Die Not der Bilder

Tagebuch zum Krieg. Dritter und letzter Teil. von harun farocki

6. April 2003

(Toronto) Ein kanadischer Nachrichtenkanal mit ähnlichem Design wie CNN, auf dem Hauptbild spricht ein Arzt über Sars, auf dem Nebenbild erscheinen Autobahnbilder aus der Region, die eine Bildunterschrift jeweils lokalisiert. Es hat einen heftigen Schneefall gegeben, und diese Bilder sollen die Verkehrsverhältnisse dokumentieren. Für einen Augenblick glaube ich, sie zeigten den Vormarsch der Seuche und zugleich den Vormarsch der Koalition auf Toronto. Seit Beginn der Invasion haben wir aus dem Irak Bilder von ähnlicher Banalität gesehen, denen kaum mehr abzulesen war als Wetter und Verkehrsdichte. Das Wissen, das seien Kriegsbilder, hat uns in Spannung gehalten. Die Kommentar-Stimmen haben zu der Spannung beigetragen, indem sie von »unerwarteten Schwierigkeiten« und einem »Widerstand, stärker als erwartet« sprachen. Das ging mir ein, wohl im Kinderglauben, das Unrecht des Angriffs werde sich rächen, gleich oder irgendwann.

7. April 2003

Im Toronto Star das Foto eines US-Panzers, in starker Untersicht gegen einen hellblauen Himmel, von dunkelgrauen Wolken oder Rauchschwaden durchzogen. Auf der Luke des Panzers am Bildrand rechts steht ein irakischer Soldat und hält Ausschau, am Bildrand links balanciert ein zweiter sehr sicher auf dem Kanonenrohr von etwa zwanzig Zentimetern Durchmesser, seine Jacke weht auf und die rechte Hand hält eine Waffe gesenkt, die linke ist zum Victory-Zeichen erhoben. Dabei schaut er aus dem Bild nach links oben. Die Bildunterschrift sagt, der M-1-Abrams-Panzer sei bei einem Kampf an der Stadtgrenze von Bagdad von einer Granate getroffen und aufgegeben worden. Das Bild hält keine Pose fest, sondern friert einen Moment aus einer unver-ständlichen, mit Selbstgewissheit ausgeführten Handlung ein. Die Untersicht und der dramatische Himmel erinnern an ein Schlachtengemälde. »A coalition plane later swooped in and destroyed the tanks remains.« Das ist symbolische Politik: ein kaputter Panzer wird zerstört, damit man mit ihm kein »Schindluder« treiben kann, damit die Panzer-Leiche nicht weiter geschändet werden kann.

8. April 2003

Anders als in den USA ist hier in jeder Bar der Krieg auf dem Bildschirm anwesend. Im Frühstückscafé ein kanadischer Kanal, auf dem links Straßenbilder aus Bagdad und rechts Highways aus der Region Toronto zu sehen sind.

9. April 2003

Im Traum: Wir fuhren mit einem Bus zu so etwas wie einem politischen Seminar. Jemandem war es gelungen, den alten Hitler aufzutreiben. Er saß mit uns im Bus und sah sich ein bisschen ähnlich, aber auch teilweise überhaupt nicht. Ich versuchte, sein Alter auszurechnen, und witzelte mit ihm rum: »Haben Sie dich angerufen oder Eva Braun?« Ich duzte ihn absichtlich. Wir kamen überein, dass er nicht echt sein kann. Mein Freund Christian Petzold sagte: »Würden Sie diesem Mann ein gebrauchtes KZ abkaufen?«

Das ist natürlich ein Tagesrest. Am Vorabend hatten wir das Video mit bin Laden oder seinem Wiedergänger gesehen. Außerdem hatte Hitler am Ende Sorge, man könne mit seiner Leiche »Schindluder« treiben.

11. April 2003

Erinnerung an einen Satz von Jan Stage: Früher wurden Kriege geführt, um sich etwas unter den Nagel zu reißen, heute, um einen Antrag auf Kredit bei der Weltbank vorzubereiten. Umfrage auf CNN: Ist der Krieg erst dann gewonnen, wenn wir S.H. haben (tot oder lebendig) oder wenn er aus dem Amt ist? 51 Prozent zu 49 Prozent.

Rhetorik des Unzureichenden

Sieben US-Soldaten werden aus der Kriegsgefangenschaft entlassen/befreit. Eine Videokamera hat vom Ereignis etwas aufgenommen, zwei Krankenwagen, die nebeneinander herfahren, und die Soldaten selbst, die einen Platz überqueren. Die Bilder wurden per Videophone übermittelt. Jetzt werden sie in Zeitlupe wiederholt, zu einem Kommentar, der das Ereignis wiedergibt. Genau das sieht man ständig auf »unabhängigen Filmfestivals«, ein Bild das nicht viel sagt, technisch herabgesetzt zum Ziel der Überhöhung, oft wiederholt, um überdeutlich zu machen, dass die großen Momente keine Bildentsprechung finden. Bei diesem CNN-Beitrag macht diese rhetorische Figur einigen Effekt, denn die Produzenten handeln aus reiner Bildernot und wollen das nicht beschönigen.

Augenbinde

Woher kam der Kran, mit dem das Standbild Saddams in Bagdad umgerissen wurde? Dass jemand zuvor der Figur eine US-Fahne um das Gesicht gewickelt hatte, könnte ein schiefes Bild ergeben. Oder die Fahne soll eine Augenbinde bedeuten, wie man sie dem Verurteilten vor der Hinrichtung umlegt.

Erfolg

Am 7. April gab die CIA den Hinweis, Saddam und seine Söhne Udai und Qusay hielten sich in einem bestimmten Gebäude auf, ein B-1-Bomber flog hin und warf eine 900-Kilogramm-Bombe drauf, die einen 18 Meter großen Krater riss. Rumsfeld sprach von einem außerordentlichen Erfolg. Ob die Familie Saddams getroffen wurde, wurde nicht weiter verfolgt. Mindestens 14 Zivilisten waren tot und das Sprüchlein vom Bedauern darüber wurde vergessen. Da die Präzision der Waffen in diesem Krieg ständig gerühmt wurde, kann der Erfolg nicht darin liegen, dass die Bombe ihr Ziel nicht verfehlte. Läge er darin, dass es gelang, eine Aufklärung des Geheimdienstes schnell zum Militär zu kommunizieren, würde Rumsfeld das kaum öffentlich machen wollen.

Reporter des Pentagon durften mit zwei Mitgliedern der Bomberbesatzung ein Telefoninterview machen, das auch sogleich auf CNN ausgestrahlt wurde. Captain Wachter und Lieutenant Swan erzählten von Adrenalinstößen und Stolz. Üblicherweise wird nicht öffentlich gemacht, wer wohin eine Bombe wirft. Bei einer standrechtlichen Erschießung gibt es sogar den Brauch, ein Gewehr mit einer hölzernen Kugel zu laden, sodass jeder im Kommando denken kann, er habe den Tod nicht verursacht.

Uniform-Mode

Polizeiuniformen haben keine Anmutung, im Kino sind die Polizisten ohne Uniform die Helden und die in Uniform die Witzfiguren, wie die Keystone-Cops zu Stummfilmzeiten. Wenn das Projekt einer Weltpolizei sich durchsetzt, müsste auch Madonna wieder die Uniform ablegen und sich zivilisieren. Vielleicht kriegen wir im Kino bald eine gut choreografierte, herumpurzelnde Weltpolizei zu sehen.

Zeit-Politik

1991 begleitete das nicht private Fernsehen in Deutschland den Krieg gegen den Irak exzessiv, und als er vorbei war, behielt es das »Frühstücksfernsehen« bei. Kein Feind kann für die Ausdehnung der Sendezeiten und die Vermehrung der Kanäle verantwortlich gemacht werden. Nach der Theorie des Partisanen versucht der Schwache, den Starken zu schwächen, indem er dessen Aufmerksamkeit bindet. In der selbst auferlegten Zerstreuung beim Dauerfrühstück ist ein Gegner entworfen, dessen Bild nicht zu fassen ist.