Die inszenierte Nation der Islamischen Republik Iran
In einem Park in Teheran
Je unsicherer die Position des iranischen Regimes wird, desto lautstärker verkündet es seine Parolen und versucht jeden Widerspruch durch Repression mundtot zu machen.
Während der gesamten Existenz der Islamischen Republik und in den letzten Jahren noch einmal verstärkt war es ein ständiger Refrain in den Reden iranischer Beamter: Die iranische Nation wird ihre Rechte nicht aufgeben; die iranische Nation besteht auf ihren nuklearen Rechten; die iranische Nation wird den Feind unter allen Umständen besiegen.
Sätze wie diese werden von den Führern der Islamischen Republik wie heilige Gesänge wiederholt, sei es beim Freitagsgebet oder vor den Vereinten Nationen. Doch hinter all diesen Beschwörungen verbirgt sich eine einzige Wahrheit: Die angerufene Nation ist in Wirklichkeit eine einzige kleine Gruppe, die entscheidet, unterdrückt, foltert, Menschen wie Jina Mahsa Amini tötet und lächelnd behauptet, diese Tat wäre der Wille des Volks gewesen.
Bei den offiziellen Anlässen der Islamischen Republik soll stets »das Volk« anwesend ist, wobei dieses »Volk« oft zum größten Teil nur aus Menschen besteht, die aus Furcht, Zwang oder Hunger anwesend sind. Am Jahrestag der Islamischen Revolution etwa zeigt das staatliche Fernsehen jedes Jahr stolz lange Schlangen »begeisterter revolutionärer Bürger«, welche die Straßen füllen – nur damit später klar wird, dass die Zahlen zu diesem Spektakel übertrieben oder völlig erfunden sind, genau wie die meisten Statistiken und Daten, die das Regime für jeden Anlass herausgibt.
Zwar nehmen einige wenige regimetreue Personen tatsächlich an diesen Feierlichkeiten teil, doch der Großteil der so stolz präsentierten Freude ist durch Drohungen und Bestechung erkauft: Hinter jeder kleinen Flagge, die eine zitternde alte Frau schwenkt, verbirgt sich ein Lebensmittelmarkenheft; hinter dem Lächeln jedes Soldaten im Fernsehen das Versprechen eines kurzen Urlaubs; hinter jedem Studenten, der Parolen ruft, die Angst, von der Universität abgelehnt zu werden.
Nichts als Schein
Außerhalb des Irans mag es nicht verwunderlich erscheinen, dass die Welt mittlerweile glaubt, die iranische Nation sei genau das, was die Regierung behauptet. Die Gründe dafür liegen auf der Hand.
Erstens kontrolliert die Islamische Republik jede einzelne Plattform, von Lautsprechern der Moscheen bis hin zum Satelliteninternet, das gestört und zensiert wird. Was das Publikum erreicht, ist eine sorgfältig bearbeitete Version der Realität. So, wie Hollywoodfilme immer mit dem Sieg des Helden enden, ist in den Sendungen des iranischen Fernsehens die Nation immer eins mit dem Regime und der »Feind« steht immer kurz vor der Vernichtung.
Zweitens sorgt die Abwesenheit unabhängiger internationaler Journalisten dafür, dass die Welt nur jenes Bild sieht, welches das Regime zeigen möchte. Jeder Journalist, der versucht, die Realität aus einem anderen Blickwinkel zu erfassen, wird entweder des Landes verwiesen oder wacht unter dem Vorwurf der Spionage in Einzelhaft auf. Der Iran ist kein Paradies für Dokumentarfilmer, er ist ein Gefängnis, in dem nur dem Regime genehme Personen zu Wort kommen dürfen. Der Rest verschwindet entweder oder wird zu Geiseln für zukünftige politische Verhandlungen. Das Mundtotmachen jeder Opposition dient auch dazu, den Westen glauben zu machen, das was das Regime verkündet, sei das, was die iranische Bevölkerung will – schließlich widersprich ja niemand öffetnlich.
In anderen Ländern zeigen zuverlässige Umfragen und Statistiken deutlich, was die Bevölkerung will oder ablehnt. Im Iran hingegen sind Statistiken wie zensierte Filme: Wo immer in ihnen die Wahrheit zum Vorschein kommt, wird sie herausgeschnitten. Würde man die Iraner eines Tages fragen, ob sie die Atompolitik befürworten, lägen die Ergebnisse dank der »begeisterten Beteiligung der Bevölkerung« vielleicht noch am selben Abend mit hundert Prozent Zustimmung vor. In der Islamischen Republik gehorcht die Wahrheit der Zweckmäßigkeit, und diese wird einzig in einem bestimmten Büro diktiert, dem des Obersten Führers Ayatollah Khamenei.
Natürlich ist die Armut der größte Verbündete dieses Spektakels. Für Menschen, die sich kaum ein Stück Brot leisten können, reicht das Versprechen einer Mahlzeit oder einer kleinen Geschenkkarte aus, um die Kameras des Regimes für ein paar Stunden mit einer »begeisterten revolutionären Nation« zu versorgen. Die Regierung weiß genau, wie sie Armut in Demonstrationen und Verzweiflung in künstliches Lächeln verwandeln kann. Jedes Mal, wenn sie Menschen auf die Straße bringt, präsentiert sie in Wirklichkeit leere Mägen, aber keine Überzeugungen.
Vor dem »Frau, Leben, Freiheit«-Aufstand glaubten viele Menschen weltweit wirklich, der Iran sei ein religiöses Land, dessen Bevölkerung die Hidschab-Pflicht akzeptiere und in dem alles nach revolutionären Idealen verlaufe. Aber der Tod von Jina Mahsa Amini riss diese Maske herunter und enthüllte eine Generation, die unter der frommen Fassade müde und wütend ist; eine Generation, die weder nach Urananreicherung noch nach ballistischen Raketen strebt, sondern einfach nur nach Luft zum Atmen.
Der bei den Protesten oft skandierte Ruf »Weder Gaza noch Libanon – mein Leben für den Iran« war in Wahrheit einfach eine Übersetzung von: »Wir weigern uns, weiterhin Schauspieler in eurem Theaterstück zu sein.« Doch nachdem die Proteste abgeklungen waren und die Unterdrückungsmaschinerie wieder in Gang gesetzt wurde, begann das Regime erneut, die ewig gleichen, abgedroschenen Parolen zu skandieren. Je stiller die Menschen, desto lauter die Parolen; je leerer die Tische, desto großartiger die Ideale.
Der Westen spielt mit
Heute hören wir wieder, dass »die iranische Nation bereit ist, Opfer zu bringen«, während dieselbe Nation in langen Schlangen ansteht, um Kartoffeln oder Medikamente zu kaufen, oder wegen der Energieknappheit im Dunkeln sitzt. In den Nachrichten sprechen Außenminister Abbas Araghchi und andere politische Vertreter über die »nuklearen Rechte des Volks«, während die Bevölkerung selbst nicht einmal ihre Stromrechnungen bezahlen kann. Für die internationale Gemeinschaft bleibt das Bild unverändert: eine Nation, die hinter ihrem Regime steht. In Wirklichkeit jedoch ist diese Nation hinter verschlossenen Türen eingesperrt, ihre Stimme wird ausgefiltert, bevor sie die Welt erreichen kann.
Die bittere Ironie dabei: Je stiller die Bevölkerung, desto lauter wird die Stimme der Regierung. Je mehr Proteste unterdrückt werden, desto mehr geht die Welt davon aus, dass alle zufrieden sein müssen, weil sie nur die Lobhudeleien des Regimes hört.
Und so kehrt auch der Westen bequem an den Verhandlungstisch zurück – nicht, weil er die iranische Bevölkerung hört, sondern weil er sie nicht hören will. Seine eigenen Interessen stehen an erster Stelle. Deshalb zieht er es vor, iranischen Funktionären zu glauben, wenn sie erklären, die ganze Nation stünde hinter ihnen.
Die wahren Rechte der iranischen Bevölkerung liegen nicht in der Anreicherung von Uran oder im Besitz von Langstreckenraketen. Ihre wahren Rechte sind Freiheit, Gerechtigkeit und ein Leben jenseits von Armut, Repression und Angst – Rechte, die den Iranern seit Langem verwehrt werden. Der Iran ist ein Land mit einer glorreichen Geschichte und einer Bevölkerung, die sich wiederholt gegen Tyrannei aufgelehnt hat. Die vielleicht größte Tragödie besteht heute darin, dass ihre Stimme inmitten des Lärms der Politik und Propaganda verstummt ist.
Beitrag zuerst erschienen auf Mena-Watch