Wille zum Mord

Sieben Jahre Haft lautet das Urteil für den »Rädelsführer« der Münchener Kameradschaft Süd, Martin Wiese. von magnus bosch

In München sind 60 Jahre nach dem Ende des NS-Regimes vier Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden, die vorhatten, in Deutschland wieder einen nationalsozialistischen Staat zu etablieren. So sah es jedenfalls der sechste Strafsenat am Bayerischen Obersten Landesgericht. »Das Ziel, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen, sollte durch eine blutige Revolution erreicht werden«, sagte der Vorsitzende Richter Bernd von Heintschel-Heinegg in der Begründung.

Das Gericht verurteilte den 29jährigen Martin Wiese vorige Woche unter anderem wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung zu sieben Jahren Haft. Wenn man bedenkt, dass das Strafrecht für »Rädelsführer« maximal 15 Jahre Haft vorsieht, ist das keine allzu drakonische Strafe.

Ein konkreter Plan für einen Anschlag während der Grundsteinlegung für das Jüdische Zentrum am 9. November 2003 habe nicht existiert, sagte der Vorsitzende: »Hätte es einen solchen gegeben, hätte der Senat eine andere Strafe verhängt.« Den Tatbestand der Gründung einer terroristischen Vereinigung sah der Vorsitzende dennoch als erfüllt an: »Der Wille, Mord und Totschlag zu begehen, muss vorhanden sein. Und davon ist der Senat überzeugt.«

Wie die Ermittlungen ergaben, bildete Martin Wiese ab Herbst 2002 einen Führungszirkel innerhalb der Neonazi-Truppe Kameradschaft Süd. Die »Schutzgruppe«, die zwölf Neonazis umfasste, war straff organisiert und ging konspirativ vor, sammelte Daten von politischen Gegnern. Unter anderem wurde der Fraktionsvorsitzende der SPD im Bayerischen Landtag, Franz Maget, ausgespäht.

Damit nicht genug, drillte Wiese die Gruppe regelmäßig sonntags im Münchner Umland bei Wehrsportübungen. Dabei wurde mit so genannten Soft-Air-Pistolen geübt. Im Frühjahr 2003 fuhr Wiese mit seinem jetzt 28jährigen Stellvertreter Alexander Maetzing und dem V-Mann des Bayerischen Verfassungsschutzes, Didier Magnien, nach Brandenburg, wo sie sich Waffen und Munition besorgten. Kurz darauf suchte ein Teil der Gruppe in Polen nach Minen. Dabei gingen die Neonazis freilich stümperhaft vor; der aus den Fundstücken gewonnene »Sprengstoff« sollte sich später als gipshaltige Masse entpuppen, wie sie in Übungsmunition verwendet wird. Später geriet die »Schutzgruppe« an 1,2 Kilogramm explosionsfähiges TNT, das wie die Waffen später zum Einsatz kommen sollte. »Nur der Zeitpunkt stand noch nicht fest«, unterstrich Heintschel-Heinegg.

Der Senat strafte milder, als von der Bundesanwaltschaft gefordert. Sie hatte für den Hauptangeklagten Wiese auf acht Jahre Haft plädiert. Wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde Maetzing zu fünf Jahren und neun Monaten, Karl-Heinz Statzberger (24) zu vier Jahren und drei Monaten sowie David Schulz (22), der zur Tatzeit erst 20 Jahre alt war, zu zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die sieben Jahre, zu denen Wiese verurteilt wurde, bezeichnete der Vorsitzende als »untere Grenze des noch Vertretbaren«. Denn Wiese sei der »Spiritus rector« gewesen. »Er beherrschte das Szenario.«

Die Verteidiger Wieses und Statzbergers hatten dafür plädiert, den Terrorismusvorwurf fallen zu lassen. Maetzings und Schulz’ Anwälte hingegen hatten eingeräumt, der Vorwurf treffe auf ihre Mandanten zu. Die »blutige Revolution« sei eine »Chimäre«, ließ Wieses Anwalt Günther Herzogenrath-Amelung wissen; zwischen seinem Mandanten und der RAF lägen doch Welten. Wiese habe bloß seine Zunge nicht im Zaum halten können und eine »Riesendummheit« begangen, womit der Anwalt die Waffen und den Sprengstoff meinte. »Man darf nicht alles auf die Goldwaage legen.«

Er habe die Waffen lediglich »gekauft und verkauft«, um seine politische Arbeit zu finanzieren, wollte Wiese dem Gericht weismachen. Statzberger, der bis zuletzt keine Spur von Einsicht zeigte und überheblich vor sich hin grinste, beteuerte in einem holprig vorgetragenen Monolog: »Es gab keinen Anschlagsplan, egal wie man es dreht.« Für ihn sei alles nur ein großes Abenteuer gewesen. Maetzing und Schulz hatten im März gestanden, dass die Gruppe über Sprengstoff verfügt habe, der für Anschläge eingesetzt werden sollte. »Ohne Stolz und Ehre« müssten die beiden künftig leben, sagte Wiese pathetisch vor der Verkündung des Urteils.

Der 29jährige verbreitet weiterhin rechtsextremes Gedankengut: »Ich werde erst Ruhe finden, wenn wir den Endsieg erreicht haben. An meiner Einstellung zu Führer, Volk und Vaterland hat sich nichts geändert«, schrieb er im Jahr 2004 in einem Brief. In der vorigen Woche tat er im Gerichtssaal kund: »Die nationalpolitische Arbeit ist der einzige Weg, die Zukunft des deutschen Volkes zu sichern.«

Der Bundesanwalt Bernd Steudl äußerte sich nach der Urteilsverkündung zufrieden: »Ein Jahr mehr oder weniger ist nicht das Thema. Entscheidend ist, dass sich unser Rechtsstaat wehrhaft zeigt gegen terroristische Aktivitäten der rechten Szene.« Nach Auffassung von Charlotte Knobloch, der Vizepräsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland, ist die über Wiese verhängte Strafe jedoch zu mild: »Es handelte sich um einen geplanten Mord. Und auch wenn er nicht ausgeführt wurde, sehe ich die sieben Jahre als Bagatelle.« Wieses Verteidiger bezeichnete das Urteil hingegen als falsch, da die Beweise für eine Verurteilung wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung nicht ausreichten. »Mein Mandant erwägt, das Urteil anzufechten.« Im April waren in einem Parallelprozess vier weitere Mitglieder der Kameradschaft Süd wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu Bewährungsstrafen von 16 bis 22 Monaten verurteilt worden.

Die Münchner Neonaziszene meldet indessen weiter unermüdlich Veranstaltungen an. So auch eine Mahnwache zum 60. Jahrestag des Kriegsendes auf dem Marienplatz unter dem Motto: »Tag der Ehre, nicht der Befreiung«. Den Versuch der Stadt München, die Mahnwache auf einen anderen Tag und an einen anderen Ort zu verlegen, wies der bayerische Verwaltungsgerichtshof am Freitag zurück.