Öl für die Welt

Die algerische Regierung will die Privatisierung beschleunigen. Der Gewerkschaftsverband hat den Widerstand aufgegeben. von bernhard schmid, paris

Wenn ein Kabinett umgebildet wird, will die Regierungsführung meist neue Gesichter präsentieren. In Algerien dagegen wurden am 1. Mai mehrere Minister durch ihre jeweiligen Vorgänger ersetzt, die nun insbesondere die wirtschaftspolitisch entscheidenden Posten besetzen. Die Umbildung beförderte Mourad Medelci ins Finanzressort, während Abdelhamid Temmar zum Minister für Investitionsförderung wurde. Beide sind ausgewiesene Marktfundamentalisten und befürworten eine umfassende Privatisierung öffentlicher Betriebe.

Temmar hatte 2003 unter dem Druck des Gewerkschaftsdachverbands UGTA zurücktreten müssen. Dieser hatte damals einen dreitägigen Generalstreik durchgeführt, an dem über 90 Prozent der Lohnabhängigen aller Branchen teilnahmen. Das wichtigste Ziel des Streiks war es, das angestrebte brachiale Privatisierungsprogramm und vor allem die Öffnung des Erdöl- und Erdgassektors für privates ausländisches Kapital zu verhindern. Bei der daraufhin erfolgten Kabinettsumbildung im Mai 2003 war Energieminister Chakib Khelil der einzige direkt für die Privatisierungspolitik Verantwortliche, der seinen Posten behalten konnte.

Ende der sechziger Jahre war er in den USA zum Erdölingenieur ausgebildet worden und arbeitete von 1980 bis 1999 in der Weltbank in Washington als hochrangiger Funktionär der Abteilung für Energiepolitik. Als er 1999 zum Minister berufen wurde, war dies ein Signal für die westlichen Industriestaaten, dass sie nunmehr mit einer weitgehenden wirtschaftlichen Öffnung rechnen durften. In der gegenwärtigen Regierung treten ihm nun weitere überzeugte Anhänger einer weltmarktorientierten Privatisierungspolitik zur Seite.

Allerdings ist es unwahrscheinlich, dass der Gewerkschaftsverband abermals seine Mitglieder gegen die Privatisierungspolitik mobilisiert. Anfang dieses Jahres hat er seinen Widerstand gegen den zuvor angeprangteren »Ausverkauf« der algerischen Öl- und Gasförderung faktisch aufgegeben. Im Januar erklärte Generalsekretär Abdelmajid Sidi-Saïd bei einem Auftritt im Fernsehen, dass seine Organisation in Sachen Privatisierung »keine ideologischen Tabus mehr« kenne. Eine Formulierung, die die Bereitschaft ankündigen dürfte, sich den Forderungen des Staates sowie des in- und ausländischen Kapitals anzupassen.

Dies dürfte zum einen an der Vergangenheit der UGTA als Massenorganisation und Transmissionsriemen der früheren Staatspartei FLN liegen. Seit dem Ende des Einparteienregimes im Jahr 1988 hat sich zwar vieles geändert, insbesondere wird heute jeder Gedanke an ein autozentriertes Entwicklungsmodell verworfen, das früher einen Ausweg aus der strukturellen Abhängigkeit der früheren Kolonie von den hoch entwickelten Staten ermöglichen sollte.

Doch die traditionelle Loyalität zur Regierung hat die ehemalige Staatsgewerkschaft beibehalten. Zudem hat ihre Führung eine strategische Entscheidung getroffen. Sie ist zu der Ansicht gelangt, dass es besser sei, ihre organisatorische Basis in den künftig privatisierten Betrieben zu retten, als sich deren Verkauf zu widersetzen und deswegen von den künftigen Eigentümern herausgedrängt zu werden. Das verkündete Sidi-Saïd anlässlich eines Seminars über »Arbeitsrecht und Globalisierung«, das die UGTA gemeinsam mit der französischen rechtssozialdemokratischen CFDT in Algier abhielt.

Am 20. März dieses Jahres hat das Parlament tatsächlich die Verstaatlichung der Erdöl- und Erdgasförderung aufgehoben, mit der 1971 den französischen Energiekonzernen die Kontrolle über die Rohstoffe des Landes entzogen worden war. Künftig können Investoren aus dem Norden nicht mehr nur wie bisher maximal 49 Prozent der Anteile an einer Förderstätte erwerben. Präsident Abdelaziz Bouteflika hatte im Vorfeld prophezeit: »Wenn wir uns widersetzen, droht uns das Schicksal des Irak!« Eine wohl etwas übertriebene Behauptung, doch wäre Algerien von den führenden westlichen Wirtschaftsmächten zweifellos als Staat mit einer kooperationsunwilligen, »dogmatischen« Führung eingestuft worden.

Das neue »Gesetz über die Kohlenwasserstoffe« bestimmt unter anderem, dass die Preise für Energie und Treibstoffe im Inland künftig von einer neu gebildeten unabhängigen Behörde festgelegt werden sollen. Ihr wird es vom Gesetz zur Auflage gemacht, den ausländischen Kapitalanlegern »die Rentabilisierung ihrer bisherigen und ihrer künftigen Investitionen« zu erlauben. Damit wird das wirtschaftliche Risiko der Investoren auf die Bevölkerung übertragen, die mit höheren Energie- und Treibstoffpreisen die Gewinne der Unternehmen garantieren müssen. Bereits eine Woche nach der Verabschiedung des Gesetzes wurde eine Erhöhung des Gaspreises für die privaten Konsumenten um fünf Prozent bekannt gegeben. Dies dürfte erst der Anfang sein. Für die im Ölverarbeitungssektor tätigen Firmen wurde hingegen eine Senkung der Energiepreise angekündigt.

Eine »Liberalisierung« des Energiesektors ist auch im Artikel 61 des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union festgeschrieben. Der Vertrag, der im März vom algerischen Parlament und inzwischen auch von allen EU-Staaten ratifiziert wurde, soll am 1. Juli in Kraft treten. Bereits zu Beginn werden die Zölle auf eine Höchstgrenze von 30 Prozent festgelegt. Bis im Jahr 2017 soll der Zugang zum algerischen Binnenmarkt für europäische Exporteure völlig frei sein.

Diese Regelung dürfte zu einer weiteren Verringerung der unter dem staatssozialistischen Entwicklungsmodell aufgebauten Produktionskapazitäten führen, von denen bereits jetzt nur rund ein Viertel ausgenutzt wird. Die Industrie außerhalb des Ölsektors und die Landwirtschaft sind meist nicht in der Lage, mit den kapitalstärkeren und produktiveren westlichen Unternehmen zu konkurrieren.

Damit wird eine weitere Spezialisierung der algerischen Ökonomie auf die Rolle als Lieferantin von Erdöl und Erdgas gefördert. Deren Preis liegt im Moment auf einem ungewöhnlich hohen Niveau. Die algerische Regierung plant, die hohen Öleinnahmen in den kommenden fünf Jahren auch für den Bau von einer Million Wohnungen zu nutzen. Sollte dieses Versprechen eingelöst werden, könnte dies die Akzeptanz der Politik erhöhen. In den vergangenen Jahrzehnten unterlag der Ölpreis jedoch starken Schwankungen, Ende der neunziger Jahre fiel er unter zehn Dollar. Derzeit liegt er über 50 Dollar, bei einem Preisverfall würde Algerien jedoch erneut tief in die Krise geraten.

Von Bernhard Schmid erschien im Unrast-Verlag: »Algerien – Frontstaat im globalen Krieg? Neoliberalismus, soziale Bewegungen und islamistische Ideologie in einem nordafrikanischen Land«. Münster 2005, 320 S., 18 Euro