Beim neuen Gesetz gegen Online-Hass ist Zensur nicht das Problem

Schützen, nicht zensieren

Der Gesetzentwurf zur »Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken« gefährdet die Meinungsfreiheit nicht. Er dürfte allerdings auch sein Ziel verfehlen. Denn Onlinehass wird das Gesetz sicher nicht unterbinden.

Eines ist sicher: Wenn es um Gesetze geht, die vermeintlich die Meinungsfreiheit gefährden, gibt es immer eine riesige Debatte. So auch im Fall des Gesetzentwurfs zur »Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken« von Bundesjustizminister Heiko Maas. Vorwürfe und Änderungswünsche kommen von allen Seiten. Die einen befürchten Zensur und eine Löschorgie bei Facebook, Twitter und Co., andere halten das Gesetz für nicht ausreichend, um den Hass im Netz und fake news einzudämmen.

Hauptsächlich soll das neue Gesetz soziale Medien dazu drängen, gemeldete Inhalte schneller und gründlicher zu prüfen. Sonst drohen Bußgelder bis zu 50 Millionen Euro. Außerdem soll das Gesetz für mehr Transparenz bei den Sperr- und Löschaktivitäten der Sozialen Netzwerke sorgen. Ein »Zensurgesetz« wird nicht geschaffen, da das Gesetz das Recht auf freie Meinungsäußerung nicht einschränkt. Das neue Gesetz soll lediglich die »Rechtsdurchsetzung« fördern.

Die Regierung bringt ein Gesetz auf den Weg, das sicherlich zur Verbesserung des Klimas in sozialen Medien beitragen kann, doch statt die Hürden bei der Strafverfolgung zu verringern, versucht sie, die sozialen Medien dazu zu verpflichten, das Internet von Hass zu befreien.

In einem der beiden vorangegangenen Diskussionsbeiträge befürchtet Stefan Laurin, das Gesetz werde dazu führen, dass Facebook vermehrt User sperrt, wenn diese gemeldet werden, obwohl keine strafrechtlich relevanten Inhalte oder solche, die gegen die Gemeinschaftsstandards verstoßen, verbreitet wurden. Bereits in der Vergangenheit nutzten Einzelne diese Möglichkeit, um User mit einer anderen Meinung mundtot zu machen. Allerdings könnte das neue Gesetz auch zu Gegenteiligem führen. Die Verpflichtung zur Transparenz und zur Fortbildung der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die für die Überprüfung der Beiträge verantwortlich sind, beachtet Laurin in seinem Artikel nicht. Wie schon Enno Park in seiner Entgegnung erwähnt, müssen die sozialen Netzwerke nach dem Gesetzentwurf vierteljährlich einen öffentlichen Bericht darüber abgeben, welche Anstrengungen sie unternommen haben, um gegen Hass im Netz vorzugehen. Dazu zählt auch, nach welchen Kriterien Inhalte entfernt werden und an welchen Schulungen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen teilgenommen haben, um ihre sprachlichen und juristischen Kompetenzen zu sichern. 

Vor allem aber muss gegenüber dem Melder und dem Gemeldeten begründet werden, warum der entsprechende Beitrag gelöscht oder auch nicht gelöscht wurde. Hier ist der Gesetzesentwurf jedoch zu schwammig – wie an vielen anderen Stellen auch. Es wird nicht deutlich, ob die bisherige Praxis, ein einfacher Verweis auf die Gemeinschaftsstandards, als Begründung genügt. Wenn stattdessen explizit angeführt werden müsste, was die Löschung des Beitrags rechtfertigt, würde dies den Missbrauch der Meldefunktion erschweren. Insgesamt werden die sozialen Medien ihre Beschwerdeteams personell erheblich aufstocken müssen, um den Anforderungen des neuen Gesetzes gerecht zu werden. Jedoch sollte es für die User auch einfacher sein, Widerspruch gegen die Löschung eines Beitrags oder die Sperrung des Accounts einzulegen, und diese Widersprüche sollten ebenfalls unverzüglich und gründlich geprüft werden, um vor Missbrauch der Meldefunktion zu schützen.

Obwohl Park den Gesetzentwurf in Teilen gegen Laurin verteidigt, geht er auf viele berechtigte Kritikpunkte ein. Eines der Hauptprobleme ist die undifferenzierte Formulierung des Gesetzes. Nicht nur Dropbox und andere Cloud-Dienste, die Park benennt, sondern auch Messenger-Dienste könnten von dem Gesetz betroffen sein. In vielen Artikeln wird die die letzte Änderung des Gesetzentwurfs beklagt. Jedoch werden auch nach der Änderung keine Straftatbestände ausgeweitet, sondern die sozialen Medien dazu verpflichtet, weitere, bereits bestehende Gesetze effizienter durchzusetzen. Da Facebook bereits jetzt jeden Beitrag mit einem weiblichen Nippel löscht, muss dieses Medium vermutlich gar nicht erst dazu angehalten werden, das Gesetz gegen das Zugänglichmachen pornographischer Inhalte durch Rundfunk- und Telemedien strenger zu verfolgen. Auch die Änderung, die sich auf das Auskunftsrecht für Privatpersonen bezieht, ist nicht das Problem, sondern das bereits geltende Recht im Telemediengesetz. Dieses ist, wie auch der neue Gesetzentwurf, sehr vage und fordert nicht ausdrücklich einen richterlichen Beschluss als Voraussetzung dafür, dass User persönliche Daten von anderen Usern erhalten, um zivilrechtlich gegen diese vorzugehen.

Der Großteil der Kritik am neuen Gesetzentwurf hat schlicht nichts mit diesem zu tun, sondern kritisiert zu Recht Regelungen aus dem Strafgesetzbuch und dem Telemediengesetz. Und da wären neben den genannten Gesetzen auch noch die Gesetze gegen die Verunglimpfung des Bundespräsidenten, des Staats und seiner Symbole sowie Verfassungsorgane zu benennen. Sollten in den sozialen Netzwerken durch den neuen Gesetzentwurf solche Gesetze zu einer rigiden Richtschnur für Löschungen werden, könnte dies tatsächlich zu einer Art von Zensur führen. Selbst wenn die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Beschwerdeteams die Gesetze kennen, auf deren Grundlage Inhalte aus den sozialen Medien gelöscht werden sollen, kann man von ihnen aber kaum die Entscheidung verlangen, was noch legitime Kritik an Deutschland ist und was schon Verunglimpfung.

Es sollte grundsätzlich über die Formulierungen dieser Gesetze nachgedacht werden, da ein Ausschluss aus dem neuen Gesetz nichts an der strafrechtlichen Verfolgbarkeit ändert.
Was letztlich wirklich irritiert: Weder Stefan Laurin noch Enno Park sprechen über die Arten von Onlinehass, die auch der Gesetzentwurf auslässt, obwohl dort dringender Handlungsbedarf besteht.
Das Problem der Hasskultur in den sozialen Medien wird meist unvollständig beleuchtet. Das neue Gesetz bezieht sich hauptsächlich auf gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und fake news im Netz. Sofern andere Formen von virtuellem Hass überhaupt angesprochen werden, werden diese meist auch unter dem Begriff hate speech subsumiert. Sicherlich macht Hetze gegen Geflüchtete und andere Minderheiten einen Großteil der Hasspostings aus, doch endet hier nicht das Problem. Es ist wichtig zu differenzieren, da bei personenbezogenem Hass im Internet, der im engeren Sinne nicht unter den Begriff hate speech fällt, auch andere Gesetze verletzt werden können. Straf­tatbestände wie Volksverhetzung oder Aufforderung zu Straftaten bilden die Grundlage für Verurteilungen in Fällen von hate speech. Bei Shitstorms gegen Personen oder Cybermobbing und -stalking greifen diese Gesetze nicht oder nicht ausreichend. Zwar fordert das neue Gesetz die schärfere Verfolgung von Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung, jedoch wird der Straftatbestand der Nachstellung und der Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen nicht erwähnt. Vor allem auf Twitter findet täglich beides statt. Ganze Trollringe schließen sich zusammen, um einzelne Personen aus dem Internet zu vertreiben. Viele dieser Tweets sind nicht als Beleidigung oder üble Nachrede verfolgbar. Um Personen vor solchen Angriffen zu schützen, müsste die Regierung mehr über Nachstellung im Internet sprechen und diese in entsprechende Gesetze mit einbeziehen. Außerdem müssen Justiz und Polizei dringend in diesen Bereichen geschult werden, um eine optimale Strafverfolgung zu gewährleisten.

Das ist das eigentliche Problem: Die Regierung bringt ein Gesetz auf den Weg, das sicherlich zur Verbesserung des Klimas in sozialen Medien beitragen kann, doch statt die Hürden bei der Strafverfolgung zu verringern, versucht sie, die sozialen Medien dazu zu verpflichten, das Internet von Hass zu befreien. Dass etwa Satire als solche erkannt wird und diese Beiträge nicht gelöscht werden, liegt in der Verantwortung der Betreiber der sozialen Medien, die ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen dahingehend schulen müssen. Dass die Meinungsfreiheit erhalten bleibt, gleichzeitig aber hate speech, Shitstorms, Cybermobbing und -stalking verfolgt und bekämpft werden, bleibt weiterhin hauptsächlich Aufgabe des Staats, der dafür die angemessenen Rahmenbedingungen schaffen muss.