten Nachrichten aus anderen Kibbuzim aufs Handy. 

 

Die einzigen Sicherheitskräfte, die er erreichen konnte, war die Polizei in Ofakim, die zwei Polizisten schickte. 

 

Mit unserem Wissen von heute kann man fast darüber lachen, aber in diesem Moment, es war etwa 6.40 Uhr, wusste Baruch Cohen noch nicht, was da eigentlich passierte. 

 

Nachdem die Polizisten das Kibbuz erreichten und er die ersten Leichen sah, dämmerte es ihm langsam. Das volle Ausmaß begriff er aber erst, als weitere Mörder in sein Blickfeld kamen. Er sah die Kalashnikovs und wusste nun Bescheid.

 

In diesem Moment wusste er, dass er sein komplettes Sicherheitsteam, bestehend aus 26 Männern, zusammenrufen musste und so verteilte er dann die Waffen an alle, so ungefähr gegen 6.50 Uhr. 

 

Zurück auf dem Hügel sah er wie immer mehr der Massenmörder sich am Zaun des Kibbuz zu schaffen machten. Es müssen so um die 40 gewesen sein. Der Hügel war zu weit weg um, mit seinem Gewehr echte Gegenwehr leisten zu können. 

 

Als Mann der Armee, sprang er in seinen Toyota und fuhr auf das Ziel zu, denn nur so konnte er das Kibbuz effektiv schützen. 

 

Während er fuhr, traf eine RPG sein Auto und er merkte, dass wohl eine Kugel sein Sprunggelenk zerstörte.

 

Da er unter konstantem Beschuss gewesen ist, konnte ihm keiner zur Hilfe kommen und lag verwundet auf dem Boden in der Nähe seines Autos bis er dan in relative Sicherheit gebracht werden konnte. Dabei wurde einer seiner Männer angeschossen. Gleichzeitig haben sie es geschafft, dass kein weiterer Völkermörder mehr ins Kibbuz kam und erschossen jeden, der an den Zaun kam. 

 

Später wurde Baruch Cohen schwer verletzt mit anderen ausgeflogen und ins Hadassah Krankenhaus gebracht. Die Armee kam erst als der Kampf um Kibbuz Magen bereits von den Helden der Sicherheitstruppe gewonnen wurde. 

 

In diesem Kampf starben zwei aus der Verteidiger, Avi Fleisher und Ofir Mordechai Yaron. So weit mir bekannt ist, wurden keine Zivilisten verletzt und es wurde niemand aus Kibbuz Magen entführt.


In dem Interview, in dem er über das Simchat Torah Massaker berichtet, erklärt er nicht nur seine Einstellung als Mann der Armee, der er (gefühlt) 53 Jahre angehörte, sondern verlor auch seine Menschlichkeit nicht und sprach darüber, dass es in Gaza eben doch Menschen gibt, die genau so wie er und andere an Frieden glaubten.

 

Baruch Cohen wurde ein Teil seines verletzten Beines amputiert und nach monatelanger Rehabilitation lebt er nun wieder in Kibbuz Magen.

 

Brauch ist hebräisch und heißt “Segen”. Genau das war er für alle Menschen im Kibbuz.

 

Dies ist nur eine von vielen Heldengeschichten, die dieser Tag neben den schlimmen Geschichten des Mordes und der Entführung schrieb. Es gibt so eine Redewendung: Wenn irgendwo ein schlimmes Ereignis ist, siehst du Israelis hinfahren und nicht weglaufen. Aber die Geschichten erzähle ich in den nächsten Jahren. 

 

In Erinnerung an Martin Sessler aus Kibbuz Magen, der das Massaker überlebte, den Bericht der IDF noch lesen konnte, dem es aber leider vergönnt bleiben musste die Geiseln zu Hause begrüßen zu dürfen. 

 

Möge sein Andenken ein Segen und eine Aufgabe sein.