Offener Machtkampf

In dem deutsch-italienischen Schlagabtausch geht es auch um die Frage,
wer in Europa das Sagen hat. von andreas dietl

Gewiss, die Darsteller in dem Stück, das auf der deutsch-italienischen Sommerbühne aufgeführt wird, sind theatralisch überhöht. Der pantalonehafte seggretario auf der einen Seite ist dem Namen –Stefano Stefani! – und der Physiognomie nach unschwer als ein Charakter der opera buffa erkennbar. Sein lautstarkes Krakeelen, sein Schwelgen in Fantasien von teutonischen Sauf- und Rülpswettkämpfen und seine Zugehörigkeit zu der Operettenpartei Lega Nord bestätigen nur, was man schon vermutete.

Sein Widersacher, der Deutschenkanzler, tritt im Gewande des Heroen wagnerschen Zuschnitts auf, der aus verletztem nationalem Ehrgefühl den wärmenden Strahlen der südlichen Sonne entsagt und sich schmollend in seinen Kyffhäuser zurückzieht.

Wäre es wirklich nur Sommertheater, dann könnte das noch eine ganze Weile so weitergehen, der Sommer und die italienische EU-Präsidentschaft haben schließlich gerade erst begonnen. Unsereins könnte sich an den leeren italienischen Stränden über die Fotos in der Bild-Zeitung freuen: Schröder neben seiner verbiestert dreinguckenden Gattin beim Bade im Steinhuder Meer.

So richtige Freude mag aber nicht aufkommen, und das liegt daran, dass die Darsteller in diesem Stück nicht so locker bei der Sache sind, wie wir das gerne von ihnen hätten. Das fängt bei Berlusconi an. Der verdiente zwar seine ersten Kröten als Alleinunterhalter auf Ausflugsschiffen, ist heute aber derart überzeugt von seiner Rolle als erfolgreichster Unternehmer seines Landes, dass er zu cholerischen Anfällen neigt, wenn jemand die zahlreichen Straftaten aufzählt, die nur wegen seiner politischen Ämter nicht verfolgt werden.

Berlusconi sieht sich schon im Glaskäfig eines italienischen Hochsicherheitsgerichts sitzen, und in seinen politischen Gegnern erkennt er nur noch diejenigen, die ihn dorthin bringen wollen. Der deutsche Europaabgeordnete Martin Schulz wusste das. Er ließ Berlusconi hochgehen und verdiente sich damit Ruhm und Ehre.

Hinter dem Schlagabtausch steckt jedoch mehr als nur verletzte Eitelkeit auf der einen und moralische Empörung über die Selbstbedienungsmentalität der italienischen Regierung auf der anderen Seite. Es handelt sich vielmehr um ein neues Kapitel der seit dem Irakkrieg schwelenden Auseinandersetzung über die Frage, wie die EU sich selbst und ihre Außenpolitik definieren soll.

Politiker wie Schröder, Fischer und der französische Präsident Jacques Chirac sind bei vergangenen Kriegen stets gut mit ihrer Doppelstrategie gefahren, sich einerseits an die Spitze der europäischen Truppen zu setzen, sich den Einsatz andererseits aber von den Vereinten Nationen, zumindest aber von der Nato moralisch legitimieren zu lassen.

Berlusconi entstammt dagegen wie der US-Präsident George W. Bush einer Unternehmertradition, die dergleichen immer nur als Kokolores empfunden hat. Berlusconi ist für klare Führungsrollen, international, im Staat wie im Unternehmen, und er ist der Meinung, dass solche Führer keiner anderen Instanz verantwortlich sein sollten.

Er ist überzeugt, dass die Welt um ihn herum aus Neidern besteht. An der Spitze der Neider sieht er Deutschland, die Heimat des unerträglichen Moralisten Kant und des lästigen Quälgeistes Schulz. Solche Leute würde Berlusconi am liebsten zermalmen, und wenn schon nicht tatsächlich, dann wenigstens verbal.

Auf der anderen Seite ist der Vernichtungswille vielleicht ein bisschen weniger brutal, aber sicherlich nicht weniger total. Überzeugte Europäer wie Schulz sehen rot, wenn Berlusconi vor sie tritt, sie werden dann blind für all die Demokratiedefizite auf europäischer Ebene, die sie und ihresgleichen sich überlegt haben, etwa für ein deformiertes Strafrecht und die Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten, die Rechte der Bürger im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus und die illegale Einwanderung einzuschränken.

Für die noch verbleibenden 24 Wochen der italienischen Präsidentschaft gilt: Alles Böse kommt aus Rom. Im Stillen hofft man darauf, dass Rom Europa auch den Gefallen tut und genug Böses kommen lässt, auf dass alles andere gut erscheine. Das Sommertheater deutet darauf hin, dass das Kalkül aufgehen könnte.