Bitte ein Bitburg

in die presse

Mit ein paar Kränzen in Bitburg oder einer Neuen Wache ist die Versöhnung nicht geschafft. Sie bleibt eine kolossale Aufgabe, zu der alle das Ihrige beitragen müssen, auch die Alternativen aus der Kochstraße. Dort, bei der taz, ist man schon wegen der Kritik an den Autobahnen über jeden Revisionismusverdacht erhaben und kann daher Innovatives wagen. Für Besinnung und Gesinnung zuständig sind dort der einstige Maoist Christian Semler und der Theologe Philipp Gessler. Dieser lud vorige Woche ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS und einen Überlebenden von Auschwitz zu einer »besonderen Begegnung« ein.

So berichtet der Auschwitz-Überlebende Willi Frohwein: »Damals dachte ich: Nie wieder darüber reden, einfach alles vergessen. Ich habe über 20 Jahre nicht über meine Erlebnisse in Auschwitz geredet.« Worauf die taz den SS-Mann anschließen lässt: »Auch ich habe zunächst gar nicht darüber geredet. Das habe ich alles verdrängt.« Wir lernen die erste Lektion: Alle haben furchtbare Dinge erlebt, die sie zunächst verdrängt haben. Gessler hakt nach: »Nur durch Zufall, eine Krankheit, entgingen Sie der Eingruppierung ihrer Waffen-SS-Einheit in die SS-Division ›Das Reich‹, die Kriegsverbrechen beging«, ganz so, als hätte es sich beim Rest der SS um Sanitäter gehandelt. Ob es nicht auch hier Parallelen gibt? »Ihr Überleben, Herr Frohwein, hat auch viel mit Zufall zu tun, etwa dass Sie eine Plätter-Ausbildung gemacht hatten und in Auschwitz so in der warmen Wäscherei Arbeit fanden.« Die zweite Lektion lautet: Beide hatten Glück. Und dieser Zufall kann kein Zufall mehr sein, weiß Gessler jetzt. »Bei Holocaust-Überlebenden liest man ja ab und zu, dass sie sich schuldig fühlen, überlebt zu haben, während andere gestorben sind«, sagt er dem einen. »Erinnern Sie sich noch an Ihren Kameraden, der bei lebendigem Leibe verbrannte, nachdem ihr Panzer getroffen wurde?« wird der andere gefragt.

Wir sehen: Beide Männer kamen nur durch Glück davon, beide fühlen sich irgendwie schuldig, beide haben ihre Erlebnisse lange verdrängt und beide arbeiten heute gemeinsam daran, die Erinnerung wach zu halten. Die ideologische Funktion, die das Gerede von den Zeitzeugen, wie Gessler seine Gesprächspartner tituliert, stets hat, war selten so deutlich wie in diesem obszönen Interview zum 8. Mai .

deniz yücel