New York ist weit weg

Voss ist draußen und kommt jetzt regelmäßig. Aber besser als die Stadt, in der sie
erscheint, kann die Berliner Zeitschrift nicht sein. von jörg sundermeier

Fast alle sind gewillt zu loben. Der Branchenreport ebenso wie die großen Zeitungen. Das liegt zum einen am Namen. Voss, ein neues Vierteljahresmagazin für Berlin, das in der vergangenen Woche zum ersten Mal an die Kioske ging, erinnert an die Vossische Zeitung aus dem Verlagshaus Ullstein, die bis 1934 erschien und mit ihren direkten Vorgängerblättern auf eine mehr als dreihundert Jahre währende Geschichte verweisen konnte. Man nannte die Vossische Zeitung die »alte Tante Voss«, sie gehörte im Berliner Bürgertum gewissermaßen zur Familie. In der Vossischen Zeitung veröffentlichten große Dichter und Denker, sie prägte gemeinsam mit der Frankfurter und der Prager Zeitung den Begriff des Feuilletons, sie ist von den Nazis eingestellt worden, da sie in einem jüdischen Verlagshaus erschien, sie stand für eine liberale, bürgerliche Intellektualität. Seit sie geschlossen wurde, hat Berlin eine derartige Zeitung nicht mehr zu Gesicht bekommen, selbst die Berliner Zeitung und der Tagesspiegel, so sehr sie sich phasenweise auch mit der Washington Post und anderen Blättern vergleichen mochten, kamen aus ihrer Fixierung auf Berlin und der damit einhergehenden Kiezberichterstattung und Piefigkeit nie heraus.

Die neue Voss, die nicht »der Voss« genannt werden möchte – Voss ist ein niederdeutsches Wort für Fuchs –, erinnert zudem einerseits mit ihrem Format und andererseits explizit im Editorial an Berliner Magazine der zwanziger Jahre wie den Uhu oder den Querschnitt, die das Auftreten der Illustrierten in Deutschland maßgeblich bestimmten und noch immer als vorbildlich gemacht gelten.

Voss, das Magazin im Handtaschenformat, lässt allerdings ebenso an Das Magazin denken, die einzige Berliner Illustrierte aus den zwanziger Jahren, die bis jetzt existiert – und deren guter Ruf heute vor allem darauf gründet, dass Das Magazin in der DDR die einzige Zeitschrift war, die Aktfotos abdruckte. Ansonsten finden sich im Magazin Geschichten von zum Teil bekannteren Autoren, viel Erotisches und kleine Meldungen. Es ist hübsch belanglos. Die Datschen, in denen es noch gelesen wird, erreicht es wohl vor allem, weil Reader’s Digest noch nicht angeklopft hat.

Die vorliegende Ausgabe der Voss ist ebenfalls hübsch aufgemacht und ziemlich belanglos. Zwei der vier größeren Texte erschienen zuvor in Tageszeitungen. Gabriele Goettles Reportage über die Rohrpostsysteme in der Charité wird aus der taz nachgedruckt, Jakob Augsteins Betrachtungen zu Lessing war, zuerst in der Süddeutschen zu lesen. Horst Bosetzky, besser bekannt als »-ky«, steuert eine etwas öde Kriminalgeschichte bei, die Coverstory widmet sich John F. Kennedy, der bekanntlich Berliner war, und über den gerade eine Ausstellung im Deutschen Historischen Museum stattfindet. Dazu kommt ein Artikel zum 17. Juni, der indes nach dem Gedenktag erscheint. Es gibt des Weiteren ein Gedicht von Georg Heym, der vor 90 Jahren in der Havel ertrank, und eines von Tom de Toys, der die Berliner Slampoetry-Szene mit seiner »Poemie« erfreut. Viele Fotos, einige schlechte Cartoons. Und dann bietet das Heft noch eine »Berliner Chronik« der letzten drei Monate, die alles enthüllt, was Berlin ausmacht: Günther Pfitzmann ist tot, der Karneval der Kulturen hat stattgefunden, irgendwas war mit Nina Hagen. Es gibt eine sehr gute Fotoreportage aus Krematorien. Die Zusammenstellung der Artikel ist offensichtlich sehr willkürlich.

Alles in allem also ist diese erste Ausgabe der Voss nicht aufregend. Sie ist zum Teil sogar unprofessionell gemacht – etwa wenn allen Ernstes unter einer übernommenen Reportage steht: »Der vorliegende Artikel erschien in der Tageszeitung und wurde für den Nachdruck durch Voss in Magazin-Qualität illustriert.« Magazin-Qualität, was soll das sein? Noch ist die Redaktion klein, Voss ist vor allem das Unternehmen des Herausgebers Andreas Bock, die Telefonnummern sind – vorläufig, wie versichert wird – Hamburgische, außerdem hat man augenscheinlich keine bezahlten Anzeigen akquirieren können. Die erste Nummer ist in vielerlei Hinsicht eine Nullnummer, wie auch die »›Ausrisse‹ aus der Entwicklungsredaktion« verdeutlichen, die im Internet präsentiert werden. Sie zeigen ausnahmslos das, was später auch gedruckt wurde – nicht mal eine Reihe von verschiedenen möglichen Covern wird präsentiert. Gingen den Macherinnen und Machern die Puste aus oder jetzt schon die Ideen?

Wie dem auch sei – die »Berliner Zeitschrift« Voss wird überwiegend gelobt, lediglich die NZZ und die FAZ lehnen sie ganz und gar ab. Mit der Erinnerung an die Berliner Medienwelt der zwanziger Jahre ist das weniger zu erklären als vielmehr mit der Sehnsucht nach einer intellektuellen, kosmopolitischen Bürgerlichkeit. Zu gern, das ist allen Rezensionen von FR bis Süddeutsche abzulesen, hätte man einen deutschen New Yorker in der Voss entdeckt.

Der New Yorker allerdings ist eine Zeitschrift, die sich nicht nur einem Weltruf verpflichtet fühlt oder an vergangene Jahre in Manhattan erinnert. Der New Yorker ist aktuell, ein eingreifendes Blatt, es bringt Ausgabe für Ausgabe zum Teil hervorragende Essays, kümmert sich um den literarischen Nachwuchs und verweigert sich zugleich jedem Gerede um »Generationen« und dergleichen. J.D. Salinger oder Harold Brodkey veröffentlichten exklusiv im New Yorker, Art Spiegelman gestaltete einige der Cover, und diejenigen, die dort die Klatschspalten füllen, kennen offensichtlich mehr Gerüchte als die, die gestern Boulevardmagazine im Fernsehen gesehen haben. Der New Yorker hat Stil.

Das liegt selbstverständlich daran, dass es in New York jenes intellektuelle bürgerliche Leben gibt, das hier nur herbeigeschrieben werden kann – von Leuten, die sich selbst scheuen, an ihrer Bildung zu arbeiten. Daher ist das intellektuelle Leben in Deutschland, besonders aber in Berlin, stets eine unfreiwillige Parodie der Intellektualität. Und die hiesige Kulturszene ist ganz und gar geprägt von Kulturszenedarstellern, so wie die Berliner Kaffeehäuser nur höchst selten Zeitungen führen. Eine Kritik, wie sie Gotthold Ephraim Lessing pflegte und wie sie noch in den Feuilletons von Tucholsky nachklang, kann angesichts solcher geistigen Zustände kein Gehör finden, egal wie sehr die Voss sie auch lobt. Sie ist Vergangenheit, das zeigt sich schon darin, dass Voss selbst nicht umhin kann, Lessing einen »Großkritiker« zu nennen – und dieses Wort allen Ernstes für ein lobendes hält.

Wenn aber dem Bürgertum, oder das, was sich dafür hält, jeder Feinsinn abgeht, dann kann, beim besten Willen, ein Unternehmen wie Voss nicht mehr werden als ein Unterhaltungsblättchen. Vielleicht wird es aber ein gutes Blättchen – denn der Verleger Andreas Bock gesteht auf der Homepage nicht nur Fehler ein, sondern hat auch alle, selbst die vernichtenden Kritiken in den Pressespiegel aufgenommen. Darin findet sich eine gewisse Ehrlichkeit wieder, vielleicht sogar Ehrgeiz. Es ist also tatsächlich lobenswert, dieses kleine Blatt, dessen Existenz zumindest für zwei weitere Ausgaben gesichert sein soll.