Iran räumt still auf
Mohammad Reza Naqdi
Was tun, wenn selbst der eiserne Kern rostet? In Teheran ersetzt man Generäle, schweigt dazu– und hofft, dass niemand fragt, warum. Die Revolutionsgarden, einst das Monolith-Gesicht islamischer Staatsmacht, verlieren ihre ideologische Maske. Nicht laut. Nicht offiziell. Aber sichtbar.
Ende Oktober bestätigt der Iran – still und spät –, was längst bekannt war: Brigadegeneral Mohammad Reza Naqdi, Symbolfigur des kulturkämpferischen Flügels der Revolutionsgarden (IRGC), ist abgesetzt. Sein Nachfolger, Hojjatollah Qoreishi, ein Technokrat mit Erfahrung in Logistik und Waffenbeschaffung, wurde bereits Wochen vorher informell im Amt gesehen. Die formelle Mitteilung? Kam erst, als selbst die Sprachregelungen der Staatsagenturen nicht mehr mithalten konnten.
Was sich hier vollzieht, ist keine Personalie, sondern Politik. Denn wer Naqdi entläst, lässt eine Ära gehen – jene der reinen Gesinnungstreue als Führungsprinzip. Was folgt, ist das Zeitalter des Schadensbegrenzers mit Aktenmappe.
Naqdi, einst Liebling der Hardliner und Schrecken der Protestbewegung von 2009, war zu lange das Gesicht eines Systems, das immer noch mit Parolen gegen Israel Stärke suggeriert – und dabei selbst von israelischen Drohnen, Hackern und Geheimdiensten durchlöchert wird wie ein luftleerer Luftballon.
Naqdi: Der Prediger des Endkampfs
Naqdi war nicht nur ein General – er war die fleischgewordene Drohung. Kaum einer verkörperte so unverhüllt den militärischen Arm jener antisemitischen Staatsdoktrin, die sich nicht mit diplomatischem Antizionismus begnügt, sondern auf Vernichtung zielt – rhetorisch wie strategisch. Im Jahr 2011 forderte er israelische Bürger auf, „freiwillig“ das Land zu verlassen. Die Warnung: Wer bliebe, werde keine Zeit mehr haben, „seine Koffer zu packen“. Eine makabre Mischung aus Propaganda und Endzeitpathos, wie sie sonst nur in ideologischen Gruselkellern des Kalten Kriegs zu hören war. 2012, in Interviews mit Al-Manar, erklärte Naqdi, Israel sei zu klein, um den Iran anzugreifen – und jeder Versuch werde „die letzte Dummheit in der Geschichte Israels“ sein. Noch deutlicher wurde er später, als er im Fall eines israelischen Angriffs die „Befreiung Jerusalems“ ankündigte – nicht als Vision, sondern als Reaktion. Dass er damit dem postkolonialen Befreiungsdiskurs die Maske der Eliminationsfantasie aufsetzt, störte im Machtzirkel offenbar niemanden. Naqdi sprach aus, was andere dachten – laut, roh, ungeschützt vor Übersetzung.
Doch der neue Feind war oft intern. Spionagevorwürfe, jahrelang dementiert, holten Naqdi ein. Schon 2019 sprach ein Reformpolitiker öffentlich über israelische Agenten im Inneren der Revolutionsgarden – namentlich in Naqdis Büro. Die Antwort: eine Klage, eine Entschuldigung, das große Wegsehen. Heute folgt das große Vergessen.
Die Umbesetzung ist nicht die erste, nicht die letzte. Seit Monaten werden IRGC-Offiziere versetzt, pensioniert, still entsorgt. Kein Putsch, aber eine Palastreinigung – motiviert durch die Toten des Juni-Kriegs, durch Raketen, die nicht abfingen, und Morde, die nicht verhindert wurden. Die Reaktion: weniger Ideologie, mehr Kontrolle.
Qoreishi ist das Gesicht dieser neuen Linie: Kein Tribun, sondern Verwalter. Nicht Revolution, sondern Systempflege. Etemad, eine der letzten reformnahen Stimmen, nennt das Ganze „eine bewusste Deeskalation“. Und tatsächlich: Die Revolution macht Pause – nicht aus Reue, sondern aus Reaktion.
Der ideologische Überbau, jahrzehntelang das Alleinstellungsmerkmal der IRGC, weicht einem Pragmatismus, der so nüchtern wirkt wie die Zahlen auf einem Verlustbericht: Tote Kommandeure, verlorene Daten, verlorene Kontrolle. Wer glaubt, dass ausgerechnet dieser Apparat sich freiwillig modernisiert, glaubt auch, dass Beton lernt zu tanzen. Und doch – der Druck wirkt.
Ein schleichender Strukturwandel ist auch ein Bekenntnis: zur Schwäche. Nur nennt man es nicht so. In Teheran sagt man lieber „Koordination“, wenn man Führungskrise meint. Und „Neuausrichtung“, wenn man meint: Wir haben den Überblick verloren.
Was bleibt? Eine Elitegarde, die nach innen starrt, während außen die Konfliktachse bröckelt. Ein Regime, das im Schatten reformiert, weil das Licht zu viel zeigen würde. Und ein Land, das weiter zwischen Spionagepanik, Kriegsgefahr und wirtschaftlichem Verfall taumelt.
Vielleicht beginnt Erneuerung nicht mit Parolen, sondern mit der leisen Erkenntnis: Auch Revolutionsgarden können aus der Zeit fallen.