»Europa nicht auf den Leim gehen«

Von Ivo Bozic

Ilka Schröder

Ilka Schröder ist seit 1999 Mitglied des Europaparlaments, ihr Mandat endet nach den Wahlen am 13. Juni. Sie engagiert sich vor allem gegen Rassismus und Antisemitismus und fiel immer wieder durch Provokationen und durch harte Kritik an ihrer Partei, den Grünen, auf, denen sie 2001 den Rücken kehrte. Im September 2003 erhielt sie wegen ihres Engagements für Israel den Theodor-Lessing-Preis für aufklärerisches Handeln. Mit ihr sprach Ivo Bozic.

Dein Mandat endet nach den Europawahlen, bist du traurig oder eher erleichtert?

Schade, dass ich nicht weiter stören kann. Die mittelmäßigen Weine auf den Empfängen werde ich vermissen, den abgedrehten Politikzirkus in Straßburg und Brüssel nicht. Was ich politisch machen will, kann ich auch außerhalb des Parlaments tun.

Meinst du, du hast etwas erreichen können während deiner Abgeordnetenzeit?

Wenn man das nicht an den Änderungsanträgen misst, die ich meistens extra so geschrieben habe, dass sie nicht durchkommen, dann schon. Ich habe doch einige Kampagnen und Diskussionen lostreten können. Die Debatte um Schleuser etwa, oder über Israel und Antisemitismus.

Warum bist du damals ausgerechnet für das Europaparlament angetreten?

Das hat für mich keine besondere Rolle gespielt. Ob man im Bundestag oder im Europaparlament die herrschenden Ideologien angreift, ist eigentlich egal. Auch dort habe ich einiges gegen Deutschland gesagt. Auch die Kampagne zu den Schleusern war nicht besonders spezifisch.

Worum ging es da genau?

Ich habe gefordert, dass die EU Subventionen für Schleuser bereitstellen sollte, damit mehr Menschen die Möglichkeit haben, in die EU zu immigrieren. Dahinter stand natürlich die Forderung nach offenen Grenzen. Und das hat für einiges Aufsehen gesorgt, weil die Schleuser immer als das Böse schlechthin dargestellt werden, um die Festung Europa moralisch zu legitimieren.

Hat sich deine Position zu Europa mit der Zeit verändert?

Sie ist kritischer geworden. Das hat zum Teil was mit mir, zum Teil mit den Geschehnissen im Parlament zu tun. Vor allem aber damit, dass es eine Entwicklung hin zu einem europäischen Nationalismus gibt. Eine europäische Identität soll geformt werden und man will in den Wettstreit mit den USA eintreten.

Ist Europa nur eine Gefahr oder enthält der europäische Gedanke nicht auch einen Kontrapunkt zu nationalstaatlich gebundenem Chauvinismus oder Sezessionismus?

Wer Europa als so einen Kontrapunkt sieht, ist der europäischen Ideologie voll auf den Leim gegangen. Europa verdankt sich den Kalkulationen der Nationalstaaten. Das Programm ist kompliziert: Souveränität abgeben, um als Teil des Staatenbündnisses mehr Macht zu bekommen. Deutschland nimmt innerhalb Europas die führende Rolle ein; Deutschland wird mit und durch Europa wichtiger. Europa und damit Deutschland sind Herausforderer der Weltmacht USA. Die ideologische Begleitmusik dazu ist, dass sich Europa als Hort von Menschenrechten und Demokratie verkauft. Sicher setzt die EU zurzeit andere Mittel ein, zum Beispiel, wenn sie mit der Uno oder dem Völkerrecht argumentiert. Das Ziel ist jedoch dasselbe. Kritik an Staat und Kapital ist in Deutschland wie in Europa angesagt.

Was hat dich in diesem parlamentarischen Betrieb besonders beeindruckt?

Ich habe gesehen, dass man zwar mit einem guten Programm antreten und mit seinem Mandat auch einiges erreichen kann, aber ich habe auch gesehen, wie schnell Menschen eingebunden werden können. Und das sind durchaus subtile Mechanismen, die Abgeordnete dazu bringen, dann doch hier oder da mitzumachen. Wenn dir etwa jemand erzählt, man könne durch irgendein Komma in einem Änderungsantrag erreichen, dass noch weitere Parteien den Antrag unterstützen, und das sei doch wichtiger, als auf dieser oder jener Formulierung zu bestehen usw. Und so beschäftigt sich jede Menge Leute mit Dingen, die völlig irrelevant sind, und übersieht dabei die grundsätzliche Kritik.

Wie kompetent sind die Abgeordneten hinsichtlich der Materie, über die sie da abstimmen?

Meine Kritik ist nicht, dass die Leute nicht wissen, worüber sie da abstimmen. Die Kritik ist, dass das Europaparlament das Parlament eines Staatenbündnisses ist, das nach Weltmacht strebt.

Würdest du sagen, dass es für radikale Linke Sinn ergeben kann, in Parlamente zu gehen?

Selbstverständlich kann man von der Öffentlichkeit und der Infrastruktur profitieren. Im Regelfall pflegen Parteien zu verhindern, dass radikale Linke durch ihre Listen ins Parlament einziehen. Ich bin leider auch nicht wegen meiner inhaltlichen Positionen aufgestellt worden. Dass sich Linksradikale noch einmal so reinmogeln können, kann ich mir schwer vorstellen. Andere Linksradikale habe ich unter den Parlamentariern nicht getroffen. Ich stand nicht selten alleine da und musste widersprechen, wenn sich andere Linke etwa bei Empfängen hinstellen und sagen: »Afrika ist ein toller Kontinent, natürlich ziemlich arm. Aber mit welcher Würde die ganzen Aidskranken ihr Schicksal ertragen, das ist ja ganz toll.«

Aber inwieweit ist das eine politische Intervention, den Ablauf im Parlament ein bisschen zu stören?

Wahlen sind kein Mittel für die Revolution. Die muss man woanders machen als im Parlament. Wenn man dort jedoch, so wie ich, irgendwie gelandet ist, dann kann man das Beste daraus machen, also Ressourcen nutzen und den lieben Kollegen ihren Nationalismus und Antizionismus um die Ohren hauen. Aber man sollte nie aufs Parlament setzen. Das Parlament dient dazu, den Staat zu organisieren, und das ist es, was es anzugreifen gilt.

Wo findet man im europäischen Parlament am ehesten linke Positionen?

Ich war ja in der linkesten Fraktion, der Vereinigten Europäischen Linken. Da wird schon auch mal Militarismus kritisiert, aber die Unterstützung von Schleusern und die Kritik am staatlichen Rassismus war für diese Fraktion undenkbar.

Formiert sich die politische Linke im Europaparlament eher aus der grün-alternativen oder aus der sozialistisch-kommunistischen Ecke?

Was an den Grünen ist denn links? Aber die Linke ist doch auch nicht viel besser. Die meisten in meiner Fraktion sind Antiimperialisten alten Schlags, die immer auf die USA starren und dabei nicht mitkriegen, was Europa macht. Manche treiben sogar bewusst einen europäischen Nationalismus voran. Das sieht man zum Beispiel an der Wahlkampagne der PDS; die Partei fordert, Europa solle aus »dem Schatten der USA« heraustreten. Das sind doch nützliche Idioten des Euro-Imperialismus. Das sieht man auch am Nahost-Konflikt, bei dem die meisten auf die palästinensische Karte setzen und den antisemitischen Terror herunterspielen.

Du bist als Grüne ins Parlament gewählt worden, aber 2001 ausgetreten.

Über die Grünen gibt es, wie gesagt, nicht mehr viele Worte zu verlieren. Der Krieg gegen Jugoslawien war die widerlichste Methode, Deutschland wieder an die vorderste Front der Weltpolitik zu bringen. Und dann noch mit dem Holocaust zu begründen, warum deutsche Militäreinsätze nötig seien – was soll man dazu noch sagen?!

Dann bin ich gespannt auf deine Wahlempfehlung zur Europawahl.

Wer sonst keine Sorgen hat, der kann auch wählen gehen.

Nur wen?

Also, ich hab diese Sorge nicht.

Was wirst du jetzt machen, wenn dein Mandat endet?

Ich arbeite derzeit an einem Buch über die EU und ihre Anstrengungen, die USA zu überflügeln. Das erscheint demnächst. Und ansonsten bleibt es dabei: Der Hauptfeind ist das eigene Land. Und auch das eigene Staatenbündnis.