Tritte vorm Beitritt

Immer weniger Polen wollen den EU-Beitritt. Das hat mit dem Verhältnis zu Deutschland zu tun. Und mit der Wirtschaftslage. von konrad lischka

Wenigstens in einem Punkt sind sich die Deutschen und die Polen Meinungsforschern zufolge einig: Deutschland will Polen nicht in der EU haben. Das glauben zumindest 57 Prozent der vom Meinungsforschungsinstitut CBOS kürzlich befragten Polen. Sie antworteten auf die Frage, welcher EU-Staat gegenüber Polen derzeit am negativsten eingestellt sei, mehrheitlich: »Deutschland«.

Eine nicht völlig unbegründete Annahme. Den Beitritt Polens begrüßen nur 51 Prozent der Deutschen. Das ist weniger als bei jedem anderen EU-Neumitglied. Das ergab eine in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage das Münchner Institut Polis. Ansonsten gibt es derzeit wenig Übereinstimmung zwischen beiden Staaten.

Das wirkt sich auf die Zustimmung zum EU-Beitritt aus. Inzwischen würden laut CBOS nur noch 60 Prozent der Polen für den Beitritt stimmen. Beim tatsächlichen Referendum im Juni waren es 78 Prozent. Immer mehr Befragte glauben, dass nach dem Beitritt Polen politisch ungünstiger, weil schwächer dasteht und sich zudem die Lebensbedingungen verschlechtern werden.

An einem Konflikt hat sich die diffuse Angst, Polen könnte von größeren Mächten dominiert werden, in den vergangenen Monaten besonders heftig entzündet: an den Klagedrohungen mancher deutscher Vertriebener. Die Geschäftsziele der Preußischen Treuhand GmbH & Co. KG sind es, Ansprüche deutscher Vertriebener auf im Osten von den Vertreiberstaaten völkerrechtswidrig konfisziertes Eigentum zu sammeln, wie es der Aufsichtsratschef dieser Firma und Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Schlesien, Rudi Pawelka, gegenüber der Jungen Freiheit ausdrückte. Vertriebene sollen nicht nur Ansprüche melden, sondern auch Anteile kaufen. Mit dem Kapital will das Unternehmen nach dem EU-Beitritt Musterprozesse in Polen finanzieren und bei Ablehnung vor dem Europäischen Gerichtshof klagen (Jungle World 05/04). Kein Wunder, dass laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Pentor 61 Prozent der Polen fürchten, dass Deutsche nach dem EU-Beitritt Besitzansprüche anmelden werden.

Auf diese Stimmung reagieren polnische Parteien mit Attacken gegen Deutschland. Pawel Piskorski von der liberalen, in der Wählergunst derzeit ganz oben stehenden Bürgerplattform PO äußerte sich als Mitglied des Sejm-Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten: »Ich kann versichern: Wenn es den Deutschen gelingt, auf irgendeine Art auch den kleinsten Fleck polnischer Erde zu gewinnen, werden wir Anwälte und Experten finden, die eine Klage gegen die Deutschen vorbereiten, gegen Mörder und Räuber polnischer Güter.« Der Bürgermeister Warschaus und Vorsitzende der populistischen Partei Recht und Gerechtigkeit, Lech Kaczynski, beauftragte Anfang Januar eine Kommission, die von Deutschen in Warschau angerichteten Schäden zu beziffern. Dem Fernsehen sagte er, der Hintergrund sei eine Atmosphäre, in der die Deutschen vergessen hätten, dass sie nicht Opfer, sondern Täter waren. Ende Januar war die erste Schätzung fertig: 30 Milliarden Dollar.

Ähnliche Aktionen starteten auch andere Lokalverwaltungen. Die nationalistisch-katholische Liga Polnischer Familien (LPR), die auch in Warschau das Vorhaben vorangetrieben hat, setzte vergangene Woche mit anderen Fraktionen im Parlament der Region Lublin eine Kommission zur Schätzung der durch den Zweiten Weltkrieg erlittenen Verluste ein. Sie leitet der Historiker und LPR-Fraktionsvorsitzende Ryszard Bender, der sagt: »Vielleicht wird das die Deutschen davon abhalten, Entschädigungen von den Polen zu fordern.«

Erinnerungen und die Angst vor einer neuen deutschen Dominanz mischen sich in Polen zu einer viele Themen bestimmenden Stimmung. Den Streit über die EU-Verfassung und die Stimmengewichtung unter den Mitgliedsstaaten verkürzen Medien oft zum deutsch-polnischen Konflikt. Die Regierung hält sich bedeckter. Nach Gerüchten über einen neuen Kompromissvorschlag zur Stimmenverteilung sagte Polens Außenminister Wlodzimierz Cimoszewicz vergangene Woche den Kritikern seiner festen Haltung: »Polen war und ist bereit zur offenen Diskussion. Aber es kann keine Übereinkunft erzielt werden, solange keine Partner für eine solche Diskussion vorhanden sind.«

Polen sehen sich weniger als Partner denn als Manövriermasse und um die Vorteile des EU-Beitritts betrogen. Als der Bundestag vergangene Woche entschied, den deutschen Arbeitsmarkt am 1. Mai nur eingeschränkt für Jobsuchende aus den Beitrittsstaaten zu öffnen, schrieb die liberale Gazeta Wyborcza: »Der Bundestag schließt den Arbeitsmarkt für Polen.« Dabei sind auch andere Beitrittsstaaten betroffen. Uneingeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt gewährt nur Irland. Doch solche Differenzierungen nützen angesichts einer im Januar auf 20,6 Prozent gestiegenen Erwerbslosenquote wenig.

Im Februar berichtete die neue Springer-Boulevardzeitung Fakt, inzwischen das auflagenstärkste Blatt Polens, über die Praxis deutscher Behörden, polnische Schwarzarbeiter mit Plastikarmbändern zu markieren. Daraufhin verlangte im Sejm der Vorsitzende der Oppositionspartei »Recht und Gerechtigkeit«, Jaroslaw Kaczynski, darüber im Auswärtigen Ausschuss zu debattieren: »Polen mit Armbändern zu markieren, erinnert an die schlimmsten Ereignisse im polnisch-deutschen Verhältnis.«

Dieses Umfeld macht weder die Regierung noch den EU-Beitritt populärer. Wäre im Februar ein neuer Sejm gewählt worden, hätte die regierende Demokratische Linksallianz nur zehn Prozent der Stimmen erhalten. Die radikalpopulistische Bauernpartei Sammoobrona hingegen könnte derzeit fast ein Viertel der Stimmen einstreichen. Das sind sieben Prozentpunkte mehr als im Vormonat. Etwas besser schneidet nur die liberale Bürgerplattform PO mit 26 Prozent ab. Allerdings wächst die Zustimmung für die PO nicht weiter an.

So viel zu den Hoffnungen liberaler Polen, der EU-Beitritt könnte das Parteiensystem stabilisieren. Kartoffeln werfende Populisten wie der Samoobrona-Chef Andrzej Lepper scheinen am meisten Kapital aus dem Beitritt und den Zumutungen mancher Berufsvertriebenen zu schlagen. Er sah sich am vergangenen Donnerstag in einem Interview gar schon in der Rolle eines positiven Diktators, nämlich eines Diktators, der nicht tötet.