klingt diese Woche wie Jakob Augstein

Was Netanyahu jetzt lernen muss

Gastbeitrag Von Leo Fischer

»Guten Morgen«, soll der Holocaust-Überlebende Sascha Z. einmal gesagt haben, als er seine Frau beim Frühstück sah. Ein Satz, der noch immer unter die Haut geht, der gewissermaßen in uns einfährt, wenn wir ihn lesen, und der uns erlaubt, uns ein bisschen wie Sascha Z. zu fühlen, so wie er zu sprechen. Denn wenn es eines aus der Geschichte zu lernen gibt, dann, dass wir uns aus ihr beliebig Brocken rauspicken dürfen.

Einer, der diese Lektion leider nicht gelernt hat, ist Netanyahu, der Herrscher der umstrittenen Palästinensergebiete an der Levante. Er hat es gewagt, die Besuchsliste des deutschen Außenministers in Frage zu stellen. Das ist typisch für einen, der macht, was er will. Wo der sehr ehrenwerte Gabriel dem Gesetz der Pflicht und Vernunft gehorcht, trifft Netanyahu interessengeleitete Entscheidungen. Das ist schade – und wird das Land weiter ins internationale Abseits rücken. Jedenfalls, wenn ich der Schiedsrichter bin.

Israel hat es schwer. Dadurch, dass immer wieder die falschen Leute gewählt werden, verliert das Land allmählich den Charakter einer Demokratie. Denn die ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass die richtigen Leute im Amt sind, soll ein anderer Holocaust-Überlebender einmal gesagt haben. Wenn das nicht mehr so ist, muss gefragt werden, ob nun nicht endlich Gelegenheit wäre, den gordischen Knoten, der das deutsch-israelische Verhältnis lange krakenhaft umschlungen hielt, mit einem erlösenden Hieb zu zerschlagen. Die Israelis würden es uns auf lange Sicht danken.

Es fällt schwer, ein befreundetes Land im Kriegszustand zu kritisieren, gerade jetzt, wo es unter einem Diktator zu leiden hat, gerade jetzt, wo die Sonne so schön auf meine gemütliche Verlegervilla scheint. Aber es muss raus, ja, der Druck ist da, der Schmerz so groß, Zurückhaltung unangebracht. Denn auch im Privatleben gilt: Wenn ein lieber Freund plötzlich aufhört, vor mir zu katzbuckeln, muss ich die Frage stellen dürfen, wie hoch dann seine Überlebenschance noch sein kann. Mit Antisemitismus hat das übrigens nichts zu tun, das hat mir der Holocaust-Überlebende Sigmar Gabriel eben noch am Telefon bestätigt.