Massaker in Darfur: Geschichte wiederholt sich
Flüchtlinge aus Darfur
Die Eroberung von El-Fasher durch die RSF markiert das Comeback eines zu befürchtenden erneuten Völkermords in Darfur – mit Satellitenbeweis und diplomatische Floskeln.
Am 26. Oktober 2025 übernahm die paramilitärische RSF die Kontrolle über El-Fasher. Die letzte Bastion der sudanesischen Armee in Darfur fiel – militärisch, strategisch, symbolisch. Mit ihr auch das letzte Stück Hoffnung für Hunderttausende eingeschlossene Zivilisten, die zwischen Artilleriefeuer, Hunger und internationalem Desinteresse verharrten. Die Bilder der Stadt nach der Einnahme sind keine Propaganda. Sie sind Beweise: Satellitenaufnahmen zeigen Blutflecken groß wie Schulbusse, RSF-Kämpfer inszenieren Erschießungen auf TikTok, und der Kommandant zählt stolz seine Opfer – 2.000+, Stand Montag.
Die Fragen, wer das tat, wann, wo, wie und warum – sind beantwortet. Die interessantere Frage: Warum ließ man es geschehen?
El-Fasher: Anatomie eines angekündigten Verbrechens
Seit über anderthalb Jahren belagerten die Rapid Support Forces (RSF) El-Fasher – einst Zufluchtsort, nun ein Massengrab. Die Stadt, im Norden Darfurs gelegen, war das letzte verbliebene Gebiet unter Kontrolle der Armee, die sich Ende Oktober „zum Schutz der Zivilisten" zurückzog – ein Manöver, das kaum ein Mensch überlebte. Der Rückzug war kein Rettungsversuch, sondern eine Kapitulation vor der Realität: Eine Stadt, ausgehungert, bombardiert, ohne medizinische Versorgung, ohne Kommunikation, ohne Ausweg.
Die RSF, Nachfolgerin der berüchtigten Janjaweed-Milizen, die Anfang der 2000er Jahre Völkermord begingen, nennt es eine „Sicherheitsoperation“. „Die Berichte aus el-Fascher sind entsetzlich“, sagte Tigere Chagutah, Regionaldirektor von Amnesty International für Ost- und Südafrika. Dies klingt wie eine Wiederholung der Geschichte, die Dafur Prägt. Die Vereinten Nationen sprechen von „standrechtlichen Hinrichtungen, ethnisch motivierter Gewalt und systematischen Angriffen auf medizinisches Personal“. Die Regierung in Khartum – ein Torso ihrer selbst – nennt zwei UN-Mitarbeiter „unerwünscht“ und bestellt das nächste rhetorische Eigentor.
Videos aus El-Fasher zeigen nicht den Nebel des Krieges, sondern die Klarheit der Tat. Männer in RSF-Uniformen schießen auf unbewaffnete Menschen, lachen über Opfer, zwingen Gefangene, sich selbst zu erniedrigen, bevor sie sie exekutieren. Ein RSF-Kommandant namens Abu Lulu erklärt „Ich werde niemals Gnade mit Ihnen haben. Unsere Aufgabe ist nichts anderes als zu töten.“ Das ist keine Metapher, das ist Berufsethik.
Ein Bericht des Humanitarian Research Lab der Yale School of Public Health analysierte Satellitenbilder, die Leichen, Blutspuren und Straßensperren durch gepanzerte Fahrzeuge dokumentieren. Der Sudan Doctors Network berichtet von der Ermordung medizinischen Personals im Saudi-Krankenhaus. Laut WHO-Generaldirektor Tedros Ghebreyesus wurden dort 460 Patienten und Begleitpersonen getötet. Die RSF kommentiert das mit „Durchsuchungsaktionen gegen Terroristen und Söldner“.
Während in El-Fasher die letzten Kommunikationsleitungen abbrachen, trafen sich Vertreter der RSF in Washington mit US-Diplomaten. In der Lobby eines Luxushotels postete Algoney Dagalo, Bruder des RSF-Führers, ein Selfie. Die amerikanische Delegation forderte einen dreimonatigen Waffenstillstand – zwischen Lunch und Lobbygespräch. Parallel rollten RSF-Panzer durch El-Fasher, und Abu Lulu schoss ein weiteres Video. Der moralische Widerspruch ist nicht neu, aber selten so sichtbar.
UN-Generalsekretär António Guterres sprach von einer „schrecklichen Eskalation“ und mahnte den Stopp ausländischer Militärhilfe. Wen er meinte, sagte er nicht. Alle anderen schon: Die Vereinigten Arabischen Emirate bewaffnen die RSF, der Iran und die Türkei unterstützen das Militär. Die multipolare Weltordnung hinterlässt multinationale Leichenberge.
Die Gewalt der RSF richtet sich vor allem gegen Zivilisten afrikanischer Ethnie, insbesondere aus der Volksgruppe der Zaghawa. Wie schon 2003 bis 2005, als in Darfur mindestens 300.000 Menschen ermordet wurden, ist die Logik der Vernichtung ethnisch, politisch und ökonomisch. Was die Welt damals Genozid nannte, nennt sie heute „schrecklich".
Die RSF nennt es „Sicherheitsoperation“. Die Regierung in Khartum schweigt oder wirft UN-Mitarbeiter hinaus. Die USA prüfen eine Terror-Einstufung. Die EU ist besorgt. Die Weltgemeinschaft hat Erfahrung im Zuschauen.
Die humanitäre Bilanz: Elend als Konstante
Mehr als 14 Millionen Menschen sind laut UN auf der Flucht, über 150.000 getötet – Tendenz steigend. Unterernährte Kinder in Tawila, Kriegswaisen im Alter von 40 Tagen, Ärzte, die ohne Medikamente operieren – das sind die Konstanten dieses Konflikts. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz zählt fünf getötete Helfer allein in dieser Woche. Mehrere andere gelten als vermisst.
Die Realität: Wer fliehen kann, flieht. Wer zurückbleibt, stirbt. Männer werden exekutiert, weil sie essen wollen. Frauen vergewaltigt, weil sie überleben wollen. Kinder verhungern, weil es niemanden mehr gibt, der sie stillt. Und das Internet schweigt mit, wenn der Strom ausfällt.
Darfur 2025 ist nicht nur eine Wiederholung von Darfur 2003–2005. Es ist die Fortsetzung mit besseren Kameras, schärferen Satelliten und PR-erprobten Tätern. Wer damals noch etwas sagte, schaut heute weg – diesmal mit Google Earth, Live-Streams und diplomatischen Protokollen.
Der Bürgerkrieg im Sudan ist nicht nur ein innerstaatlicher Konflikt, sondern ein geopolitisches Schachbrett. Wer Waffen liefert, will Einfluss kaufen. Wer den Genozid nicht beim Namen nennt, will Geschäftspartner nicht verprellen.
El-Fasher ist gefallen. Die Täter zeigen sich selbst. Die Opfer sprechen, solange sie leben. Die Welt weiß Bescheid. Wieder einmal.
Die Frage, ob sich die Geschichte von Darfur wiederholt, ist falsch gestellt. Sie ist längst beantwortet – durch Satellitenbilder, Massengräber und die rhetorischen Floskeln internationaler Diplomatie. Die richtige Frage ist: Warum geschieht es wieder – und warum jetzt niemand mehr überrascht ist?