Der große Graben

Wegen Rechtsstreitigkeiten um Texte Johannes Agnolis droht dem linken Freiburger Verlag ça ira das Aus. von thorsten fuchshuber

Er liebte die Ketzer, die Unbotmäßigen. Stritt mit denen, die sich nicht um Dogmen und Systeme sorgten, sondern, in seinen Worten, »um die Autonomie, um eine menschlichere Wirklichkeit«. Clemens Nachtmann bezeichnete den vor zwei Jahren verstorbenen Johannes Agnoli als »letzten Gelehrten«. Seine Bücher, sagt sein Verleger Joachim Bruhn, sind »samt und sonders Waffen der Kritik«. Und zumindest in dieser Hinsicht dürften den Verlag und die Witwe Johannes Agnolis sich ausnahmsweise einig sein.

Ansonsten finden der Freiburger Verlag ça ira und Barbara Görres-Agnoli füreinander kaum mehr ein gutes Wort. Denn kaum war der Staatskritiker tot, begann eine anscheinend jahrelang latent vorhandene Disharmonie in offenen Streit umzuschlagen. Es folgte eine Auseinandersetzung, deren Details so ermüdend und peinlich wie in ihrer Summe folgenreich sind.

Heute hat der Verlag, der einst die Gesammelten Schriften Agnolis publizierte, keine Rechte mehr für eine Zweitauflage. Bereits vor einigen Monaten ist Agnolis bekanntestes Buch, »Transformation der Demokratie«, im Konkret Literatur Verlag neu erschienen, während die Restauflage der anderen Werke noch bei ça ira erhältlich ist.

Zudem sieht man sich in Freiburg mit zwei Klagen konfrontiert, deren Streitwert im Falle einer gerichtlichen Niederlage den Fortbestand des Verlages gefährden könnte. Zum einen fordert Barbara Görres-Agnoli Einblick in die Umsätze, die in der Vergangenheit mit den Büchern Agnolis erzielt worden sind. Der Verlag habe seiner Auskunftspflicht nicht Genüge getan, sagt sie.

Die zweite Klage betrifft die Publikation eines Buches zu einem Kongress, der im Jahr 2001 unter Mitwirkung von Johannes Agnoli in Wien stattgefunden hat. Der Band mit dem Titel »Transformation des Postnazismus« wurde erst nach Agnolis Tod veröffentlicht. Barbara Görres-Agnoli fordert, das Buch solle vom Markt genommen werden. Ihr Mann, sagt sie, habe den Abdruck seines Vortrags nie autorisiert. Irrtum, sagen Herausgeber Stephan Grigat und der Freiburger Verlag. Bereits auf dem Kongress habe man Agnoli angesprochen. Der habe einer Veröffentlichung mündlich zugestimmt, aber unter der Maßgabe, mit den Details möglichst nicht behelligt zu werden. »So war es mit Johannes Agnoli im Übrigen immer«, sagt Tanja Walloschk, Mitarbeiterin desVerlags ça ira.

Auf der Grundlage einer 15jährigen Zusammenarbeit wäre eine solche Vertrauensbasis wenig verwunderlich. Der Verlag ça ira legte zudem vier eidesstattliche Erklärungen vor, um den mündlichen Vertragsabschluss zwischen Agnoli und Grigat zu bestätigen.

In dieser Konstellation zog man schließlich vor Gericht. Grigat, der zunächst als Zeuge des Verlags antreten wollte, wurde dabei als Herausgeber des problematisierten Buches von der Witwe des Gelehrten kurzerhand ebenfalls verklagt. In der Güteverhandlung vor dem Landgericht Berlin wurde den Streitenden dann im Februar ein Vorschlag gemacht, der für die Freiburger, so Tanja Walloschke, einem politischen Desaster gleichgekommen wäre: Der Verlag solle die Restauflage des Kongressreaders vernichten und jede Partei ihre Kosten selbst tragen.

Der Verlag ça ira lehnte ab und hofft nunmehr auf ein günstigeres Ergebnis der noch anstehenden Verhandlung. Ein Problem ist, Walloschke zufolge, dass »die Kammer von einem Verwertungsmodell ausgeht, wie sie kommerzielle Verlage verwenden«. Deshalb sei es den Richtern schwer vorstellbar, dass Rechte an Werken abgetreten werden, ohne dass zugleich eine Honorarvereinbarung vorgelegt wird.

Die Arbeit des ça-ira-Verlages, so Walloschke, sei aber »am ehesten mit open-source-Verwertungsmodellen zu vergleichen, wo es um Veröffentlichung von Wissen ohne Abgeltung durch eine Gegenleistung geht«. Doch wie beweist man eine mündliche Vereinbarung auf dieser Grundlage, wenn der Autor gestorben ist?

Andere Verleger wie etwa Jörg Hunger vom linken Schmetterling-Verlag in Stuttgart würden aus diesem Grund trotz aller Freundschaft auf einen Vertrag nicht verzichten. »Nach dem Tod des Autors geht das Urheberrecht auf eine andere Person über. Die bekommt das in die Hände und nutzt das womöglich für ihre eigenen persönlichen oder politischen Zwecke oder Kleinkriege. Wenn man dann nichts Schriftliches hat, wird es heikel.«

Irritierend ist, welche politische Dimension Görres Agnoli dem Rechtsstreit angedeihen lässt. So legte sie beispielsweise auf Indymedia dar, dass sich der Verstorbene mit der Kongresspublikation in einem politischen Milieu befinde, in das er aus ihrer Sicht nicht hineingehört. Sowohl mit der Anlehnung des Buchtitels an Agnolis »Transformation der Demokratie« als auch mit der unautorisierten Verwendung seines Vortrags sei ihr Mann als Werbeträger benutzt worden. Bereits auf dem Kongress habe er sich gefragt, wo er eigentlich gelandet sei.

Nun wurde Johannes Agnoli zu Lebzeiten allerhand vorgeworfen, jedoch nie, dass er ein Dummkopf sei. Und so stellt sich die Frage, warum einer wie er sich völlig überraschend unter Leuten wiedergefunden haben soll, mit denen er nichts zu tun haben wollte. Kaum vorstellbar ist, dass er im Falle eines fundamentalen Widerspruchs keine Mittel gefunden hätte, sich Gehör zu verschaffen.

Spricht man mit Barbara Görres-Agnoli, bekommt man einen Eindruck von dem, was sie im Grunde wohl am meisten stört. Es scheint, dass sie der Ansicht ist, die Reputation ihres Mannes werde beim Verlag ça ira nicht adäquat gepflegt. Aus ihrer Sicht sind seine Schriften dort wohl einfach nicht gut aufgehoben. Aussagen, die sie in diesem Zusammenhang in einem Telefongespräch Ende Mai getroffen hatte und die eventuell zur Klärung beigetragen hätten, wollte sie knapp zwei Wochen später jedoch nicht autorisieren.

Es war jedoch Johannes Agnolis Entscheidung, bei ça ira zu publizieren. Seine Meinung von der Arbeit des Verlags kann so schlecht nicht gewesen sein kann, sonst hätte er nach der »Transformation« kaum fünf weitere Bücher in Freiburg publiziert. Diesen Punkt will Görres-Agnoli nicht kommentieren.

Derweil bereitet sich der Verlag auf die Verhandlung vor dem Amtsgericht Freiburg vor, weil Görres-Agnoli der Ansicht ist, der Verlag habe seiner Auskunftspflicht nicht Genüge getan. »Man kann eine Auskunftspflicht nur im Hinblick auf einen Gewinnausschüttungsanspruch erheben«, sagt Walloschke. Mit der Herausgabe von Agnolis Gesamtausgabe sei dem Verlag bis 2003 jedoch ein Verlust von 30 000 Euro entstanden.

Derzeit bleibt dem Verlag ça ira nur, auf den Ausgang der Prozesse zu warten. Zwar ist die Restauflage des Readers mittlerweile nahezu ausverkauft, doch müssten die Freiburger im Falle einer Niederlage die gesamten Prozesskosten tragen, geschätzt mehr als 10 000 Euro. Für den Verlag könnte dies das Aus bedeuten. »Wir wissen nicht, ob wir diese hohe Summe über Spenden und Solipartys kompensieren können«, sagt Tanja Walloschke.

In Zukunft wird man sich womöglich auch beim Verlag ça ira vertraglich absichern. »Das bedeutet jedoch einen Mehraufwand, der für einen Verlag, der von ehrenamtlicher Arbeit lebt, schwierig ist.« Es interessiere eben niemanden, wie viele unbezahlte Arbeitsstunden in jedem dieser Bücher stecken. »Das«, sagt Walloschke, »ist das eigentlich Bittere an der ganzen Geschichte.«