Riskante Debatten

Mobilisierung der Zapatisten

von wolf-dieter vogel

»Alarmstufe rot!« Mit diesen Worten sorgte das Zapatistische Befreiungsheer (EZLN) vergangene Woche für Aufregung. Man habe die öffentlichen Anlaufstellen sowie die Büros der »Räte der Guten Regierung« vorübergehend geschlossen, mit denen die Zapatisten seit knapp zwei Jahren das von ihnen kontrollierte Gebiet im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas autonom verwalten. Alle Mitglieder der Guerilla seien in die militärischen Strukturen einberufen worden. So stand es in einem Kommuniqué vom 19. Juni. Gezeichnet: »Subcomandante Insurgente Marcos« im Namen des »Klandestinen Revolutionären Indígena-Komitees – Generalkommandantur der EZLN«.

Ein weiteres Schreiben am nächsten Tag stellte klar: Die Reorganisation der »politisch-militärischen Struktur« sei geschaffen, die EZLN habe »die nötigen Bedingungen erreicht, um einen Angriff oder eine feindliche Aktion zu überleben«. Diese ungewohnt martialische Rhetorik wurde durch ein drittes Kommuniqué etwas entschärft, in dem Marcos wissen ließ, die »Alarmstufe rot« sei eine »defensive Vorsichtsmaßnahme«. Die Zapatisten zögen sich zu internen Konsultationen zurück, und da die Armee eine solche Situation im Februar 1995 für eine Offensive genutzt habe, sei die EZLN vorbereitet. Aber man diskutiere einen neuen Schritt, der »das Risiko in sich trägt, das Viele oder Wenige zu verlieren, das wir erreicht haben«.

Die Spannung blieb also erhalten, und in linken Kreisen blühten die Spekulationen. Planen die indigenen Rebellen eine bewaffnete Offensive? Droht ein Angriff der mexikanischen Armee? Immerhin meldete das örtliche Menschenrechtszentrum stärkere militärische Bewegungen. Zudem berichtete das Verteidigungsministerium, auf zapatistischem Gebiet seien Marihuanafelder gefunden worden – eine Meldung, die sich später als falsch herausstellte. Schlagzeilen wie »die EZLN – eine Narco-Guerilla« hätten einen guten Vorwand für ein Eingreifen abgeben können.

Die Meldung vom Drogenfund erschien jedoch gleichzeitig mit dem Rückzug der Zapatisten. Und warum sollte sich Mexikos Präsident Vicente Fox, der bisher nichts getan hat, um den Konflikt zu lösen, ausgerechnet im letzten Jahr seiner Amtszeit die Hände schmutzig machen? Der Kampf gegen die Zapatisten findet auf anderen Ebenen statt, etwa durch Unterstützung »gegnerischer« Gemeinden. Eine offene militärische Aggression würde angesichts der Sympathien für die Zapatisten bis in internationale sozialdemokratische Kreise für Fox in einer Katastrophe enden.

Natürlich haben die Rebellen genügend Gründe, der Regierung zu misstrauen und neue Wege zu suchen. Vor allem, weil sich die Situation der indigenen Bevölkerung seit dem EZLN-Aufstand von 1994 nicht verbessert hat. Doch die zapatistische Politik der vergangenen Jahre widmete sich vor allem dem Aufbau autonomer Strukturen in ihren Gebieten, und eine Rückkehr zur Gewalt würde diese Strukturen gefährden.

Viele Fragen, viel Aufregung. Am Ende einer turbulenten Woche sorgte Marcos dann für Klarheit. Eine militärische Offensive der Guerilla sei nicht geplant, hieß es in einem weiteren Kommuniqué. Zur Debatte stünde die künftige Ausrichtung: Bleibt die EZLN eine Organisation, die sich ausschließlich als indigen begreift, oder weitet sie sich aus auf »Bauern, Arbeiter, Studenten, Lehrer, Angestellte, Schwule und Lesben, Jugendliche, Frauen, Alte, Kinder«? In der Tat eine Entscheidung, die Risiken mit sich bringt. Die zapatistischen Konsultationen dauern gewöhnlich einige Wochen. Danach sind wir schlauer.