Mehr Kirche im Staat

Als neuer Vorsitzender der französischen Regierungspartei UMP stellt Nicolas Sarkozy die säkulare Staatsidee in Frage. von bernhard schmid, paris

Es war eine Polit-Show in ungekannten Ausmaßen: Fünf bis acht Millionen Euro kostete nach ersten Schätzungen der Nominierungsparteitag, auf dem am vorigen Sonntag der bis dahin als Wirtschaftsminister amtierende Nicolas Sarkozy zum neuen Vorsitzenden der konservativ-liberalen Einheitspartei UMP gekürt wurde. Die eigentliche Wahl Sarkozys – per Urabstimmung der Parteimitglieder – war freilich bereits eine Woche zuvor abgeschlossen worden. Es handelte sich also um eine reine Showveranstaltung, mit Persönlichkeiten aus Kultur und Sport, zu der mindestens 25 000 UMP-Mitglieder zusammenkamen.

Auf Druck von Staatspräsident und UMP-Gründer Jacques Chirac, der Sarkozy bereits als rivalisierenden Kandidaten für die Präsidentschaftswahl von 2007 fürchtet, musste dieser zu Wochenbeginn sein Ministeramt niederlegen. Sarkozy will sich nunmehr der ideologischen Aufrüstung der französischen Rechten widmen. Die Rolle des Parteichefs, dozierte er bereits Wochen vor seiner Wahl, bestehe darin, jenseits der alltäglichen Regierungsarbeit Themen und Begriffe zu setzen oder zu besetzen.

Tatsächlich dürfte die ideologische Produktion unter Sarkozy nicht zu kurz kommen. Ein Thema hat er in den vergangenen vier Wochen bereits gefunden: die Neubewertung der Rolle der Religion, oder auch der Religionen im Plural, in der französischen Innenpolitik. Dazu erschien jüngst im katholischen Verlag Le Cerf sein Buch »La République, les religions, l’espérance« (Die Republik, die Religionen, die Hoffnung), eine Aufzeichnung von Gesprächen mit dem damaligen Minister.

In wenigen Monaten steht in Frankreich der 100. Jahrestag der Verabschiedung des Gesetzes vom 9. Dezember 1905 an, das die Trennung von Kirche und Staat besiegelte – eine Konsequenz aus der Dreyfus-Affäre und dem Bündnis von sozialistischer Arbeiterbewegung und Liberalen zur Niederwerfung der damaligen antisemitischen Bewegung. Vor diesem Datum, das zweifellos den Anlass für zahlreiche Debatten und Bilanzierungsversuche bieten wird, sorgt Sarkozys offensive Positionierung für großes Aufsehen.

»Der moralische Aspekt ist solider und stärker verwurzelt, wenn er einem spirituellen und religiösen Vorgehen entspringt, als wenn er seinen Ursprung in der politischen Debatte oder im republikanischen Ideal findet«, schreibt bzw. sagt Sarkozy, der sich selbst als kaum praktizierenden Katholiken darstellt. »Die Republik kennt kein Gut oder Böse. Sie verteidigt die Regel, das Gesetz, ohne sie an eine moralische Ordnung zu binden.« Das könnte man als Ausgangspunkt eines autoritären Programms bezeichnen: Sarkozy geht es darum, eine Moral des gesellschaftlichen Zusammenlebens zu etablieren, die der demokratischen Debatte entzogen ist.

Konkret fordert Sarkozy die Integration der Ausbildung von Priestern, Rabbinern und Imamen in die Universitäten. Und in französischen Schulen, in denen bislang kein Religionsunterricht erteilt wird, die SchülerInnen aber in einer – bewertungsfreien – allgemeinen Geistesgeschichte der Religionen unterrichtet werden, soll zukünftig stärker auf die Eigenheiten jeder Religion eingegangen werden.

Dieses Programm bringt Sarkozy in seinem Buch und besonders deutlich in einem Interview mit dem Wochenmagazin L’Express – in Form eines konfrontativen Streitgesprächs mit dem Chefredakteur Denis Jeambar, der darin die traditionelle republikanisch-laizistische Staatsidee verteidigt – direkt mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen Frankreichs in Verbindung. Und konkret mit dem Problem der gesellschaftlichen Zerrüttung und Segregation in den Banlieues: »Wenn man diesen Jugendlichen, die nur die Religion des Geldes, der Drogen, der Gewalt und des Fernsehens kennen, den Respekt vor dem Anderen beibringen will, dann kann der Diskurs eines Glaubensmannes von Nutzen sein.«

Wie in manch anderen Dingen ist für den Wirtschaftsliberalen Sarkozy auch beim Umgang mit der Religion die US-amerikanische Innenpolitik ein wichtiges Vorbild. In den USA, sagte er dem Express, schwören die Präsidenten noch auf die Bibel, was zeige, dass das französische Konzept von Religion als Teil der Privatsphäre nicht universalisierbar sei.

Normalerweise hätte Sarkozy damit in der französischen Gesellschaft eher schlechte Karten, wo nur 20 Prozent der Bevölkerung konfessionell gebunden sind, während in den USA über 40 Prozent der Wähler christliche Werte als entscheidend für ihre Stimmabgabe bezeichnen. Doch der frühere Innen- und Wirtschaftsminister hat ein gewichtiges Argument gefunden, um die traditionellen Widerstände gegen eine Rekonfessionalisierung der französischen Politik zu unterlaufen: Er beruft sich auf die Veränderungen, die durch die Herausforderung, den Islam zu integrieren, notwendig würden. Als letzte in Frankreich angekommene Religion sei der Islam besonders benachteiligt.

Dabei beruft sich Sarkozy auch auf durchaus nachvollziehbare materielle Argumente: Diese Religionsgemeinde sei »ärmer als die anderen, da ihre Angehörigen die Nachfahren jener Einwanderer sind, die in den sechziger Jahren kamen, um Fahrzeuge und Autobahnen zu bauen«. Das stimmt, aber Sarkozy antwortet darauf nicht, dass er sich um die soziale Lage von arbeitslosen Industriearbeitern oder in Fastfood-Ketten jobbenden Einwandererkindern kümmern wolle. Vielmehr strebt er ihre Integration »als Muslime« an.

Dabei bezeichnen sich in jüngsten Umfragen die Immigranten aus mehrheitlich moslemischen Ländern und ihre Kinder nur zu 15 bis 30 Prozent als »gläubig und praktizierend«, fast die Hälfte dagegen als nicht praktizierend, und der Rest schreibt sich gar keine Religion zu.

Mit seinem Diskurs von der »notwendigen Anerkennung« der rund vier Millionen als Muslime bezeichneten Einwanderer hebt Sarkozy sich mitunter auf positive Art und Weise von den kolonialistisch geprägten, rassistischen Teilen der französischen Rechten ab. Doch er setzt ihnen eine neue Variante kulturalistischer und differenzialistischer statt universalistischer Politik entgegen.

Die extreme Rechte unter Jean-Marie Le Pen ihrerseits hat ein komplexes Verhältnis zu Sarkozy. Denn auch in ihr gibt es unterschiedliche Strategien, die von der simplen »abendländisch-kolonialen« Araberfeindlichkeit bis zu differenzialistischen Diskursen reichen, nach denen »die Aufrechterhaltung der moslemischen Kultur« durch Nichtvermischung der Gesellschaften als positiver Wert gilt. Ferner wird Sarkozy wegen seines Vaters, der selbst ein ungarisch-jüdischer Einwanderer war, misstrauisch beäugt. Zugleich aber besteht eine Konkurrenz zum Law-and-order-Diskurs des früheren Innenministers, der sich durch seine an »Erfolgszahlen« orientierte Abschiebepolitik zu profilieren suchte.

Ende voriger Woche allerdings begrüßte Le Pen Sarkozys Wahl zum UMP-Vorsitzenden. Freilich vor allem deswegen, weil Sarkozy – noch als Wirtschaftsminister – vorige Woche einem Einspruch Le Pens gegen eine Steuernachzahlung in Höhe von 800 000 Euro für seine Villa nachgab und eine neue Überprüfung anordnete. So schnöde kann Politik sein.