Studierwillige Flüchtlinge kämpfen mit vielen Hindernissen

Studium mit Hindernissen

Immer mehr Flüchtlinge in Deutschland wollen studieren. Doch die Hürden sind hoch und nicht nur sprachlicher Natur.

»Ein Studienabschluss ist der Schlüssel zu guter Bezahlung«, sagt Tarek A.*, der vor seiner Flucht aus Syrien ein Jahr lang die Universität besuchte. In Deutschland möchte der 20jährige gerne weiter studieren. Ob es wieder Bauingenieurwesen wie in Syrien sein wird, ist noch unklar. Die Voraussetzungen sind jedenfalls gut, weil Tareks hervorragendes syrisches Abitur als Hochschulzugangsberechtigung anerkannt wurde. Zudem gelang es ihm mit Hilfe von Ehrenamtlichen, ein kleines Stipendium zu erhalten, das ihn während des Einstiegs in das Studium unterstützt. Nicht alle studierwilligen Flüchtlinge haben so viel Glück.
In den vergangenen Monaten ist die Zahl der studierenden und studien­interessierten Flüchtlinge in Deutschland stark gestiegen. Wie eine Unter­suchung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) ergab, waren im Winter­semester 2016/17 fünfmal so viele Flüchtlinge in einem Fachstudium immatrikuliert wie im vorangegangenen Semester. Dennoch ist ihre absolute Zahl mit nur 1 140 Personen sehr klein. ­Daneben registrierten sich 5 700 Flüchtlinge in studienvorbereitenden Sprach- und Fachkursen, was einem Anstieg um 80 Prozent entspricht. Nicht zuletzt verdoppelten sich der HRK zufolge die entsprechenden Einzelfallberatungen an den Hochschulen. Die meisten der in dieser Befragung erfassten Flüchtlinge stammen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran und dem Irak. Hinzu kommt eine schwer zu schätzende Zahl Studieninteressierter ohne Registrierung für Vorbereitungskurse. Ebenfalls aus den Statistiken fallen in der Regel Studierende aus Krisengebieten, die keinen Asylantrag gestellt haben, da dies für sie negative Konsequenzen haben könnte, zum Beispiel weil sie aus einem sogenannten sicheren Herkunftsstaat kommen und deshalb mit einer Ausweisung rechnen müssten.

Dass der Hochschulzugang und das Studium von Flüchtlingen bei zentralen hochschulpolitischen Akteuren wie der HRK überhaupt auf der Agenda stehen, ist eine neuere Entwicklung. Vor dem Spätsommer 2015 sei dies kaum Thema gewesen, sagt Christin Younso im Gespräch mit der Jungle World. Sie ist Mitautorin einer 2016 von der Universität Hildesheim veröffentlichten Studie zu den Angeboten deutscher Hochschulen für Flüchtlinge. In einer gemeinsamen Presseerklärung vom Oktober 2016 begrüßten das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Kultusministerkonferenz (KMK), der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD), das Deutsche Studentenwerk und die HRK die größere Präsenz von Flüchtlingen an den Hochschulen: »Die Aufnahme und der erfolgreiche Abschluss eines Studiums helfen Geflüchteten, leichter in der ­Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, während Deutschland grundsätzlich von gut ausgebildeten Absolventen profitiert.« Inzwischen gibt es an vielen Universitäten Vorbereitungskurse, Sprachkurse, Gasthörer- oder Begleitprogramme. Auch Younso verweist auf die gestiegene Zahl der ­regulär eingeschriebenen Flüchtlinge.

Grundsätzlich können alle in Deutschland anerkannten Flüchtlinge, Geduldeten und Asylsuchenden an den hiesigen Hochschulen studieren. De facto ausgeschlossen sind aber Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten, die dazu verurteilt sind, in ihren Aufnahmeeinrichtungen zu verharren. Doch auch für die übrigen existieren einige Hürden bei der Erfüllung der allgemeinen Zugangsvoraussetzungen für die Aufnahme eines Studiums. So sind Asylsuchende und Geduldete in den ersten 15 Monaten ihres Aufenthalts nicht gesetzlich krankenversichert, sondern werden im Krankheitsfall durch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abgesichert, was für eine Immatrikulation an einer Hochschule allerdings nicht ausreicht. Wer keine Hochschulzugangsberechtigung (HZB) vorweisen kann, muss ein Studien­kolleg oder weitere »studienvorbereitende Maßnahmen« absolvieren. Bei denen werden Flüchtlinge zwar nicht schlechter gestellt als andere ausländische Studierende. Jedoch gibt es nicht an allen Hochschulstandorten diesen Weg, was bei restriktiv gehandhabten Wohnsitzauflagen oder behördlich angeordneten Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zu weiteren Problemen führt. Ob ausländische Bildungsabschlüsse als HZB anerkannt werden, entscheiden die Hochschulen, die sich an den Regelungen der KMK orientieren sollen. Meist müssen die Betroffenen jedoch schon eine Zeitlang erfolgreich studiert haben.

Darüber hinaus können viele Flüchtlinge nur abfotografierte Zeugnisse oder unvollständige Unterlagen vorlegen. Für solche Fälle hat die KMK Ende 2015 ein mehrstufiges Verfahren zur »Beweispflichterleichterung« beschlossen, dessen Ausgestaltung bei den einzelnen Bundesländern liegt und auch den Hochschulen Ermessensspielräume einräumt. Johannes Glembek vom Bundesverband ausländischer Studierender (BAS) begrüßt im Gespräch mit der Jungle World diese Entwicklung: »Die Verfahren sind in den vergangenen Monaten einheitlicher geworden und richten sich verstärkt nach den Regelungen der KMK. Die Ermessensspielräume werden heute stärker genutzt. Zudem werden inzwischen an einigen Hochschulen Fachgespräche mit Professoren zur Plausibilisierung von bisher erworbenen Fähigkeiten durch­geführt.«

Eine große Hürde stellt die Sprache dar. Für die meisten Studiengänge werden Deutschkenntnisse einer bestimmten Niveaustufe verlangt. Doch noch immer werden nicht an allen Hochschulstandorten ausreichend kostenlose Deutschkurse aller Niveau­stufen angeboten, die gezielt auf ein Studium vorbereiten, kritisiert Glembek. Auch für Tarek A. stellten unzureichende Sprachkenntnisse ein Problem dar. Nur aufgrund seines Stipendiums konnte er einen weiterführenden Deutschkurs oberhalb des B1-Niveaus des regulären Integrationskurses ­be­suchen.

Daneben erschweren aufenthaltsrechtliche Rahmenbedingungen den Hochschulzugang für Flüchtlinge. So muss die Aufnahme eine Studiums mit einer eventuell bestehenden Residenzpflicht zu vereinbaren sein. Dieser im Zuge der jüngsten »Asylpakete« wieder häufiger angewandten Regelung zufolge dürfen Flüchtlinge einen Landkreis oder ein Bundesland nur mit behördlicher Erlaubnis verlassen.

Auch die sogenannte Wohnsitzauflage schafft nach wie vor Probleme. Wenn es am Wohnsitz keine Hochschule gibt, die das gewünschte Fach anbietet, ­werden Flüchtlinge dadurch vom Studium ausgeschlossen. Allerdings sei die konkrete Anwendung der Auflage abhängig von der Verwaltungspraxis und der Klagebereitschaft der Betroffenen – sie könne im Einzelfall revidiert werden, betont Glembek. So brachte kürzlich ein Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg die Bezirksregierung dazu, ihre Verfahrensweise zu ändern. Wie häufig vor Gericht gegangen wird, ist für Glembek schwer einzuschätzen. In den vergangenen Monaten hätten sich jedoch 21 Betroffene der Wohnsitzauflage mit der Bitte um Unterstützung an den Bundesverband ausländischer Studierender gewendet.

Auch eine bezahlbare Unterkunft zu finden, ist besonders in den Großstädten für Flüchtlinge extrem schwierig. Verstärkt wird das Problem dadurch, dass Menschen im Asylverfahren nicht und Geduldete erst nach 15 Monaten BAföG-berechtigt sind. Darüber hinaus haben Flüchtlinge, die bereits älter sind oder schon studiert und gearbeitet haben, keinen BAföG-Anspruch, obwohl im Gegensatz zu deutschen Absolventen ihre Abschlüsse meist nicht anerkannt werden. Außerdem bemisst sich der BAföG-Bezug auch an den Regelstudienzeiten. Allerdings benötigen Flüchtlinge ebenso wie andere ausländische Studierende für das Studium in einer Fremdsprache durchschnittlich mehr Zeit.

Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach den vorschulischen und schulischen Bildungsgrundlagen für ein späteres Studium bei minderjährigen Flüchtlingen. Von den ab Spätsommer 2015 nach Deutschland Eingereisten sind mehr als eine halbe Million zwischen sechs und 25 Jahre alt. So macht etwa ein im Februar 2017 erschienener Bericht des Bundesfachverbands »Un­begleitete minderjährige Flüchtlinge« (BUMF) und des Flüchtlingsrates Bremen auf starke strukturelle Defizite beim Schulzugang für geflüchtete Kinder und Jugendliche aufmerksam. Das wiederum dürfte die meisten von einem späteren Studium fernhalten.


* Name von der Redaktion geändert.