Der Mars macht mobil

Wo steht und was will die europäische Raumfahrt? Von Marcus Hammerschmitt

Wer zurzeit »europäische Raumfahrt« sagt, sagt im nächsten Atemzug meist »Esa« und »Ariane«. Das war nicht immer so. Vor der Esa (European Space Agency) gab es Eldo und Esro, und davor gab es Anstrengungen der einzelnen Staaten, wie z.B. die fast komplett vergessene Raketen-Frühgeschichte der BRD bis 1960.

Die Eldo (European Launcher Development Organisation) und die Esro (European Space Research Organisation) hatten in den sechziger Jahren das Ziel, Europa in der Weltraumforschung zu etablieren. Dazu braucht man zuerst und vor allem ein Trägersystem, sprich eine Rakete. Der Begriff Trägersystem erinnert nicht zu Unrecht an militärische Belange. Es kann gar nicht oft genug betont werden, wie eng die zivile und die militärische Raumfahrt miteinander verbunden sind.

Und so war auch die erste (britische) Stufe der dreistufigen Rakete, die zu Esro und Eldo gehörte, eigentlich eine Mittelstreckenrakete (»Blue Streak«). Die Zweitstufe (»Coralie«) kam aus Frankreich, die Drittstufe (»Astris«) aus Deutschland. Aber die »Europa«, wie die Rakete selbst genannt wurde, erwies sich als Fehlentwicklung, aus Gründen, die heute immer noch diskutiert werden. Fehlstarts, mangelnde Abstimmung der Entwicklungspartner und die zu geringe Nutzlast stellten den Sinn des Projekts in Frage. Als die Briten 1969 ausstiegen, war es eigentlich vorbei. Es wurde noch eine weitere Version, die Europa II, entwickelt, aber als ihr erster Start im Jahr 1971 fehlschlug, war endgültig Schluss.

Die Esa hatte im Vergleich zu Eldo und Esro einen geringfügig erweiterten Auftrag. Als zehn Staaten (BRD, Belgien, Spanien, Dänemark, Italien, Frankreich, Norwegen, Großbritannien, Schweden und die Schweiz) am 30. Mai 1975 in Paris das Gründungsdokument unterschrieben, wollten sie nicht nur das Debakel der »Europa« wettmachen, es ging vielmehr um eine Neuauflage des Programms mit mehr Biss.

Schon in der Namensgebung spiegelte sich der neue Ehrgeiz. Die Esa sollte von Anfang an mit der Nasa in Konkurrenz treten. Das ging natürlich nicht sofort. Für die ersten Raketenstarts musste sie noch die Unterstützung der Nasa in Anspruch nehmen. Aber als am im Dezember 1979 in Kourou (Französisch-Guyana) die Ariane I zu einem problemlosen ersten Flug abhob, begann eine Erfolgsgeschichte.

Sie hatte mehrere Ursachen. Bei der Arianespace (der Firma, die die Ariane startet) konzentrierte man sich zunächst auf den wirtschaftlichen Erfolg versprechenden Satellitensektor. Ihre Strategie des Doppelstarts von Satelliten, der schnellen Bereitstellung startfertiger Raketen und der konsequenten Weiterentwicklung des Trägersystems von der Ariane I zur Ariane V machte Arianespace zu einem Global Player im ständig expandierenden Satellitengeschäft.

Als die USA in den achtziger Jahren wegen Verzögerungen bei der Bereitstellung des Space Shuttles und wegen der Challenger-Katastrophe in Verzug gerieten, waren die Europäer nur zu gern bereit, die Marktlücke zu füllen. Der Markenname Ariane war schon sehr gut eingeführt, als die Ariane IV 1988 zum ersten Mal abhob. Bis heute hat sie 116 Starts absolviert (davon nur drei Fehlstarts) und dabei 186 Satelliten ausgesetzt (die Starts für wissenschaftliche Satelliten und Raumsonden im Auftrag der Esa eingerechnet).

Hauptsächlich wegen der Ariane IV hält Arianespace einen Anteil von 50 bis 60 Prozent aller kommerziellen Starts auf dem wichtigen Markt der Satelliten im geostationären Orbit, d.h. einer Umlaufbahn, auf der sich der Satellit synchron mit der Erde um ihre Achse dreht. Der Startplatz der Ariane in Kourou eignet sich für diesen Zweck besonders. Doch es gab auch Rückschläge. Als die Esa Anfang der neunziger Jahre meinte, neben einer eigenen Raumstation (Columbus/MTFF) auch einen eigenen Raumgleiter (Hermes) an den Start bringen zu müssen, scheiterte sie. Die Entwicklungskosten stiegen derart, dass das Projekt 1993 aufgegeben werden musste.

Übrig blieb ein Trägersystem, das eigentlich dazu gedient hätte, Europas Platz auch in der bemannten Raumfahrt zu sichern (die Ariane V). Aber ausgerechnet mit ihm gibt es derzeit die größten technischen Probleme. Die bemannte Raumfahrt bereitet der Esa Sorgen. Zwar waren bisher 30 europäische Astronauten im All, aber sie bedurften dazu russischer oder amerikanischer Unterstützung.

Dennoch ist die Esa heute die zweitgrößte Raumfahrtorganisation der Welt. Die Strategie der Expansion lässt sich nicht nur an der Zunahme der Mitgliedsländer ablesen – heute sind es 15, und Kanada ist interessanterweise eines davon, wenn auch nur mit einem Kooperationsstatus. Die Esa war schon immer auf internationale Zusammenarbeit ausgerichtet. Ihr Flugkontrollzentrum in Darmstadt (Esoc) mag bescheidener als das der Nasa in Houston sein, aber es arbeitet nicht nur mit Bodenstationen in Villafranca (Spanien), Fucino (Italien) und Redu (Belgien) zusammen, sondern auch in Ibaraki (Japan), Malindi (Kenia) Carnavon (Australien) und eben Kourou.

Weitere wichtige Teilorgane der Esa sind Estec, das Europäische Weltraumforschungs-und Technologiezentrum in Noordwijk (Niederlande), Esrin, verantwortlich für wissenschaftliche und technische Informationsdienste sowie für »Empfang, Vorverarbeitung, Archivierung und Verteilung von Fernerkundungssatellitendaten« mit Sitz in Frascati (Italien) und, als zweite zentrale Einrichtung in Deutschland, das EAC, das Europäische Astronautenzentrum in Köln-Porz. Das Auswärtige Amt nennt sie nicht ohne Stolz die »home base des europäischen Astronautencorps«.

Zu den wichtigsten aktuellen Programmen der Esa gehört die Weiterentwicklung der Ariane V, die Entwicklung und Stationierung des Satellitennavigationssystems Galileo sowie des wenig diskutierten Schwesterprogramms GMES, das sich zumindest teilweise auf Galileo-Hardware stützen wird. Es soll die Aufgabe haben, aus dem All Umweltkatastrophen und, wie es heißt, »massive Flüchtlingsbewegungen« zu identifizieren und zu dokumentieren.

Im Vergleich zu diesen beiden Projekten ist die Anfang Juni gestartete Marsmission »Mars-Express« weniger wichtig. Sie erwies sich aber als propagandawirksam, da die amerikanische Konkurrenz (»Mars Rover«) wegen Startschwierigkeiten erst zehn Tage später abheben konnte.