Der kurze Herbst der Bambule

Ende 2002 wurde der Bauwagenplatz Bambule im Hamburger Karolinenviertel geräumt. Warum löste gerade das so überraschend große Proteste aus? Und was ist von der Bambule geblieben? Eine Spurensuche von ove sutter

Gartenschau

Zufrieden sieht der Gartenzwerg aus, wie er da mit weißem Bart und gelber Zipfelmütze in der Ecke steht. Rotwangig blickt er auf das frisch beackerte Feld vor ihm. Eigentlich ist nichts Besonderes an der kleinen Tonfigur zu finden, steht sie doch hier wie alle ihre Kollegen, die man vorzugsweise in den Kleingärten deutscher Einfamilienhäuser findet. Dieser Gartenzwerg jedoch wacht über eine Kleingartenparzelle im Hamburger Stadtteil St. Pauli in einer abgelegenen Ecke des Karolinenviertels.

Vor zweieinhalb Jahren befand sich an dieser Stelle noch der Bauwagenplatz Bambule, von dem nichts übrig geblieben zu sein scheint, obwohl seine Räumung von einem unerwartet heftigen Widerstand begleitet wurde.

Rückschau

Der seit Oktober 2001 amtierende Hamburger Senat aus CDU, FDP und Schill-Partei hatte es sich von Anfang an zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2006 alle Bauwagenplätze im Stadtgebiet aufzulösen. Im Oktober 2002 begann man, dieses Vorhaben zu verwirklichen, und räumte den Bauwagenplatz in der Schützenstraße, ohne dabei auf eine nennenswerte Gegenwehr zu stoßen. Als nächstes räumte am frühen Morgen des 4. November 2002 ein polizeiliches Großaufgebot den seit 1994 bestehenden Bauwagenplatz Bambule.

In den darauf folgenden Wochen entwickelte sich ein enormer Protest. Fast allabendlich kam es zu Demonstrationen mit bis zu 5 000 Teilnehmern, zu denen nicht allein die üblichen Verdächtigen gehörten. Innerhalb der organisierten Linken gab es im Nachhinein nur wenige Versuche, das »Ereignis Bambule« zu begreifen. Warum sich gerade an der Räumung des Bauwagenplatzes ein derartiger Protest entzündete, ist für viele bis heute rätselhaft geblieben.

Was verband Tausende mit den etwa 35 Bewohnerinnen und Bewohnern des Bauwagenplatzes, so dass sie ausgerechnet zu dessen Räumung auf die Straße gingen? Was ist vom »Bambule-Widerstand« geblieben? Ist er so spurlos verschwunden, wie es der Anblick des Gartenzwergs nahe legt? Oder lassen sich noch Nachwirkungen ausfindig machen?

Bambule im Viertel

Britta* hat acht Jahre lang in einem umgebauten Klaviertransporter auf dem Bauwagenplatz gelebt. Sie glaubt, dass Bambule sich dadurch ausgezeichnet habe, »dass es einen festen Platz aber auch die offene Straße davor gab, auf der Leute wohnten. Dadurch war Bambule keine starre und eingespielte Gruppe, sondern immer in Bewegung.« Zudem hätten sich die Bewohner nicht nur der politischen Szene zugehörig gefühlt, sondern ebenso »der Musiker- oder der Künstlerszene«.

Vielleicht war es diese Vielschichtigkeit, die sich anziehend auf die Nachbarn im Karoviertel auswirkte. Zu ihnen zählte die Zentrale der Agentur Jung von Matt, eine der größten deutschen Werbeagenturen. Während der Mittagspause, berichtet Britta, sei man sich immer wieder begegnet. »Wir hatten einmal aus irgendeinem Anlass ein Transparent über die Straße gehängt. Eines Mittags klopften einige Mitarbeiter der Agentur an meinen Wagen und meinten, sie bräuchten unbedingt dieses Transparent für einen Werbespot. Sie würden auch 20 Mark dafür geben. Da habe ich gesagt: Nee, dafür wollen wir 500 Mark.«

Das Nebeneinander von Werbeagentur und Bauwagenplatz wird mit der Geschichte des Karoviertels verständlicher. Vor mehr als zwei Jahrzehnten waren, nicht zuletzt wegen der damals billigen Mieten, viele Leute aus der alternativen Szene in den Stadtteil gezogen, die sich zu den alten Bewohnern gesellten. »Schon lange vor diesen Ich-AGs gab es hier Läden, die süße kleine Ideen hatten. Der eine hat Käse selber gemacht, und der nächste hat seine selbst gemachte Marmelade zum Verkauf dazu gestellt«, erzählt Britta.

Claudia Grabbe arbeitet seit 22 Jahren in diesen Läden, seit sieben Jahren führt sie einen eigenen Schuhsalon. Ihr Laden befindet sich ganz am Anfang der Marktstraße im Karoviertel, die von der Hamburger Handelskammer erwartungsvoll »Hamburgs Soho« getauft wurde. Neben goldgrünen High Heels und modischen Kinderschuhen findet man in der Auslage des Geschäfts auch liebevoll gestaltete Aufnäher für die Kampagne »Kein Mensch ist illegal«. Vor zweieinhalb Jahren initiierte die 36jährige eine Unterschriftensammlung gegen die Räumung des Bambule-Platzes, an der sich 123 Gewerbetreibende beteiligten.

Zu ihren Motiven meint sie: »Das Karoviertel ist ein bunt zusammengewürfelter Haufen. Es ist natürlich nicht so schön, wenn man da ein Stück herausreißt. Selbst wenn ich einen kommerziellen Laden betreibe, muss ich deswegen nicht alles andere um mich herum vergessen.« Seit einigen Jahren nimmt sie eine Veränderung im Viertel wahr, auf die sie auch das Ende von Bambule zurückführt. »Die Räumung hängt mit dieser ganzen Viertelaufwertung und der Messe-Erweiterung zusammen.«

Tatsächlich entstehen in der Umgebung des ehemaligen Bambule-Platzes auf dem früheren Schlachthofgelände riesige Messehallen. Auch im übrigen Karoviertel wird seit vielen Jahren die Umstrukturierung durch die Stadterneuerungs- und Stadtentwicklungsgesellschaft Hamburg mbH (»Steg«) vorangetrieben. Sie fungiert seit 1990 als treuhänderischer Sanierungsträger der Hansestadt und versucht, mit »integrativen Konzepten« mögliche Konflikte abzumildern, die beim Prozess der Umstrukturierung entstehen.

»Es sind wirklich nette Leute, die da arbeiten«, sagt Claudia Grabbe über »Steg«, zu der sie als Gewerbetreibende unmittelbaren Kontakt pflegt. »Die wohnen teilweise selbst in Wohnprojekten und meinen es wirklich gut. Aber was dabei unter dem Strich rauskommt, ist, dass sie nur das Viertel aufwerten wollen.« Mit ihrer Unternehmensidee, modische Kinderschuhe zu verkaufen, habe sie von offizieller Seite eine große Unterstützung erfahren. »Aber anderen Sachen, wie zum Beispiel dem Frauen-Lesben-Buchladen, haben die nichts gegeben.« So veränderte sich das Viertel bereits unter dem rot-grünen Senat schleichend. Häuser wurden saniert, danach die Mieten angehoben. Nach und nach zog es eine wohlhabende Klientel an, zudem wurden Multimedia-Agenturen und andere »kreative« Betriebe ansässig, die sich vom Flair des Viertels angezogen fühlten.

Warum Bambule?

Erst als der neue »Rechtssenat« wieder die brachialen Methoden der achtziger Jahre hervorkramte, wurden diese von Bewohnern und Gewerbetreibenden als direkter Angriff auf den eigenen Lebensstil gewertet. »Der Protest war überall im Viertel präsent, egal, ob man beim Bäcker oder im Kiosk war. Es gab eine unheimliche Solidarität«, beschreibt Britta die Reaktionen im Viertel.

Ihrer Auffassung nach waren es vor allem vier Gründe, die zur Stärke des Widerstands führten. »Es ist bei Bambule passiert, weil Bambule im Viertel war. Es gab eigentlich niemanden, der nicht jemanden von der Bambule kannte.« Daneben habe auch die Tatsache eine große Rolle gespielt, dass man in der Person des Innensenators Ronald Schill »einen gemeinsamen Feind« fand. Dieses einende Moment führte aus Brittas Sicht dazu, dass »politische Gruppen zusammen arbeiteten, die eigentlich schon lange nichts mehr miteinander zu tun hatten«. Doch das eigentlich Herausragende des Protests habe darin bestanden, »dass man nicht in einer Gruppe sein musste, um mitmachen zu können. Es war für alle frei zugänglich. Man konnte machen, worauf man Lust hatte, und wurde dafür nicht zerrissen.« Zu dem Ausmaß der Proteste habe außerdem beigetragen, dass die Demonstrationen »durch die Art der Musik und Lautsprecheransagen oft schon Eventcharakter hatten«.

Probleme des Protests

Vielleicht war es dieser eventartige Charakter, der anderen, gleichzeitigen Demonstrationen fehlte. Etwa bei den Protesten zum Jahrestag des Todes von Michael Paul Nwabuisi, der als »Achidi John« bekannt wurde und im Dezember 2001 an Herzstillstand starb, weil ihm im Universitätskrankenhaus im Beisein von Polizisten gewaltsam ein Brechmittel verabreicht worden war.

Auch wenn sich die Parolen des »Bambule-Widerstands« mit der Zeit von »Schill muss weg!« bis zu »Regierung stürzen!« verallgemeinerten, zeigte diese antirassistische Aktion einige Grenzen des damaligen Protests auf.

»Bei der Demonstration war es extrem kalt, wir hatten eine lange Strecke zu bewältigen, und als auch noch der Generator für die Lautsprecheranlage versagte, war die Stimmung ziemlich weit unten«, beschreibt Jonny, einer der damaligen Organisatoren den Verlauf der Aktion. »Wir hatten damit gerechnet, dass die täglich stattfindenden Bambule-Demos sich auch auf unsere Aktion auswirken würden.« Tatsächlich fanden an diesem Abend nur etwas mehr als 100 Personen den Weg zur Veranstaltung, obwohl in den Tagen zuvor wie danach Tausende für die Bambule auf die Straße gingen.

Heute glaubt Jonny, dass sich deshalb nur wenige an der Aktion beteiligten, weil »Bambule die Leute eben am eigenen Leib traf. Das Thema Brechmittel, rassistische Verfolgung und Drogenpolitik ist dann eben doch etwas, das nur einen sehr kleinen Teil der Szene berührt.« Trotzdem mag er den Organisatoren der Bambule-Proteste keinen nachträglichen Vorwurf machen: »Klar hätte man in den Bambule-Flugblättern größere Bezüge zu anderen Problemen herstellen können. Aber es war nun mal auch das Interesse der ›Bambulisten‹, einen Bauwagenplatz zu bekommen. Für dieses Ziel fand ich ihre Herangehensweise völlig ausreichend.« Man könne allenfalls allen Aktivisten der Bambule vorwerfen, »dass es einen ziemlich überraschend traf und man sich auf einmal ein bisschen größer fühlte, als man wirklich war«.

Nachwirkungen I

Doch selbst wenn manch ein Aktivist sich damals irrtümlicherweise bereits auf Augenhöhe mit den Entscheidungsträgern im Senat wähnte, stellt sich die Frage, ob die Proteste, nachdem sie im Frühjahr 2002 abgeklungen waren, sich bis heute in irgendeiner Weise auswirken.

Eine Spur führt zu einer Räumungsaktion etwas anderer Art, die ein Jahr nach dem Beginn der Bambule-Proteste folgte. Am 29. Dezember 2003 drangen Polizisten in die Räume der akzeptierenden Drogenhilfeeinrichtung Fixstern ein und wiesen den dort Anwesenden die Tür. Zuvor war der im Schanzenviertel gelegene Raum für Drogenabhängige von seinen Mitarbeitern über einen Monat lang besetzt gehalten worden, um gegen die Kündigung durch den Senat zu demonstrieren.

Fritz Hofmann gehörte damals zum Unterstützerkreis der Einrichtung. Seiner Ansicht zufolge wäre diese Form des Widerstands ohne die Bambule nicht möglich gewesen. »Für die Motivation, eine Besetzungsaktion zu machen, war die Erfahrung der Bambule-Proteste sehr wichtig. Es hat vielen geholfen, sich die Angst nehmen zu lassen.« Er glaubt auch nicht, dass seitdem der Widerstand gegen den Senat verschwunden ist, und verweist auf den aktuellen Konflikt um den Umbau des Wasserturms im Schanzenpark zu einem Vier-Sterne-Hotel, der Anfang dieses Jahres zu mehreren Demonstrationen mit über tausend Teilnehmern führte.

Auch Bastian*, der bei den Bambule-Protesten 17 Jahre alt war und zu den Initiatoren einer Mahnwache gehörte, teilt diese Auffassung. Mit einiger Begeisterung erzählt er: »Bambule war für mich die Zeit, in der ich in der Schule abgekackt bin. Das Leben wurde nach den Demons geplant.« Er denkt, dass damals viele jüngere Leute längerfristig politisiert worden seien. Wie Britta behauptet auch er: »Bambule war von vornherein eine sehr offene Sache und hat es vielleicht auch vielen Leuten einfach gemacht, mit der Szene in Kontakt zu treten, um mitzukriegen, wie so etwas läuft.«

Nachwirkungen II

Richtet man den Blick auf die offizielle Bilanz des »Rechtssenats«, senken sich die Mundwinkel um einige Zentimeter. Tatsächlich konnte keine der angegriffenen sozialen Einrichtungen oder Wohnformen erfolgreich verteidigt werden. Auch die Entlassung Ronald Schills im Sommer 2003 ist weniger auf den Widerstand gegen seine Politik als vielmehr auf seinen eigenen Größenwahn zurückzuführen. Er musste zurücktreten, weil er versucht hatte, Bürgermeister Ole von Beust damit unter Druck zu setzen, dass er Informationen über dessen angebliches Liebesverhältnis zu Justizsenator Roger Kusch veröffentlichen werde. Nach Schills Rauswurf und dem Bruch der Koalition fuhr die Hamburger CDU bei den Neuwahlen im Frühjahr 2004 mit 46 Prozent ihr bestes Ergebnis aller Zeiten ein. Seither stellt sie alleine die Regierung.

Der Politik des Senats, für die nicht allein Schill verantwortlich war, ist Beust treu geblieben. Zum erklärten Ziel einer Stadt ohne Bauwagenplatz fehlt nicht mehr viel. So räumten im September 1 400 Polizisten den von 30 Bewohnern besetzten Bauwagenplatz Wendebecken. Seitdem gibt es in Hamburg nur noch fünf Plätze.

Britta hat ihren Bauwagen mittlerweile irgendwo am Straßenrand geparkt. Anfangs musste sie alle zwei Wochen ihren Wohnort wechseln, in letzter Zeit hat sich die Lage ein wenig beruhigt. »Ich versuche, unauffällig zu leben. Ich schmeiße den Müll hunderte Meter weiter weg, höre keine laute Musik und habe meistens dunkle Gardinen vor dem Fenster.«

Jedoch ist bei ihr wie auch bei den meisten anderen Aktivisten nur wenig Verbitterung zu spüren, obwohl die Proteste ohne greifbare Erfolge blieben und die Nachwirkungen ernüchternd sind. »Ich habe in den letzten zweieinhalb Jahren nicht das Gefühl gehabt, im Stich gelassen worden zu sein.«

* Name von der Redaktion geändert