Die Ruanda-Lüge

Von Alex Veit

Leugnung des Genozids

von alex veit

Zur Vorbereitung des Genozids in Ruanda gehörte auch die Neuschreibung eines Geschichtsbilds, in dem die ruandischen Tutsi als feudale ausländische Unterdrücker dargestellt wurden. Inzwischen ist der Genozid jedoch selbst zum Objekt einer Gruppe von Geschichtsverdrehern geworden, die von Ministern über Akademiker bis zu Linksradikalen reicht.

»Zehn Jahre nach den schrecklichen Genoziden, die Ruanda heimgesucht haben«, so begann der französische Innenminister Dominique de Villepin im September letzten Jahres einen Satz in einem Interview mit Radio France International. Mit der Unterstellung, es habe mehrere Genozide in Ruanda gegeben, nahm Villepin, der bis zur Kabinettsumbildung vergangene Woche Außenminister gewesen ist, die Theorie des »doppelten Genozids« auf. Ihr zufolge begingen nicht nur die Hutu-Extremisten, sondern auch die Ruandische Patriotischen Front (RPF) während der Eroberung Ruandas 1994 sowie bei der Auflösung der Flüchtlingslager im damaligen Zaire 1996 einen Völkermord an ruandischen Hutu.

Organisationen wie Human Rights Watch haben die Menschenrechtsverletzungen der RPF in dieser Zeit immer wieder angeprangert, doch dabei auch klargestellt, dass diese in keiner Weise mit dem organisierten Massenmord an den Tutsi vergleichbar sind. Doch de Villepin, der 1994 als Stabschef im Außenministerium mitverantwortlich für die französische Unterstützung der Extremisten in Kigali war, relativiert den Genozid an den Tutsi, um die Politik Frankreichs zu rechtfertigen.

Auch der kirchennahe Berliner Politologe Helmut Strizek mahnt eine Aufklärung der »Massenschlächtereien« der RPF an. Diese hätten, so deutet er an, mehr Opfer als der Genozid selbst gefordert. Strizek arbeitete in den achtziger Jahren als Entwicklungsberater mit dem Habyarimana-Regime zusammen, das er seitdem als »gemäßigt« verteidigt. Seine Bücher gehören in vielen Proseminaren in Deutschland zur Pflichtlektüre, kürzlich verbreitete er seine Thesen in der Zeitschrift Das Parlament der Bundeszentrale für politische Bildung.

Strizek bestreitet, dass der Genozid von Hutu-Extremisten geplant worden ist. Vielmehr habe die RPF-Invasion von 1990 Anti-Tutsi-Gefühle geweckt. »Es ist dieser Hass, der explodierte«, erklärte er vor dem Ruanda-Tribunal in Arusha, wo er als »Expertenzeuge« zur Verteidigung des RTLM-Chefs Ferdinand Nahimana auftrat. Die RPF habe im April 1994 das Flugzeug des Präsidenten Habyarimana abgeschossen, um den Genozid auszulösen und im anschließenden Chaos die Macht erobern zu können. Er wittert eine »verborgene Agenda« der USA, die in der RPF einen Verbündeten gegen das islamistische Regime im Sudan gesehen habe.

Christopher Black, Strafverteidiger am Tribunal in Arusha, ist schon einen Schritt weiter. In einem Interview mit der jungen Welt im vergangenen Jahr leugnete er den Genozid mit Zahlenspielen, die an die »Auschwitz-Lüge« erinnern: »Es kann nicht stimmen, dass 800 000 Tutsi ermordet wurden – das war die Gesamtzahl ihrer Population, dann dürfte jetzt niemand mehr übrig sein.« Für den Kommunisten aus Kanada waren die Ereignisse »Ausdruck von Panik in beiden Volksgruppen«. Die eigentlichen Täter sieht auch er bei der RPF, denn »die Expansion der Tutsi in Zentralafrika sichert das Terrain für die USA«.

Solche Verschwörungstheorien sind nicht nur eine Obszönität gegenüber den Opfern. Welche Auswirkungen Geschichtslügen haben können, hat bereits der Genozid von 1994 gezeigt. Dagegen hilft nur die vollständige Aufklärung der damaligen Ereignisse, die bislang nicht erfolgt ist.