Rathenower Rechtsschutz

In Brandenburg stehen zwei Asylbewerber vor Gericht, die sich über die Zustände in einem Asylbewerberheim beschwerten. von alex veit und martin kröger

Viel ist von der Strafanzeige nicht übrig geblieben, die die Arbeiterwohlfahrt im brandenburgischen Rathenow wegen übler Nachrede gestellt hat. Am Donnerstag dieser Woche findet nach eineinhalbjährigen Ermittlungen ein Prozess gegen zwei Asylbewerber statt, die in einer von der Arbeiterwohlfahrt geführten Flüchtlingsunterkunft wohnten.

Die Arbeiterwohlfahrt sah sich durch einen offenen Brief verleumdet, in dem ihr vorgeworfen wurde, in dem Heim eine Wachschutzfirma zu beschäftigen, bei der Rechtsextreme angestellt seien. Außerdem würden die Angestellten der Arbeiterwohlfahrt private Post öffnen und unberechtigt in die Zimmer der Flüchtlinge eindringen, während diese außer Haus seien, hieß es in dem von etwa 60 AsylbewerberInnen unterschriebenen Brief.

Die Vorwürfe haben sich inzwischen zum Teil als richtig erwiesen. Deshalb ließ die ermittelnde Staatsanwaltschaft Potsdam den Vorwurf der üblen Nachrede in einem Punkt stillschweigend fallen. Dass Rechtsextreme in dem Heim beschäftigt waren, wird von der Staatsanwaltschaft nicht länger bestritten.

Bereits im August 2002, einen Monat nach der Veröffentlichung des offenen Briefes, stellte der Brandenburger Verfassungsschutz in einem internen Bericht fest, dass »die zum Schutz der von rassistischen Angriffen bedrohten AsylbewerberInnen angestellten Wachleute zum Teil der rechtsextremen Szene in Rathenow angehörten und der Kameradschaft Hauptvolk zugerechnet werden müssen«. Auf die Verstrickung der Wachschutzfirma Zarnikow in die rechte Szene Brandenburgs hatten antifaschistische Gruppen schon Monate zuvor hingewiesen. Trotzdem war die Premnitzer Sicherheitsfirma noch bis Januar 2003 für den Schutz der Asylsuchenden verantwortlich.

Erst als der Bericht des Verfassungsschutzes öffentlich geworden war, wurden die ungewöhnlichen Wächter abgelöst. »Die Firma selbst hat den Auftrag abgeben wollen«, teilte der Geschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt, Ralf Schröder, der Jungle World mit. Dies sei aber nicht das Eingeständnis, dass die Vorwürfe der Flüchtlinge in diesem Punkt zutrafen.

»Wir dachten, dass wir selbst an die Öffentlichkeit gehen müssen, wenn niemand sonst etwas unternimmt«, erinnert sich Mohamed Abdel Amine, einer der beiden wegen übler Nachrede Angeklagten, an das Zustandekommen des offenen Briefs. Die Flüchtlinge hätten zuvor das Gespräch mit der Heimleitung gesucht, seien jedoch nicht angehört worden. Amine ist überzeugt, vor Gericht auch belegen zu können, dass von der Heimleitung mehrfach das Briefgeheimnis und die gesetzlich geschützte Privatsphäre der BewohnerInnen verletzt worden sei. Dass nur er und ein weiterer Unterzeichner des offenen Briefes vor Gericht belangt werden sollen, obwohl mehrere Personen ihn unterschrieben haben, liegt nach Ansicht des Togolesen an seinen politischen Aktivitäten in der Flüchtlingsinitiative Brandenburg (Fib). Die Gruppe wehrt sich seit Jahren gegen behördlichen und gesellschaftlichen Rassismus.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich ein Mitglied der Fib vor Gericht wiederfindet, nachdem es sich öffentlich beklagt hat. Christopher Nsoh, ein Sprecher der Initiative, wurde vor etwas mehr als drei Jahren gemeinsam mit einem Journalisten aus Hongkong von einem rechtsextremen Jugendlichen angegriffen. Die von Nsoh verständigte Polizei nahm die beiden Angegriffenen mit auf die Wache. Unter Anwendung körperlichen Zwangs, wie Nsoh auf einer späteren Pressekonferenz sagte. Die Polizei Rathenows fühlte sich missverstanden und zeigte Nsoh ebenfalls wegen übler Nachrede an.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam vertrat bei der Verhandlung den Standpunkt, Nsoh und sein Begleiter seien freiwillig, zu ihrem eigenen Schutz und nur wegen ihres provokativen Verhaltens auf die Wache gebracht worden. Der Richter machte allerdings klar, dass er das Verfahren für überflüssig halte und dass stattdessen eine Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus in Rathenow erfolgen sollte. In derselben Sache wurde ein Verleumdungsverfahren gegen ein Mitglied des Vereins Opferperspektive, der die Fib unterstützte, angestrengt. Auch dieses Verfahren endete ohne eine Verurteilung. »Die Absicht war, uns Angst zu machen und unsere Initiative und unsere Unterstützer zu diskreditieren«, sagt Nsoh heute.

Durch den Vorfall, der im Sommer der Staatsantifa internationale Schlagzeilen machte, erlangte die Fib auch die besondere Aufmerksamkeit der Medien und der Brandenburger Behörden. Im Dezember 2000 wurde der Flüchtlingsgruppe für ihr Engagement von der Internationalen Liga für Menschenrechte die Carl-von-Ossietzky-Medaille verliehen. Unmittelbar danach berichtete Bild von einem Verfahren wegen Drogenhandels gegen Christopher Nsoh im weit entfernten Düsseldorf. Nsoh vermutet, dass diese Information von den Behörden lanciert wurde. Das Verfahren gegen ihn wurde vergangene Woche mangels Beweisen eingestellt.

»Betroffene erleben noch mehr Nachteile, wenn sie Beschwerden über ihre Situation äußern«, resümiert Anette Flade, die Ausländerseelsorgerin der evangelischen Kirche in Brandenburg. »Flüchtlinge berichten mir zwar immer noch von ihren Problemen. Vor dem Gang in die Öffentlichkeit schrecken sie unter Verweis auf das Rathenower Beispiel inzwischen jedoch zurück.«

Dabei bewirkte gerade die Veröffentlichung der Missstände im Heim am Birkenweg Veränderungen. So wurde inzwischen die Führung eines Besucherbuchs, die ebenfalls in dem offenen Brief kritisiert worden war, aus datenschutzrechtlichen Gründen eingestellt. Besonders brisant war, dass ausgerechnet die Wachschutzfirma Zarnikow für die Feststellung der persönlichen Daten aller Gäste der Flüchtlinge zuständig war. Diese Praxis wurde in Rathenow beendet, nachdem das Büro des Datenschutzbeauftragten des Landes Brandenburg, Alexander Dix, »das Sammeln der Personalien als unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Asylbewerber« eingestuft hatte.

Abdel Amine möchte die Verhandlung gegen ihn nutzen, um einen Präzedenzfall im Hinblick auf die seiner Meinung nach vergleichbare Situation in anderen Flüchtlingsheimen in Brandenburg zu schaffen. Die juristische Auseinandersetzung hat er selbst nie gesucht, begrüßt sie nun aber, um den Rollentausch vom Kritiker zum Beklagten wieder umkehren zu können. Christopher Nsoh möchte ihn bei diesem Vorhaben unterstützen. »Ich bin froh, bei der Verhandlung gegen Amine als Zeuge auftreten zu können, weil ich und viele andere die Vorwürfe gegen die Heimleitung stützen können.«