Feind Nummer eins

Eine Studie der EU dokumentiert antiisraelische Vorurteile. Und sie offenbart die kruden Vorstellungen ihrer Verfasser. von danièle weber, luxemburg

Hasst die Mehrheit der EuropäerInnnen den Staat Israel? Schürt die EU-Kommission den Antisemitismus? Oder ist alles nur ein abwegiger Zufall?

Seit 1973 gibt es das Eurobarometer. Es handelt sich um sozialwissenschaftliche Erhebungen, wie in den verschiedenen europäischen Ländern über bestimmte Fragen gedacht wird.

Das jüngste Eurobarometer zum Thema »Irak und der Weltfrieden« wirft Fragen wie die eingangs genannten auf. Und so mancher Verantwortliche in Brüssel hätte den 109-seitigen Report am liebsten gar nicht veröffentlicht. So drangen die Ergebnisse auch nur häppchenweise an die Öffentlichkeit. Erst mit Verspätung wurde die repräsentative Antwort auf die Frage Nr. 10 bekannt: »Welches Land bedroht den Weltfrieden?« Offenbar wollten die EU-Gesandten zu der Irakgeberkonferenz am 2. November in Madrid das brisante Ergebnis lieber nicht mit im Gepäck haben.

Aus verständlichen Gründen, denn die europäische Antwort ist keine, mit der man bei internationalen Meetings protzen kann. Die europäische Öffentlichkeit erfuhr erst am Montag nach der Konferenz, dass 59 Prozent der 7 500 befragten BürgerInnen aus den 15 EU-Staaten Israel auf Platz eins der Weltfriedensbedroher setzen. Noch vor dem Iran, Nordkorea und den USA, die jeweils auf 53 Prozent kamen. In Deutschland sehen der Umfrage nach sogar 65 Prozent Israel als größte Bedrohung für den Frieden an, in Österreich sind es 69, in den Niederlanden 74 Prozent.

Kaum war das Eurobarometer veröffentlicht, bemühte sich die EU-Führung auch schon um eine Distanzierung von den israelfeindlichen Resultaten. Die Umfrage sei »abwegig«, so Ratspräsident Silvio Berlusconi, die Ergebnisse gäben nicht die Position der EU wieder. Die Kommission wies ihrerseits Kritik an der Durchführung der Umfrage zurück.

Der Europäische Jüdische Kongress (EJC) spricht von einer »brandstifterischen Umfrage«, die nicht auf den Nahostkonflikt ziele und allein Israel in den Vordergrund gestellt habe. In der Tat fällt es schwer, die Zusammenstellung der Liste mit den 15 möglichen gefährlichen Ländern nachzuvollziehen. Die EU selbst ist darin aufgeführt, sie schnitt mit acht Prozent am besten ab. Nach einzelnen EU-Staaten wird jedoch nicht gefragt. Die Frage etwa, ob sich die Menschen in Europa von Deutschland noch bedroht fühlen, scheint rund 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg niemanden zu interessieren. Stattdessen wird nach dem Gefahrenpotenzial von Ländern wie Somalia oder Libyen geforscht.

»Wir hatten nichts damit zu tun«, versichert der Sprecher des EU-Kommissars für Außenbeziehungen. EU-Kommissar Chris Patten hatte noch Anfang dieses Jahres verhindert, dass ein Untersuchungsausschuss des Europaparlaments zustande kam, um die Zuwendungen der EU für die Palästinensische Autonomiebehörde zu prüfen. Die Liste des Eurobarometers sei von »low level officials« und »auf technischer Ebene« zusammengestellt worden, so auch die Aussage von Kommissionssprecher Gerassimos Thomas. Die Palästinensische Autonomiebehörde sei nicht aufgeführt, »weil sie kein Land ist«.

»Unser Zorn richtet sich nicht gegen die europäischen Bürger, sondern gegen die Regierungen der EU«, heißt es nun aus der israelischen Vertretung in Brüssel. Doch wer hat nun wirklich Schuld an diesem alarmierenden Ergebnis?

Die Resultate trotzten jeder Logik und »sind eine rassistische Phantasiereise, die lediglich zeigt, dass der Antisemitismus zutiefst in der europäischen Gesellschaft verwurzelt ist«, kommentierte das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles und rief zu Konsequenzen auf. Die EU solle künftig von den Friedensgesprächen ausgeschlossen werden. Dagegen warnte einer, der regelmäßig mit EU-Vertretern zu tun hat, davor, die Resultate zu dramatisieren. Israels Außenminister Silvan Shalom gab den Medien die Schuld. Das Resultat spiegele lediglich das »überproportionale Vorkommen Israels in den europäischen Medien« im Vergleich zu Berichten über den Iran oder Nordkorea wider. Außerdem seien die Resultate ein Ausdruck der Bemühungen einiger Länder, sich als Gegengewicht zu den USA zu positionieren.

Dafür, dass die Medien in Europa keine ausgewogene Berichterstattung über den Nahostkonflikt liefern, gibt es mehrere Belege. Untersuchungen der vergangenen Jahre zeigen nicht nur, dass dem Nahostkonflikt überdurchschnittlich viel Platz eingeräumt wird. Die Studie des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung zur Nahostberichterstattung in deutschen Medien aus dem Jahr 2002 belegt auch, dass Israelis und der Staat Israel oft besonders negativ charakterisiert werden.

Das Eurobarometer zeige die kontinuierliche Existenz antijüdischer Vorurteile, stellte auch EU-Kommissionspräsident Romano Prodi fest, die Kommission will noch Ende dieses Jahres ein Seminar organisieren, das sich mit Fragen des Judaismus und des Staates Israel befasst.

Aufklärung tut Not, meint auch der EJC. Der Antisemitismus nehme in Europa auch deshalb wieder zu, weil die neue Generation von Europäern weniger Kenntnisse über den Holocaust habe, meint der Vorsitzende des EJC, Cobi Benatoff. Doch es kommt wohl auch auf die Art der Aufklärung an. Denn noch in einem anderen Punkt gibt das Eurobarometer Aufschluss: Je höher der Bildungsgrad der Befragten, desto höher war die Wahrscheinlichkeit, dass sie Israel als höchste Bedrohung ansahen.

Die Umfrage belege zweifellos, dass die europäische Antwort auf die Frage »Welches ist das gefährlichste Land?« eine verdeckte Antwort auf die Frage »Welches Land hassen Sie am meisten?« sei, kommentiert Israel Harel in Haaretz. Die Tatsache, dass terroristische Organisationen nicht zur Auswahl standen, sei ein Zeichen der Angst vor ihnen. Hier liegt nach Harel die große Erkenntnis der Umfrage: Wenn nach drei Jahren terroristischer Angriffe auf Israel dieses Land von den Europäern als größte Gefahr für den Weltfrieden angesehen und am meisten gehasst wird, legitimiere dies den palästinensischen und auch den Welt-Terrorismus. Denn, fragt sich der Kommentator, wann wissen Terroristen, dass sie wirklich gewonnen haben und dass es an der Zeit ist, Angriffe wie den auf die Twin Towers durchzuführen? Wenn die Bewohner von Ländern, die in Sicherheit sind, von Panik ergriffen die Realität verdrehen und die Opfer statt der Mörder anklagen.