»Die Gewerkschaftsführung verhielt sich katastrophal«

Jochen Gester

Die so genannte Kapitalismusdebatte hat die IG Metall erreicht. In einem Artikel der aktuellen Ausgabe ihres Monatsmagazins Metall unter dem Titel »Die Plünderer sind da« heißt es: »Finanzinvestoren aus Amerika schlachten deutsche Unternehmen aus. Sie kaufen die Firmen, um sie kurz darauf mit Gewinn weiter zu veräußern. Rücksicht auf Menschen, Regionen oder Traditionen nehmen die amerikanischen Finanziers nicht. Wie Mücken saugen sie aus den Betrieben das Geld, um dann nach dem gleichen Muster weiter zu schwärmen.« Der Text sowie die Titelseite des Blattes sind mit der Karikatur einer Mücke Illustriert, die einen Zylinder in den Farben der US-Flagge trägt und eine Fabrik aussaugt .

Jochen Gester ist Mitglied des Arbeitskreises Internationalismus der IG Metall Berlin (zu finden unter www.labournet.de/igm-akint.berlin). Mit ihm sprach Stefan Wirner.

Wie finden Sie das, was derzeit unter dem Motto »Kapitalismuskritik« in Deutschland besprochen wird?

An und für sich ist das ganz witzig. Nach 15 Jahren des neoliberalen Dauerbeschusses stellt Franz Müntefering kurz vor dem Desaster, das sich für die SPD bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen abzeichnet, fest, dass es in der Bevölkerung eine große Unzufriedenheit mit der Praxis des gegenwärtigen Kapitalismus gibt.

Ob man diese Praxis nun mit einem Tiernamen beschreiben sollte, ist natürlich strittig. Doch wenn man sich vor Augen führt, was tatsächlich passiert, wird das Bild durchaus stimmig. Die »Heuschrecken«, also die Unternehmen, profitieren von den Leistungen, die eine Gesellschaft zur Verfügung stellt, angefangen von der Infrastruktur bis hin zu qualifizierten Arbeitsplätzen.

Sie arbeiten mit Lohndrückerei, mit Entlassungen, mit der Zerlegung von Unternehmen. Hinterher stopfen sich die Aktionäre die Taschen voll und das Gemeinwesen hat relativ wenig davon. Dann suchen sich die »Heuschrecken« einen neuen Landeplatz, an dem alles noch besser funktioniert.

Darüber kann man diskutieren, man kann sagen, so funktioniert der Kapitalismus gegenwärtig. Aber wenn man sieht, was zum Teil daraus gemacht wird, sieht das schon wieder anders aus.

Der Historiker Michael Wolffsohn hat das Bild von den Heuschrecken scharf kritisiert. Menschen als Plage darzustellen, sei inakzeptabel, Müntefering habe sich aus dem »Wörterbuch des Unmenschen« bedient.

Es ist generell problematisch, Menschen mit Tieren zu vergleichen. Eigentlich ist es besser, davon Abstand zu nehmen. Wolffsohns Kritik ist aber auch der Versuch, jegliche Kritik am Kapitalismus abzuwehren.

Die Finanzinvestoren »bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschreckenschwärme über Unternehmen her«, sagte Müntefering. Das Bild vom »anonymen Finanzinvestor« kann man als strukturell antisemitisch bezeichnen. Die Nazis argumentierten in den zwanziger Jahren ähnlich.

Es gibt da durchaus Anknüpfungspunkte. Dabei stimmt dieses Bild auch nicht ganz. Es geht ja nicht um das Verhalten von irgendwelchen gesellschaftlich marginalen Gruppen. Es geht um Unternehmen, die dieses Modell des Shareholder-Value-Kapitalismus unterstützen. Sie sind nicht anonym. Die Finanzdienstleister, die auf Münteferings Hitliste stehen, sind bekannt.

Eine Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus findet auf diese Weise aber nicht statt. Es handelt sich um eine chauvinistisch aufgeladene Deutung von Konflikten.

Das Monatsmagazin der IG Metall hat sich in die Debatte eingemischt und meint, dass Finanzinvestoren deutsche Unternehmen ausschlachteten.

»Die Aussauger«. Und dazu die grinsende Mücke mit Zylinder, der mit der amerikanischen Nationalfahne umwickelt ist. Das könnte in dieser Form wirklich auch in einem rechtsextremen Blatt stehen. Der Vorstand der IG Metall, der für das Blatt verantwortlich ist, hat natürlich nichts mit den Rechtsextremen zu tun. Aber es herrscht offensichtlich eine völlige Unsensibilität in dieser Frage.

Gab es von der Gewerkschaftsbasis Reaktionen auf diesen Artikel?

Ich habe bereits Leserbriefe gelesen, wir wollen auch selbst etwas dazu verfassen.

Warum argumentiert die IG Metall gerade jetzt auf diese Art und Weise?

Man kann darüber spekulieren. Jedenfalls wird sichtbar, wohin man gerät, wenn man verzweifelt nach Bündnispartnern im »rheinischen Kapitalismus« sucht und den Kapitalismus nicht grundsätzlich kritisieren möchte. Plötzlich landet man auf Positionen, bei denen es keine Trennungslinie zur völkischen Rechten mehr gibt.

Eine andere Erklärung wäre, dass die Gewerkschaften zuletzt nicht gerade rühmlich agierten. Die Führungen haben die erste Phase der Proteste gegen die Agenda 2010 verschlafen oder ignoriert und sich später in den entscheidenden Momenten stets zurückgezogen. Will man jetzt mit fragwürdigen Bildern die Klientel zurückgewinnen?

Das Verhalten der Gewerkschaftsführung war für diejenigen, die aus eigener Betroffenheit oder politischer Einsicht gegen die Hartz-IV-Reformen gekämpft haben, eine Katastrophe. Die Standortpolitik wurde eben fortgesetzt, was wir auch in der Auseinandersetzung bei Opel gesehen haben.

Anders als bei den Konflikten bei Daimler-Chrysler oder Volkswagen saß im Fall Opel die Aktionärsmehrheit in den USA. Hierbei haben Teile der Medien, aber auch Repräsentanten der IG Metall einen sozialen Konflikt zwischen den Shareholdern auf beiden Seiten des Atlantiks und den Belegschaften zu einem Konflikt zwischen den deutschen und den europäischen Standorten und dem US-amerikanischen Mutterunternehmen stilisiert.

Und plötzlich hieß es: Bochum ist nicht der Wilde Westen. Beispielsweise meinte der nordrhein-westfälische Bezirksleiter der IG Metall, dass Mitbeteiligung und Mitbestimmung gegen den amerikanischen Kapitalismus verteidigt werden müssten. Aber dieser Shareholder-Value-Kapitalismus ist eine Form, auf die sich alle ökonomischen Eliten geeinigt haben.

Das Bild vom amerikanischen Raubtierkapitalismus, der gegen den europäischen Sozialstaat stehe, wird ja von vielen beschworen, von der SPD, der Gewerkschaftsführung, aber auch von Teilen der CDU. Ist es der Basis der Gewerkschaften klar, dass diese Vorstellung problematisch ist? Schließlich übernehmen auch deutsche Unternehmen andere: Daimler etwa hat Chrysler übernommen, BMW Rover.

BMW hat sich da nicht anders verhalten als ein amerikanisches Unternehmen. Es gibt eine Reihe gewerkschaftlicher Basisgruppen, zu denen auch meine Gruppe gehört, in denen die Kritik an dieser Verdrehung ziemlich einhellig ist.

Es gibt auch eine grundsätzliche Kritik an der Standortlogik. Wir sind dagegen, dass diese Standortkonkurrenz auf so eine kannibalistische Art ausgetragen wird. Wir suchen nach neuen Wegen für eine solidarische Gegenwehr.

Allerdings ist schwer zu sagen, wie groß unsere Basis ist. Es bewegt sich etwas, es gibt Schwerpunkte in gewissen Betrieben, wir haben auch mit Ausschlüssen zu tun. Aber wie weit wir in der Lage sind, die Politik der IG Metall insgesamt zu beeinflussen, weiß ich nicht.

Es ist sicher schwierig, im Ernstfall nicht nur gegen Unternehmensführungen, sondern auch noch gegen die Gewerkschaftsführung kämpfen zu müssen.

Aber das muss man tun. Sonst werden wir instrumentalisisert.