Zahlreiche europäische Banken sind in Wäsche russischen Schwarzgeldes verwickelt

Waschen bei 360 Grad

Bei der Wäsche russischen Schwarzgeldes ist es zu einer fast gesamteuro­päischen Zusammenarbeit gekommen.

Es ist kaum mehr der Rede wert: Weder die Bourgeoisie noch ihre Brüder und Schwestern im Lifestyle, die mit Rohstoffen handelnden Rentiers oder Kriminellen an den Spitzen der Syndikate, haben große Lust, die Staaten zu finanzieren, die sie nach ihren Interessen mit geformt haben. Enthüllung folgt auf Enthüllung und findige Juristen und Bankiers entwickeln in Zusammenarbeit mit an Kapitalzuflüssen interessierten Regierungen permanent neue Steuersparmodelle und Geldwäschesysteme, deren Transaktionen immer abenteuerlicher werden und die längst global operieren. Auch bei den neuesten Veröffentlichungen über die »russische Geldwaschmaschine«, wie der Skandal von den enthüllenden Journalisten des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) benannt wurde, verhält es sich im Kern kaum anders. Als Marxist könnte man immerhin noch die berühmte Fußnote aus dem »Kapital« zitieren, in der Marx zustimmend P. J. Dunnings Diktum wiedergab, dass die Kapitalisten für 100 Prozent Profit alle menschlichen Gesetze unter ihrem Fuß zerstampfen würden und bei 300 Prozent kein Verbrechen existiere, das nicht riskiert würde, »selbst auf Gefahr des Galgens«, wie es dort heißt. Hier also könnte man abbrechen.

Nach den Zahlen von Transparency International werden Jahr für Jahr über 100 Milliarden Pfund an Schwarzgeld in London gewaschen – lediglich 0,17 Prozent davon wurden im vergangenen Jahr beschlagnahmt.

Im aktuellen Fall ist allerdings darüber hinaus nicht nur die erstaunliche Akribie russischer krimineller Oligarchen und ihrer Berater in der Londoner City bei der Geldwäsche interessant, sondern auch, dass einige Staaten der Europäischen Union, darunter Deutschland, eine gewichtige Rolle spielen. Die Daten, die bereits 2014 der russischen Tageszeitung Nowaja Gazeta zugespielt wurden und seitdem von Mitarbeitern von Medien aus 32 Staaten ausgewertet werden – federführend waren unter anderem der britische Guardian und die Süddeutsche Zeitung (SZ) –, offenbaren ein transeuropäisches System der Geldwäsche, das selbst Fachleute überrascht hat. Gegenseitig vergebene Scheinkredite an Briefkastenfirmen in Großbritannien, für die über Schwarzgeld verfügende russische Unternehmen und Privatpersonen aus Moldau gebürgt hatten und die von britischen Banken vermittelt wurden, wurden über einen offenbar involvierten moldauischen Richter zu Schuldtiteln, die dann von den Bürgen an sich selbst bezahlt wurden. Das Geld landete schließlich blütenweiß auf lettischen und moldauischen Geschäftskonten, von wo aus die russischen und in geringerem Maße auch moldauischen Eigner überall in Europa auf Einkaufstour gehen konnten. »Die Liste liest sich wie ein Luxus-Einkaufszettel: Rolex-Uhren für eine halbe Million, getunte Autos, teure Kleidung«, schreibt Hannes Munzinger dazu in seinem Artikel in der SZ.
Von 2010 bis 2014 ist so Schwarzgeld in Höhe von mindestens 20,7 Milliarden US-Dollar aus Russland in die Europäische Union geflossen. Dies dürfte lediglich die Spitze des Eisbergs darstellen und erlaubt zudem einen Einblick in die derzeitige Struktur der russischen Volkswirtschaft. »Geldwäsche ist das größte Geschäftsfeld in Russland«, zitiert der Guardian einen anonymen Informanten, der lange Jahre für russische Banken gearbeitet hat: »Man stiehlt dieses Geld aus den öffentlichen Haushalten. Nun hat man das dreckige Geld und man muss etwas damit tun.« Die gesamte russische Wirtschaft liege im Sterben, heißt es weiter, und Schmiergelder, umgeleitet zumeist aus den Öl- und Gasgeschäften, seien eine der größten Einkommensquellen der staatlichen und wirtschaftlichen Führungsschicht. So sei es nur logisch, dass die Organisatoren der Geldwäsche über großen politischen Einfluss verfügen. Dass Wladimir Putins Cousin, Igor Putin, bis 2014 im Vorstand der RZB-Bank saß, über deren Konten große Summen des Schwarzgeldes liefen, stützt diese Aussage.

Sollten die Eigentümer der Gelder eines Tages bekannt werden, es wäre vermutlich das Who’s Who der russischen Oligarchie. Dass es bei Bekanntwerden solcher Skandale einige Beteiligte erwischt, dürfte jedenfalls dem Geschäft keinen Abbruch tun. Den Galgen haben weder der 2015 verurteilte Vorsitzende der RZB-Bank, Aleksandr Grigorjew, noch der zuletzt angeklagte ehemalige Vertraute Putins und frühere Vorstandsvorsitzende der staatlichen Eisenbahngesellschaft, Wladimir Jakunin, zu erwarten – wohl aber einige Jahre Haft. Ihre lukrativen Stellen werden dann mit anderen, vermutlich nicht weniger korrupten Personen besetzt. Wie stark die Lobby der Geldwäscher in Russland immer noch ist, musste die in Großbritannien ermittelnde National Crime Agency (NCA) erfahren. Dem Guardian sagte ihr leitender Ermittler, David Little, russische Stellen kooperierten nicht genug, um die Namen der involvierten Personen in Erfahrung zu bringen. Auch darüber, aus welchen kriminellen Machenschaften das Geld käme, schwiegen sich die russischen Ermittler aus. So ist bisher lediglich der Kunsthändler und Betreiber patriotischer Museen in Russland, Wadim Sadoroschnyj, den britischen Ermittlern ins Netz gegangen. Und dies auch nur, weil sein in England studierender Sohn in den sozialen Medien allzu eitel mit seinen Autos, Luxusartikeln aller Art und spektakulären Reisen prahlte.

Aber auch im Mutterland des Kapitalismus und der Geldwäsche dürften mittelfristig die Ermittlungen im Sande verlaufen. So flossen zwar immerhin 738 Millionen US-Dollar durch 17 britische Banken oder deren Filialen vor allem in Lettland, allerdings wird in Großbritannien traditionell die City of London als wichtigster nationalökonomischer Bestandteil des Vereinigten Königreichs sehr lax kontrolliert. Offenbar will die britische Regierung die Kapitalströme dorthin keinesfalls beeinträchtigen. Thront doch das Vereinigte Königreich, berechnet man die vollständig von der City of London abhängigen Steuersparinseln des Commonwealth mit ein, auf Platz eins im 2015 veröffentlichten Ranking der Steuerparadiese des Tax Justice Network. Nach den Zahlen von Transparency International werden Jahr für Jahr über 100 Milliarden Pfund an Schwarzgeld in London gewaschen – lediglich 0,17 Prozent davon wurden im vergangenen Jahr beschlagnahmt. Trotz aller Beteuerungen der vergangenen Jahre, dieses Geschäftsfeld schließen zu wollen, ist bisher nichts passiert. Der Labour-Abgeordnete Ian Austin kommentierte die alibihaften Ankündigungen verschärfter Kontrollen nach der Debatte der vergangenen Woche im britischen Unterhaus sarkastisch: »Wir können genauso gut nach Heathrow gehen und Willkommensschilder für russische Mörder und Geldwäscher hochhalten.«

Gleiches könnte man aber auch an den Flughäfen Frankfurts oder Münchens tun. Denn auch über deutsche Institute – allen voran über die Commerzbank und die Deutsche Bank – wurden über 66 Millionen Euro geschleust. Und damit nicht genug. Bis 2015 firmierte die Deutsche Bank als Korrespondenzbank sowohl für die lettische Trasta Komercbanka als auch die moldauische Moldindconbank, den beiden hauptverantwortlichen Finanzinstituten, und regelte damit deren internationalen Zahlungsverkehr. Erst als diesen von ihren Aufsichtsbehörden rigorose Einschränkungen aufgezwungen wurden, stieg die Deutsche Bank aus. Ersetzt wurde sie im Falle der Trasta Komercbanka für ein Jahr – bis die Europäische Zentralbank ihr endgültig die Lizenz entzog – von der staatlichen Bayerischen Landesbank. 

Auch dass sich die Einkaufstouren zu einem beträchtlichen Teil in der Bundesrepublik abspielten, hat Gründe. Der Standort, der in der Liste der Steuerparadiese immerhin den achten Rang einnimmt und damit vor Panama, den Bahamas und Liechtenstein liegt, ist mittlerweile berüchtigt dafür, dass bei Immobiliengeschäften, Firmenbeteiligungen oder schnödem Konsum kaum beziehungsweise überhaupt nicht hingesehen wird, aus welchen Quellen das Geld stammt. Auf der Website des Bundesfinanzministeriums wird dafür sogar Werbung gemacht. Nur durchschnittlich alle 97 Jahre müssten Firmen in der Bundesrepublik damit rechnen, vom Finanzamt überprüft zu werden, heißt es dort. Sollte der britische EU-Austritt also am Ende tatsächlich die Bedingungen für illegale Kapitaltransfers erschweren, steht die Bundesrepublik bereit. In Russland zumindest hat man das offenbar längst registriert.