Gefährliches Wechselspiel

Der Populismus der Linkspartei reflektiert den Zerfallsprozess der Politik. von norbert trenkle

Als Franz Müntefering in der Endphase des Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen mit seinem Appell ans Ressentiment gegen die »ausländischen Finanzinvestoren« die absehbare Niederlage der SPD noch einmal abzuwenden versuchte, bewies er einen Riecher für die Stimmung im Lande, die man der »Seele der Partei« mit der Aura eines verstaubten Aktenschranks kaum zugetraut hätte. Bloß erfüllte sich seine Hoffnung, diese Stimmung noch einmal für seine eigene Partei nutzen zu können, nicht. Stattdessen setzte er einen Prozess in Gang, der zu einer grundlegenden Erosion des deutschen Parteiensystems führen dürfte.

Freilich bedeutet die Externalisierung der so genannten Kapitalismuskritik in einem eigenen Parteienbündnis, der Linkspartei, keinesfalls die Neuformierung der linken Opposition. Vielmehr reflektiert sich darin eine für die derzeitige Krisensituation charakteristische Widersprüchlichkeit. Auf der einen Seite sind die Zwänge der kapitalistischen Konkurrenz- und Verwertungslogik weitgehend verinnerlicht, erscheinen als unhintergehbares Naturgesetz und Wesen des Menschen. Auf der anderen Seite wächst aber unter dem Druck des entfesselten Weltmarkts und der Prekarisierung der Lebensverhältnisse auch ein diffuses Unbehagen an einer Gesellschaft, die eine erfolgreiche Marktteilnahme gleichzeitig zur Existenzbedingung erhebt und verunmöglicht. Weil sogar die momentanen Gewinner mittlerweile damit rechnen müssen, morgen schon unter die Räder zu kommen, geht die Angst um. Und die Angst sucht nach einem Ventil.

Bislang war es den etablierten Parteien zumindest im Westen noch gelungen, diese widersprüchliche Stimmung politisch zu kanalisieren. Nicht zufällig fiel das in den relativen Gewinnerregionen am Leichtesten, vor allem in Bayern, wo die CSU ihre Position als quasi-sozialdemokratische Volkspartei immer schon mit einer Mischung aus wirtschaftsfreundlicher Standortpolitik, Klientelwirtschaft und populistischer Stimmungsmache abgesichert hat. Aber auch der SPD gelang die Integrationsleistung noch einmal, als sie im Jahr 1998 vom Unmut über den Kohlschen Sozialabbau an die Macht gespült wurde, obwohl es die Spatzen damals schon von den Dächern pfiffen, dass sie eine solche Politik noch viel konsequenter fortsetzen würde. Doch spätestens seit Hartz IV war es mit der Integration vorbei.

Insofern ist das jetzige Auseinanderbrechen der alten Parteienkonstellation und das Outsourcing der anti-neoliberalen Stimmung alles andere als erstaunlich. Denn obwohl das Publikum das Spiel im Grunde durchschaut und daher nicht etwa betrogen wird, sondern sich allenfalls ein paar Illusionen vorgaukeln lassen will, ungefähr so, wie es sich gerne mal in die Traumwelten von Hollywood entführen lässt, um den kapitalistischen Alltag leichter ertragen zu können: Es verlangt doch ein gewisses Maß an Glaubwürdigkeit von den politischen Darstellern. Schließlich möchte man ja auch keine Laienschauspieler auf der Leinwand sehen, als Mafiabosse etwa, denen man auf den ersten Blick anmerkt, dass sie hauptberuflich Steuerberater sind oder an einer Supermarktkasse sitzen.

Insofern war Gerhard Schröder eigentlich eine recht gute Besetzung, denn im Metier der symbolischen Politik ist er zuhause. Doch die Kluft zwischen der Rhetorik von sozialer Gerechtigkeit und der marktradikalen Zurichtung der Gesellschaft konnte selbst er nicht mehr überbrücken. Deshalb darf nun sein alter Rivale Oskar Lafontaine mit einem Konkurrenzunternehmen zumindest vorübergehend reüssieren.

Dennoch erfüllt die Linkspartei nicht einfach die Funktion einer Re-Stabilisierung des politischen Systems durch die Integration der Unzufriedenen. Denn dazu müsste es ihr wenigstens eine Zeit lang gelingen, eine »andere Politik« zu simulieren und auf der symbolischen Ebene einigermaßen glaubhaft zu vertreten. Genau dieser Weg ist jedoch verbaut.

Es bedarf keiner besonderen Phantasie, um zu erkennen, dass PDS und Wasg im Falle einer Regierungsbeteiligung exakt die gleiche Politik betreiben werden wie die von ihnen jetzt attackierten »neoliberalen Einheitsparteien«. Jeder potenzielle Wähler kann das an den praktischen Exempeln in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern studieren.

Dahinter steht nicht etwa ein Mangel an Wille oder Durchsetzungskraft, sondern die Tatsache, dass die globalisierte Krisenkonkurrenz und der ungeheure Rationalisierungswettlauf die Handlungsspielräume der Politik aufs Äußerste verengt haben. Weil dies im Grunde dem Wahlvolk längst bekannt ist, erwartet es gar keine ausgefeilten politischen Gegenentwürfe; ein paar Schlagworte, die das Gefühl im Bauch ansprechen, genügen vollkommen. Selbst dem letzten Underdog ist klar, dass all die phantastischen neo-keynesianischen Konzepte ökonomisch in der Luft hängen. Die Einzigen, die noch an ihre Machbarkeit glauben, sind ein paar linke Professoren, die ihr Leben lang nichts anderes gelehrt haben, und ein Teil der Partei- und Attac-Aktivisten, die nach intellektuell anspruchsvolleren Illusionen verlangen als der Durchschnittswähler.

Lafontaine ist alter Politikfuchs genug, um dies längst begriffen zu haben. Deshalb beharrt er einerseits auf »ökonomischem Realismus« und senkt bereits im Programmentwurf die Mindestlöhne ab, die sowieso allenfalls auf dem Sozialhilfeniveau angesiedelt sein würden. Andererseits agiert er hemmungslos populistisch. Dass er dabei offen ans nationalistische und rassistische sowie ein wenig verklausulierter auch ans antisemitische Ressentiment appelliert, liegt durchaus in der Logik der Sache. Denn was unter den Bedingungen des globalisierten Krisenkapitalismus vom Keynesianismus übrig bleibt, ist nur noch der aggressive Wunsch einer Wiederherstellung seiner notwendigen nationalstaatlichen Grundlage.

Zwar ist auch das nicht viel mehr als bloße Phantasie, denn die Transnationalisierung des Kapitals lässt sich nicht mehr rückgängig machen. Doch ermöglicht die Definition der entsprechenden Hassobjekte – »Fremdarbeiter« und das unvermeidbare »wurzellose Finanzkapital« – zumindest eine vorübergehende Affektabfuhr.

Obwohl Lafontaines Avancen bei so manchen Aktivisten der Linkspartei ehrliche Abscheu auslösen, sind sie doch Ausdruck eines Populismus, dem die nähere Zukunft gehören dürfte. Die unübersehbare Tendenz zur Verschmelzung ehemals linker und rechter Positionen spiegelt dabei auf ihre Weise einen allgemeinen Trend, der nichts weniger als den Zerfallsprozess der Politik reflektiert, die in Anbetracht der entfesselten kapitalistischen Logik immer mehr ihre relative Handlungsfähigkeit verliert.

Weil es aber auch in diesem Prozess noch den Schein von Gegensätzen braucht, kommt es zum Neben- und Miteinander von einer vereinheitlichten sozialdarwinistischen Krisenverwaltung und einem ebenso vereinheitlichten Populismus, der den Unmut rassistisch und antisemitisch kanalisiert. Die besondere Gefährlichkeit dieser Entwicklung liegt darin, dass es sich nicht etwa um ein stabiles Gleichgewicht handelt, sondern um ein dynamisches Wechselspiel zwischen zwei Polen, die mit dem Fortschreiten des Krisenprozesses noch viel rabiatere Züge annehmen könnten. Die gesellschaftliche Opposition täte gut daran, sich darauf einzustellen, statt irgendwelche Illusionen über die Linkspartei zu pflegen.