30.05.2017

31. Mai: Eine Torte für Koschmieder

Heute vor 20 Jahren erscheint die zweite Ausgabe der doppelseitigen Streikzeitung jungle World. Der Streik und die Betriebsbesetzung dauern nun schon zehn Tage. Nacht für Nacht schlafen die Redakteurinnen und Redakteure auf Isomatten in der Redaktion, verlassen das Gebäude kaum.

 

In den Tagen zuvor sind zwei Schlichtungsversuche gescheitert: Am 24. Mai findet ein Gespräch unter Leitung des politischen Vermittlers Thomas Kuczynski in den Räumen der IG Medien statt. Als gewerkschaftlicher Vermittler fungiert Günter Frech. Das Gespräch dauert neun zähe Stunden und endet ohne Ergebnis. Frech fasst düpiert zusammen: »Der Sinn von Vermittlungsverhandlungen war der Seite des Verlags nicht vermittelbar.« Das Gespräch soll am nächsten Tag fortgesetzt werden, aber Koschmieder ließ den Termin platzen.

 

Das Gespräch dauert und dauert, aber Koschmieder erklärt, es gebe für ihn keine Kompromissmöglichkeit – und bekommt von Redakteur Ivo Bozic eine Torte ins Gesicht.

 

Zweiter Versuch, am 29. Mai, dem neunten Tag des Streiks: Der vorletzte DDR-Ministerpräsident, Hans Modrow, versucht, in Einzelgesprächen zwischen den Parteien zu vermitteln. Modrow war von der streikenden Redaktion als Vermittler vorgeschlagen worden, weil sie damit rechnete, dass er für die Koschmieder-Gruppe akzeptabel sei und vielleicht Einfluss haben könne. Koschmieder erklärte, dass er keine weitere Vermittlung wünscht. Modrow resümiert: »Koschmieder verhält sich im gegenwärtigen Streit als Eigentümer und will seine Position durchsetzen; dies ist jedoch keine Konfliktlösung.«

 

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Die zweite Ausgabe der Streikzeitung. Seite 2

Bild:
Archiv 2. Juni

 

Am 31. Mai findet in der TU Berlin eine Podiumsdiskussion im Rahmen des Benno-Ohnesorg-Kongresses mit Dietmar Koschmieder für die Seite des Verlags und Jürgen Elsässer für die Seite der Redaktion statt. Das Gespräch dauert und dauert, aber Koschmieder erklärt, es gebe für ihn keine Kompromissmöglichkeit – und bekommt von Redakteur Ivo Bozic eine Torte ins Gesicht. An eine Übereinkunft glaubt inzwischen kaum noch jemand. Bei den zahlreichen Verhandlungen und Gesprächen mit Anwälten und der IG Medien geht es nur noch um etwaige Abfindungen und rechtliche Fragen.

 

Vor den Toren von Verlag und Redaktion findet eine Kundgebung gegen Koschmieder statt, unterstützt von vielen radikalen Linken, vor allem aus dem autonomen Spektrum und der »IG Medien«-Jugend. Es wird versucht, durch eine Blockade die Auslieferung der im selben Haus gedruckten Notausgabe der jungen Welt zu verhindern.

 

Die Redaktion wird in diesen Tagen von vielen Unterstützerinnen und Unterstützern besucht, die unter anderem auch einen netten Cocktail-Abend für die Streikenden organisieren.

 

#20yearsofjungle