Was alles schief läuft auf Castros Insel

Leonardo Paduras Havanna-Krimis schildern das postrevolutionäre Kuba. von knut henkel

Bewusst hat Leonardo Padura die Mordfälle, die sein melancholischer Kommissar Mario Conde im »Labyrinth der Masken« aufzuklären hat, in das Wendejahr 1989 gelegt. »Mit der 1990 einsetzenden ökonomischen Krise wäre der Aktionsradius meines Inspektors merklich eingeschränkt worden. Conde hätte 1992 oder 1993 nicht mehr per Bus vom Revier nach Hause fahren können, weil es schlicht kaum welche gab«, erklärt der 49jährige Autor.

Mit seiner Hauptfigur hat sich Leonardo Padura lange beschäftigt. Herausgekommen ist ein sentimentaler Moralist im Dienste der Kriminalpolizei von Havanna: Mario Conde – ein Polizist, der Gewalt ablehnt, der die landestypische Überheblichkeit der Polizei weder mag noch verkörpert und ein Faible für Literatur hat. Sensibel und mit dem beinahe schon sprichwörtlichen schwarzen kubanischen Humor, analysiert Paduras Kommissar, was so alles schief läuft auf Kuba. Als Tetralogie hat Leonardo Padura seine Romanchronik des nachrevolutionären Kuba angelegt, jeder Band wird durch eine der vier Jahreszeiten charakterisiert.

Im dritten Band, »Labyrinth der Masken«, hat es Mario Conde einem dubiosen Mordfall zu verdanken, dass er von der tristen Schreibtischarbeit beim Erkennungsdienst befreit wird und wieder ermitteln darf. Im Stadtwald von Havanna ist die Leiche eines jungen Transvestiten gefunden worden. Obendrein ist der erdrosselte junge Mann im roten Ballkleid der Sohn eines angesehenen Diplomaten der Insel. Für den brisanten Fall braucht Polizeioberst Rangel seinen besten Mann – Inspektor Mario Conde. Der macht aus seiner Abneigung gegenüber Homosexuellen keinen Hehl: »Ich liebe Vorurteile, und ganz besonders die gegen Schwule, die kann ich einfach nicht ausstehen«, sagt Conde zu Beginn der Ermittlungen zu seinem Kollegen Sargento Manolo Palacios.

Diese Haltung ist typisch für die kubanische Gesellschaft Anfang der neunziger Jahre. Ablehnung und Diskriminierung schlugen den Homosexuellen zu dieser Zeit entgegen. Nicht nur von offizieller Seite wurden die Schwulen argwöhnisch beäugt, observiert und oftmals diskriminiert. Erst der international viel beachtete Film von Tomás Gutiérrez Alea und Juan Carlos Tabío, »Fresa y Chocolate«, löste eine breite Diskussion über den Umgang mit der homosexuellen Minderheit aus.

Damals begann Leonardo Padura, seinen Krimi »Labyrinth der Masken« zu schreiben. Der homophobe Kommissar repräsentiert die schwulenfeindliche Gesellschaft; recht detailliert schildert Padura die Geschichte der Diskriminierung in Kuba – einzig die historischen Zitate der Politiker erspart er dem Leser. Und sich selbst damit wahrscheinlich eine Menge Ärger. Immerhin konnte »Labyrinth der Masken« in Kuba erscheinen. »Nicht ein Wort wurde zensiert«, erzählt Padura, und darauf ist er genauso stolz wie auf die Tatsache, dass alle seine Bücher in Kuba verlegt wurden und auf der Insel zirkulieren, wenn auch nur in kleiner Auflage.

Als Polizist kommt Conde überall hin und hinein: in die Villen der Mächtigen genauso wie in die Kaderschmieden der Revolution, wo die Oberschüler in den senffarbenen Schuluniformen gedrillt werden. Das Krimigenre dient Padura als Vorwand, um über Themen zu recherchieren, die ihn politisch interessieren. Reminiszenzen an die Balserokrise im Sommer 1994, als 35 000 Kubaner die Insel übers Meer gen Miami verließen, finden sich sowohl im »Handel der Gefühle« als auch im letzten Band der Tetralogie, »Das Meer der Illusionen«. »Indirekt sind auch die Jahre der rasanten wirtschaftlichen Talfahrt zwischen 1990 und 1993 sehr wohl präsent, wenn auch mehr auf der psychologischen Ebene«, gibt Padura zu.

Inspirieren lässt er sich auch von konkreten Ereignissen, z.B. vom Fall Carlos Aldana. Der Chefideologe, der in der Machthierarchie gleich hinter den Castros kam, wurde 1992 urplötzlich wegen Korruption aller Ämter enthoben.

Literarisch fühlt sich der ehemalige Journalist der Juventud Rebelde Autoren wie Manuel Vásquez Montalbán, Guillermo Cabrera Infante, Mario Vargas Llosa oder J. D. Salinger und Truman Capote verpflichtet. Bis 1989 arbeitete Padura bei der Zeitung des kubanischen Jugendverbandes, die seine »literarische Schule« war. Dort erlernte er das journalistische Handwerk, machte mit Reportagen auf sich aufmerksam und ging für ein Jahr als Korrespondent nach Angola, bevor er zur Gazeta de Cuba wechselte.

Damals hatte Padura noch Illusionen. »Nur fielen die nicht sonderlich ins Gewicht«, urteilt Padura im Rückblick auf die siebziger und achtziger Jahre. Damals hätten alle die gleichen Chancen gehabt. Den Run auf Statussymbole wie Nike-Turnschuhe oder den Rucksack von Tommy Hilfiger habe es damals nicht gegeben. Drei Hosen und die gleichen Hoffnungen und Perspektiven wie der Pultnachbar habe damals jeder Schüler gehabt, erinnert sich Padura an seine Schulzeit, die in seinen Büchern immer wieder ein Thema ist.

1989 kam heraus, dass hochrangige Repräsentanten aus Armee und Innenministerium in den Drogenhandel sowie in illegale Geschäfte mit Kunstgütern und Elfenbein verwickelt waren. Der so genannte Ochoa-Skandal sorgte international für Schlagzeilen und national für Ernüchterung, schildert Padura die Situation zu Beginn des Wendejahres 1989. »Damals gingen den Leuten die Augen auf, es war das Ende aller Illusionen«, erinnert sich der Schriftsteller. Dieses Ende der Illusionen hat Padura in seinen vier Krimis aufgearbeitet. Und derzeit sitzt er an einem fünften. Der soll in der kubanischen Gegenwart spielen – doch das ist eine andere Geschichte.

Leonardo Padura: Labyrinth der Masken. Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag, Zürich 2005,19,90 Euro

Drslb.: Meer der Illusionen. Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein, Unionsverlag, Zürich 2005,19,90 Euro