Willkommene Ablenkung

Das deutsch-italienische Sommertheater kommt der rot-grünen Regierung gelegen.
So verstummt die Kritik an ihrer Politik. von thies marsen

Nun hat Stefano Stefani doch seinen Rücktritt eingereicht – und das auf dem Höhepunkt seiner politischen Laufbahn. Der italienische Tourismusstaatssekretär hat mit seiner Beschreibung deutscher Touristen als »einförmige, supernationalistische Blonde«, die »im Sommerurlaub lautstark unsere Strände bevölkern, besoffen von aufgeblasener Selbstsicherheit«, eine internationale Aufmerksamkeit und Popularität erreicht, die für einen Politiker aus der hinteren Reihe beachtlich ist. Ausgerechnet jetzt muss Stefani gehen.

Dabei müssten ihm eigentlich alle dankbar sein. Die Italiener dafür, dass er sich auszusprechen traute, was viele nur zu denken wagen, sein oberster Dienstherr, der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi, dafür, dass durch Stefanis Ausfälle sein eigener peinlicher Auftritt vor dem EU-Parlament erst einmal aus dem Blickfeld geriet. Und in Deutschland müssten nach dem Rücktritt Stefanis ohnehin die Trauerfahnen gehisst werden, jedenfalls vor sämtlichen Verlagshäusern und Regierungsgebäuden.

Hätte es Stefanis Bonmots nicht gegeben, man hätte sie erfinden müssen. Für die Boulevardpresse, die ihre Titelseiten tagelang mit falscher Empörung füllen durfte. Für’s bürgerliche Feuilleton, das mit betont ironischem Ton auf unzähligen Sonderseiten wahlweise die Jahrhunderte lange Verbundenheit oder die Jahrhunderte alten Vorurteile zwischen Italien und Deutschland beleuchten durfte.

Für die Demoskopen, die so wichtige Fragen unter’s Volk brachten wie: »Fahren Sie noch nach Italien?« oder »Muss der Kanzler jetzt in Hannover Urlaub machen?« Für unzählige Provinzpolitiker und Fremdenverkehrsamtsleiter vom Bodensee bis zur Kieler Bucht, die ihre Heimatregionen als die Alternative zum Italienurlaub anpreisen durften.

Und für die Bundesregierung sowieso. Eine bessere Vorlage hätte es gar nicht geben können als die wüsten Beschimpfungen der Deutschen durch Stefano Stefani. Nationalistische Ressentiments gegen Deutsche, Deutsche als Opfer – daraus lässt sich doch was machen, zumal von einem Populisten wie Schröder.

Wen interessiert noch der Angriff der rot-grünen Regierung auf das Gesundheitswesen oder die Rechte der Lohnabhängigen und Arbeitslosen, wenn der Bundeskanzler mit großem Tamtam seinen Italienurlaub absagt und, statt an die Adria zu fahren, am Maschsee in Hannover bleibt? Schröder kann sich sowohl der Zustimmung als auch des Mitleids seiner Landsleute sicher sein – auch wenn die meisten ihren eigenen Urlaub in Italien keinesfalls absagen werden.

Das deutsch-italienische Sommerloch-Spektakel ist eine nahezu perfekte Inszenierung – auch wenn dahinter wohl kein Masterplan steckt. Die Empörung der rot-grünen Prominenz von Schily bis Fischer über Stefanos Äußerungen dürfte sogar ziemlich echt sein. Definierte sich die derzeit regierende Toscana-Fraktion doch gerade darüber, dass sie sich selbst so lebensfroh-italienisch und gleichzeitig betont undeutsch gerierte. Und nun hält ihnen ein dahergelaufener Tourismusstaatssekretär wieder das Spiegelbild vom hässlichen Deutschen vor.

Ansonsten aber kann Schröders Mannschaft Berlusconi und Co. nur dankbar sein. Mit dem Verweis auf das ach so korrupte Italien, in dem die Demokratie, die Gewaltenteilung und die Meinungsfreiheit ausgehebelt würden, kann man noch von jeder eigenen Schweinerei ablenken – um zu Hause im Großen und Ganzen die selbe neoliberale, gewerkschaftsfeindliche und rassistische Politik zu betreiben.

Während in Berlusconis Italien die Aushebelung des Kündigungsschutzes noch Hunderttausende Demonstranten auf die Straße brachte, kann der Kündigungsschutz in Deutschland ohne großen Widerstand eingeschränkt werden. Wenn in Italien der Vorsitzende einer Regierungspartei fordert, mit Kanonen auf Flüchtlingsboote zu schießen, kann sich die deutsche Regierung empört als Vorkämpferin der Menschenrechte präsentieren. Dabei ist dieser Vorschlag nur die konsequente Fortführung des maßgeblich von Deutschland vorangetriebenen Ausbaus der Festung Europa.