Nichts gegen Amerika

Über deutschen Antiamerikanismus und linke Gewissheiten. Von Michael Hahn

»Wir grüßen die Friedensbewegung in den USA. Wir demonstrieren nicht gegen die amerikanische Bevölkerung, sondern gegen die Politik ihrer Regierung. Wir haben nichts gegen Amerika.« Dieser Textbaustein tauchte im vergangenen Winter auf zahllosen Kundgebungen und Flugblättern gegen den bevorstehenden Irakkrieg auf. Linker Antiamerikanismus? So ein Blödsinn.

Doch dann wurde ausgepackt. Mutig (»man wird ja wohl noch sagen dürfen …«) verkündeten Demo-Redner unterdrückte Wahrheiten, die mittlerweile auf jedem zweiten Spiegel-Cover zu betrachten sind. Die »Bush-Krieger«, die Cowboys und Kreuzritter sind wieder los. Die Politik in den USA wird sowohl von Ölkonzernen als auch von religiösen Fanatikern bestimmt. Die US-Administration handelt unilateralistisch, aber die Schröder-Regierung stärkt das Völkerrecht mit ihrer Ankündigung, sie werde sich nicht weiter um ein etwaiges Mandat des UN-Sicherheitsrats scheren. Unter der Parole »Kauft nicht vom Ami!« ruft ein linker Kleinverlag unter »www.usa-boykott.de« dazu auf, statt bei Kentucky Fried Chicken lieber beim Wienerwald einzukehren.

Offensichtlich wird hier mit zweierlei Maß gemessen. Während des Kosovo-Krieges versammelten sich 1999 in Deutschland nur kleine Häufchen linker Demonstranten, obwohl auch jener Krieg gegen das Völkerrecht verstieß und obwohl auch damals leicht durchschaubar war, wie mit gefälschten Beweisen ein Kriegsgrund konstruiert wurde. Dass vier Jahre später Hunderttausende protestierten, legt den Verdacht nahe, dass es die meisten nicht in erster Linie »gegen Krieg« sondern gegen den Krieg der Amerikaner auf die Straße trieb.

Nun ist unter Linken durchaus umstritten, ob der Begriff »Antiamerikanismus« überhaupt etwas taugt. Damit soll doch nur die berechtigte Kritik an den USA niedergebügelt werden, heißt es. Doch auch unter Linken kursieren antiamerikanische Stereotype, und sie sind keine einzelnen Ausrutscher, sondern durchaus linke Theoriedefizite.

Manche Klischees reichen bis in die Romantik zurück. Fast 200 Jahre lang wurden sie vor allem von der europäischen Rechten gepflegt, die in den demokratischen Ansprüchen, in der egalitären »Vermassung« und in der Populärkultur der USA eine Bedrohung für ihre eigene Herrschaft sah. Erst mit dem Vietnamkrieg und der Revolte der sechziger Jahre hat auch eine linke, antiimperialistische Version des Antiamerikanismus an Bedeutung gewonnen, nach der die USA alle Übel des weltweiten Kapitalismus verkörpern. Dort schlug das »Herz der Bestie« (Che Guevara), während sich die Neue Linke in revolutionärer Unschuld auf die Seite des »Trikonts« mit seinen nationalen Befreiungsbewegungen stellte. Ein schlichtes Gut-Böse-Schema, an dem sich übrigens auch viele US-Linke orientieren.

Immerhin muss man aus deutscher Sicht den linken antiamerikanischen Amerikanern eines zugute halten. Sie folgen der guten alten Parole vom »Hauptfeind« im eigenen Land – oder auf Schwäbisch: vor der eigenen Haustüre, vor der zuerst zu kehren ist. Diese Parole haben sich ihrerseits die deutschen Antideutschen zu Eigen gemacht. Mit ihrer ätzenden Kritik an der Linken haben sie zu einer selbstkritischen Diskussion über Antiamerikanismus (ebenso wie über Antisemitismus und Antizionismus) beigetragen. Doch aus lauter Verzweiflung über die eigene Gesellschaft werfen sich etwa die Leute um die antideutsche Berliner Zeitschrift Bahamas nun einem neuen Vaterland an die Brust: Mit US-Flaggen suchen sie deutsche Friedensdemonstranten zu provozieren und feiern George Bush als »Man of Peace«.

Dabei machen die Antideutschen denselben Fehler wie die Antiamerikaner (wenn auch unter umgekehrtem Vorzeichen). Beide messen die USA mit einem besonderen Maßstab. Während Antiamerikaner die USA mit Kapitalismus und mit Dekadenz identifizieren, preisen die Antideutschen Amerika als Inbegriff der »westlichen Zivilisation«. So bejubeln sie die Bomben auf Kabul und Bagdad und erhoffen sich davon die Voraussetzung für »Fanta statt Fatwa«, für Konsum und Demokratie für alle. Am Ende laden »antideutsche Kommunisten« zur freundschaftlichen Podiumsdiskussion mit einem Springer-Redakteur: eine neue antilinke (statt antideutsche) Querfront entsteht. (Jungle World, 24/03)

Auch der linksliberale Historiker Dan Diner übernimmt in seinem Standardwerk »Feindbild Amerika« (München 2002) viele antiamerikanische Zuschreibungen – und verpasst ihnen nur das umgekehrte Vorzeichen. Hymnisch besingt er die kapitalistische Führungsmacht als »Land der Zukunft«, als »imperiale Republik, die allen sonstigen Gemeinwesen gegenüber spiegelbildlich ›verkehrt‹ konstituiert ist«, und in der »Attribute der Zugehörigkeit geradezu irrelevant« sind.

Klar ist: Eine linke Kritik an der US-Außenpolitik und an den gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA ist berechtigt und notwendig. Die Frage ist nicht, ob Linke die militarisierte Außenpolitik, den Arbeitszwang für Sozialhilfebezieher oder die Todesstrafe in den USA kritisieren sollen, sondern wie. Begründete Kritik ist vom bloßen antiamerikanischen Ressentiment zu trennen.

Antiamerikanismus ist nicht, wie seine Vertreter meinen, eine besonders radikale Kritik. Vielmehr liefert er die Begleitmusik zum Aufstieg und zur neoliberalen Zurichtung eines eigenen europäischen Machtblocks. Angesichts der sich verschärfenden Konkurrenz zwischen den USA und dem »Alten Europa« führt Antiamerikanismus direkt in die Arme der »eigenen« Herrschenden. Da haken sich auch Rechtsradikale, die nicht gegen Herrschaft, sondern gegen Fremdherrschaft protestieren, gerne unter. So marschiert die NPD heute mit der alten linken Parole »USA – Internationale Völkermordzentrale« durch die Straßen.

In dieser Situation müssen Linke ihre alten Gewissheiten hinterfragen: »Kann unsere Argumentation nicht auch antiamerikanisch verstanden werden?« Dieser notwendigen Verunsicherung lässt sich nur mit einer geschärften Analyse begegnen. Nur so lassen sich ungerechtfertigte Antiamerikanismusvorwürfe zurückweisen. Und nur so können Linke auch handlungsfähig werden.