Koloniale Revision

Die Kolonialabteilung im Auswärtigen Amt der Weimarer Republik. Von Jens Ruppenthal

»Diese Kolonien sind nicht bloß ein wirtschaftlicher Faktor, sondern ein nationaler Ehrenpunkt«, sprach ein Abgeordneter des Zentrums auf der Verfassunggebenden Nationalversammlung im April 1919 und erntete dafür »Zustimmung«, wie das Protokoll vermerkt. Dergestalt reagierten viele in Politik und Öffentlichkeit auf den Vorwurf der alliierten Siegermächte des Ersten Weltkriegs, man habe sich als unfähig zur Kolonisation erwiesen und gar ungeheurer Grausamkeiten in den Kolonien schuldig gemacht. Man fasste es als ehrenrührig auf, dass das Deutsche Reich nach der Kriegsniederlage aus solchen – als fadenscheinig empfundenen – Gründen seine Kolonien verlieren sollte. Die revisionistischen Schlachtrufe von der »Kriegsschuldlüge« und der »Kolonialschuldlüge« besaßen freilich unterschiedliches Gewicht und entsprangen doch beide derselben allgemeinen Empörung. Nicht nur viele Politiker, sondern vor allem die Kolonialverbände traten dafür ein, sich der Kolonialfrage auch weiterhin mit Nachdruck zu widmen.

Seit dem 1. April 1924 existierte im Auswärtigen Amt in der Berliner Wilhelmstraße wieder eine Kolonialabteilung. Sie residierte sogar an alter Stelle. In einem repräsentativen Wohnhaus auf dem Grundstück Nummer 62 hatte bereits die wilhelminische Kolonialabteilung seit 1895 Räume angemietet, bis das Gebäude 1905 ganz in den Besitz des Deutschen Reiches überging. Zwei Jahre später hatte dort auch das neu gegründete Reichskolonialamt seinen Sitz. Das Gebäude wurde allerdings 1934 abgerissen. Als Besitzer des Grundstücks war seit 1938 das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda eingetragen, 1945 schließlich befand sich hier nurmehr eine Ruine. 

Nachdem Deutschland in Folge der Bestimmungen des Versailler Vertrags seiner »Schutzgebiete« verlustig gegangen war, mussten erst Grundsätze einer neuen Kolonialpolitik formuliert werden, die sich an der veränderten Situation orientierten. Die entscheidenden Weichenstellungen dazu sollten in eben jener Kolonialabteilung vorgenommen werden. Zur veränderten Lage zählte nicht nur der Umstand, dass man sich de facto wieder in die Lage jenes kolonialen Habenichtses versetzt sah, der man bis 1884 gewesen war, sondern auch die größere Dringlichkeit anderer Probleme.

So besaßen etwa die Verhandlungen um die Reparationszahlungen eindeutig Priorität. Konkrete Schritte zur Wiederaufnahme der Kolonialpolitik unternahmen die Regierungen der Weimarer Republik in den ersten Jahren nicht. Nach der formellen Auflösung des Reichskolonialamts 1920 war zunächst im Reichsministerium für Wiederaufbau eine Kolonialzentralverwaltung in erster Linie zur Abwicklung von Entschädigungsforderungen eingerichtet worden. Die erwähnte Kolonialabteilung nahm im April 1924 im Rahmen der Abteilung III des Auswärtigen Amts ihre Arbeit auf. Aber erst als der am 1. September des gleichen Jahres in Kraft getretene Dawes-Plan einen jahrelangen Streit um die Modalitäten der Reparationszahlungen beendete, verfügte die deutsche Regierung erstmals wieder über größeren außenpolitischen Spielraum und konnte sich auch der Kolonialfrage erneut widmen.

Kolonialpolitik ohne Kolonien

Doch wie sah die Kolonialpolitik eines Staates aus, der keine Kolonien mehr besaß? Am 29. September sandte die deutsche Regierung ein Memorandum an die Mitgliedsstaaten des Völkerbundes, in dem sie ihre Bereitschaft zum Eintritt in den Bund andeutete und anmerkte: »Seit dem verlorenen Krieg von jeder kolonialen Betätigung ausgeschlossen, erwartet Deutschland, zu gegebener Zeit aktiv an dem Mandatssystem des Völkerbundes beteiligt zu werden.« Die kolonialpolitischen Ambitionen waren weitaus deutlicher in einer geheimen Denkschrift mit dem Titel »Richtlinien unserer Kolonialpolitik« vom 10. November 1924 formuliert, die der Leiter der Kolonialabteilung, Ministerialrat Edmund Brückner, nach Rücksprache mit Vertretern der kolonialen Lobby entworfen hatte. Brückner war seit 1902 in kolonialen Angelegenheiten im Auswärtigen Dienst tätig gewesen. Seine Karriere hatte ihn unter anderem über eine Position als Bezirksamtmann in Kamerun und die des stellvertretenden Gouverneurs in Deutsch-Südwestafrika nach Togo geführt, wo er vom März 1911 bis Juni 1912 Gouverneur war. Vom 16. April 1924 an leitete er als Dirigent die »Unterabteilung III a (Kolonialpolitische Angelegenheiten)«. 

Die »Richtlinien« analysierten »Die Aussichten auf Rückerwerb von Kolonialland« und »Die kolonialen Ziele« des Deutschen Reichs sowie »Die Mittel zur Erreichung der Ziele«. Brückner war allerdings hinsichtlich einer eventuellen Rückerlangung auch nur eines Teils des ehemaligen Kolonialreichs realistisch, wenn er die Aussichten als »letzten Endes allein abhängig von dem eigenen freien Entschluss der Mandatsinhaber, insbesondere Englands und Frankreichs« einschätzte. Ihnen musste das grundsätzliche Interesse Deutschlands an einer Wiederaufnahme kolonialer Betätigung durch den entsprechenden Passus in dem Memorandum vom September bewusst sein, wie Brückner anfügte.

Dass dieses Ziel nur über die Mitgliedschaft im Völkerbund und die formelle Übertragung eines Mandats zu erreichen war, stand für ihn offenbar außer Frage. Äußerst unterschiedlich beurteilte er die Chancen auf Wiedererlangung der ehemaligen Kolonien. Die von Japan, Australien und Neuseeland verwalteten Inselgruppen im Pazifik, Neuguinea und Samoa schrieb er ab, und auch von einer Rückgabe Südwestafrikas durch die Südafrikanische Union ging er nicht aus. Kamerun, Togo und Ostafrika erachtete er als für die Mandatsmächte Frankreich und Großbritannien wirtschaftlich entbehrlich, sah aber politische Hindernisse – vor allem die Frage des Prestiges. Als koloniale Ziele definierte er die Erlangung »tropische(r) Gebiete (…) als Rohstofflieferanten« und »Siedlungsland, das einen Teil unserer überschüssigen Bevölkerung aufnehmen kann und in dem die deutsche Eigenart sich erhält«.

Das erste Ziel meinte Brückner auf dem Wege wirtschaftlicher Durchdringung bestimmter Mandatsgebiete erreichen zu können, eine Methode, die eine »spätere Mandatsübertragung auf Deutschland« nach sich ziehen könnte. Allerdings fügte er auch die Vorkriegspläne, in den portugiesischen Kolonien wirtschaftlich tätig zu werden, erneut hinzu. Das zweite Ziel glaubte er durch eine stetige Einwanderung nach Südwestafrika verwirklichen zu können, wobei er die Mandatsmacht Südafrika eher als stabilisierenden Faktor betrachtete. Als »Mittel zur Erreichung der Ziele« listete Brückner neben einer nicht näher erläuterten »Beaufsichtigung der Mandatspolitik«, der »Förderung deutschen wirtschaftlichen Eindringens in Kamerun, Togo und Deutsch-Ostafrika« und der »Förderung der Zuwanderung Deutscher nach Südafrika, in erster Linie nach Südwestafrika« insbesondere Propaganda im In- und Ausland auf.

Interessanterweise kam für ihn die »amtliche Aufklärung des Auslandes über die so genannte koloniale Schuldlüge zu einem richtig gewählten Zeitpunkte« lediglich als Möglichkeit, dann in Form »einer kurz gefassten Denkschrift«, in Betracht. Die Schrift sollte »in der Form jede Schärfe vermeiden. Man würde sich bei jedem Wort gegenwärtig halten müssen, dass wir ohne eine Geneigtheit von England und Frankreich nichts erreichen.«

Letztlich nannte Brückner alte Argumente für die Wiedererlangung der ehemaligen »Schutzgebiete« – eine Bezeichnung allerdings, die in der gesamten Denkschrift nicht vorkam; rhetorisch hatte man sich dem Völkerbund angenähert. Entscheidend war, dass nach Einschätzung des Leiters der Kolonialabteilung das Deutsche Reich in absehbarer Zeit indirekt wieder kolonialen Einfluss ausüben konnte, jedoch nur als ein gleichberechtigtes Mitglied des Völkerbunds.

Die in der Denkschrift enthaltenen Vorstellungen entsprachen denen Carl von Schuberts, Leiter der Abteilung III, und denen von Außenminister Gustav Stresemann. Für ihn stand die Kolonialfrage jedoch an untergeordneter Stelle innerhalb einer Hierarchie der Revisionsziele, deren oberste die Wiedererlangung der politischen und wirtschaftlichen Handlungsfreiheit Deutschlands und die Rückgewinnung der besetzten Gebiete waren. An zweiter Stelle stand die Regelung von Reparations- und Rüstungsfragen und an dritter die territoriale Revision sowie die Festlegung der Ostgrenze. Die Kolonialfrage sollte mit der Bekämpfung des Kriegsschuldvorwurfs und der Rückgewinnung Eupen-Malmedys gewissermaßen als unabhängiger Punkt behandelt werden.

Brückners Grundsatzprogramm griff in der Tat einige Forderungen der kolonialen Kreise auf; so hatte Wilhelm Laverrenz, Abgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei, in einer Reichstagsrede des Jahres 1922 darauf hingewiesen, dass die Unterstützung der in Südwestafrika verbliebenen Kolonialdeutschen forciert werden müsse, um diese »auf fernem Posten ausharrenden Deutschen (…) nach besten Kräften in der Erhaltung ihres Volkstums zu unterstützen«. Heinrich Schnee hingegen, der aktivste Vertreter der Kolonialrevisionisten in der Deutschen Volkspartei und spätere Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG), wünschte sich prinzipiell eine stärkere Betonung der Kolonialfrage durch Stresemann bei der Formulierung der deutschen Bedingungen für einen Beitritt zum Völkerbund. Er sah die Zuweisung von Mandaten sogar als zwingende Voraussetzung dafür an: »Wenn wir kein Mandat erhalten, so würden wir, wie Herr Dr. Stresemann gesagt hat, dass wir bei Nicht-Gleichberechtigung die Schuldlüge anerkennen, auch bei den Kolonien die Schuldlüge anerkennen.«

Kolonialrevisionismus war also nicht gleich Kolonialrevisionismus. In dieser anfangs noch folgenlosen Differenz der Prioritäten von Außenpolitik und organisierten Kolonialenthusiasten lag die Ursache der späteren Hinwendung der Verbände zur NSDAP, von der sie sich eine kompromisslosere Verfolgung ihrer Ziele versprachen.

Bevor es jedoch zum Bruch zwischen beiden Seiten kam, standen das Auswärtige Amt und der Präsident der DKG, Theodor Seitz, in Kontakt über das Vorgehen in den weiteren Verhandlungen mit den anderen Mächten. Von Schubert, inzwischen Staatssekretär, teilte Seitz mit, dass die Außenpolitik auch im Fall einer baldigen Mitgliedschaft im Völkerbund in kolonialen Angelegenheiten zurückhaltend bleiben werde. Durch die Verbindung der Völkerbundsfrage »mit den vitalsten Fragen unserer großen Politik« sei die Lösung der kolonialen Konflikte »außerordentlich schwierig geworden«, da ihnen gegenüber »die entscheidende Rolle die Befreiung und Sicherung des Rheinlandes spielen« müsse.

Von Schubert gab dem DKG-Präsidenten zu verstehen, dass sich die Kolonialenthusiasten bis auf Weiteres zu gedulden hätten: »Unter diesen Umständen werden Sie es begreiflich finden, dass ich Ihnen heute noch nicht sagen kann, ob wir die Lösung des Kolonialproblems schon im ersten Stadium der Völkerbundsfrage durchsetzen können. Sie können sich aber darauf verlassen, dass wir die Kolonialfrage bei unserer Völkerbundspolitik niemals unter den Tisch fallen lassen werden.«

Ideale und Realitäten

In öffentlichen Äußerungen wie auch im direkten Kontakt mit seinem Parteikollegen Schnee erweckte zwar auch Stresemann den Eindruck, als ob er die koloniale Revision mit Nachdruck betrieb. Gleichzeitig musste er allerdings in diversen Gesprächen mit dem britischen Botschafter die unnachgiebige Haltung insbesondere der britischen Regierung erkennen.

So tauchte die Kolonialfrage in den Vorbereitungen der Konferenz von Locarno, die im Oktober 1925 stattfand, einmal mehr nur am Rande auf. Im Zusammenhang mit der geplanten Forderung nach Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund sollte lediglich die Rücknahme der »Kolonialschuldlüge« angestrebt werden. Wichtigstes Ergebnis der Konferenz war ein deutsch-alliiertes Abkommen, in dem sich das Deutsche Reich u.a. verpflichtete, seine Grenzen zu Frankreich und Belgien anzuerkennen und dem Völkerbund beizutreten. Die Kolonialfrage wurde nur beiläufig aufgeworfen; indem der deutsche Außenminister auf den Völkerbund zu sprechen kam und jedem Versuch, den deutschen Beitritt mit dem Eingeständnis der Kriegsschuld gleichzusetzen, eine Absage erteilte, berief er sich auf das deutsche Memorandum von September 1924, das hinsichtlich der Kriegsschuldfrage noch immer Gültigkeit besitze.

In der Folge kam das Gespräch denkbar kurz auf die Kolonialfrage, wie sich Stresemann erinnerte: »In seiner Erwiderung auf meine Rede ging Briand noch einmal auf das Memorandum ein und sagte dabei, Herr Stresemann habe die Frage aufgeworfen, dass Deutschland beanspruche, auch Kolonien zu besitzen. Es gebe niemanden, der dieses moralische Recht Deutschlands irgendwie bestreiten wolle. Chamberlain schwieg dazu; er war innerlich gewiss geneigt, uns die französischen Kolonien abzutreten, wie Briand gewiss ebenso geneigt, diejenigen seines englischen Verbündeten.«

Briands Anmerkung bedeutete die indirekte Rücknahme des Kolonialschuldvorwurfs, doch Stresemann blieb bei der Einschätzung ihrer möglichen Folgen realistisch. Die DKG äußerte sich entsprechend enttäuscht über das kolonialpolitische Ergebnis der Konferenz und beurteilte es als »rein platonische Anerkennung eines deutschen Anspruchs auf Erteilung von Mandaten.«

Die Propaganda der Kolonialverbände verschärfte sich in der Folge noch einmal und richtete sich vor allem gegen Großbritannien. In einem vertraulichen Gespräch mit dem britischen Botschafter Edward Ingram im April 1926 bemühte sich von Schubert um Schadensbegrenzung. Auch wenn die kolonialen Kreise »eine nicht zu unterschätzende Gefahr darstellten«, sei sich die deutsche Regierung bewusst, dass koloniale Forderungen derzeit unangebracht seien und »weit davon entfernt, eine Kolonialpropaganda zu entfesseln«.

Diese Haltung galt weiterhin auch intern. Bei einem Treffen Edmund Brückners mit dem französischen Geschäftsmann Desouches, das etwa zur gleichen Zeit in der Wilhelmstraße stattfand, wurde allerdings die Möglichkeit einer deutsch-französischen Konzessionsgesellschaft für das französische Westafrika diskutiert. Und auch Stresemann behielt die indirekte Einflussnahme vor allem in den ehemaligen deutschen Kolonien im Auge. Bereits 1925 war das britische Einreiseverbot für Deutsche nach Tanganyika, das frühere Deutsch-Ostafrika, aufgehoben und Rückreisewilligen Darlehen gewährt worden. Diese Darlehen sollten nun weiter aufgestockt werden; Stresemann informierte Reichsfinanzminister Peter Reinhold im Mai 1926 über die »Möglichkeit, auf erheblich breiterer Basis in Tanganyika festen Fuß zu fassen«. In einem weiteren Dokument aus der Kolonialabteilung heißt es: »Es bleibt daher nur übrig, weiter auf eine uns günstige Gelegenheit zu warten und die bisher verfolgte vorbereitende Politik fortzusetzen, die bezweckt, neue Tatsachen nicht aufkommen zu lassen, die unseren Anspruch erschweren, andererseits Tatsachen herbeizuführen, die ihn fördern können.«

Faktisch änderten sich die Rahmenbedingungen für die deutsche Kolonialpolitik auch dann nicht, als Deutschland durch Beschluss vom 8. September 1926 in den Völkerbund aufgenommen wurde. Von diesem Ereignis unbeeindruckt, setzten die Kolonialverbände ebenso ihre Propaganda fort wie das Auswärtige Amt sich mit konkreten Forderungen weiter zurückhielt. Erst im Juni 1927 beanspruchte Stresemann offiziell einen Sitz in der Ständigen Mandatskommission, welche die Entwicklung der Mandatsgebiete zu überwachen hatte. Dass am 9. September Ludwig Kastl als deutscher Delegierter tatsächlich dort seinen Platz einnehmen konnte, machte ein Kolonialmandat für Deutschland allerdings nicht wahrscheinlicher. Die effektiven Einflussmöglichkeiten waren begrenzt, das letzte Wort hatte ohnehin der Völkerbundsrat, und freie Mandate, die man den Deutschen hätte zuweisen können, gab es nicht und waren auch nicht zu erwarten.

Die deutsche Kolonialpolitik hatte sich gezwungenermaßen damit beschieden, auf informellem Wege zumindest wirtschaftliche Bande mit den ehemaligen »Schutzgebieten« zu knüpfen. Das entsprach gewiss nicht einer realen Kolonialpolitik, und es entsprach schon gar nicht den offen vorgetragenen Ansprüchen kolonialrevisionistischer Hardliner in Parteien und Verbänden, für die die Kolonialfrage auch eine Frage der Ehre war.

Auch diplomatisch vorsichtige Taktierer wie Gustav Stresemann hatten weit reichende Idealziele vor Augen. Die kolonialpolitischen Entscheidungsträger der Kolonialabteilung in der Wilhelmstraße waren jedoch bei der Formulierung ihrer »Richtlinien« und der Einschätzung ihrer Chancen einigermaßen realistisch geblieben, realistischer immerhin als die Kolonialverbände. Die personelle Kontinuität – Stresemann, Brückner und von Schubert bekleideten ihre Posten über mehrere Kabinettswechsel in den betreffenden Jahren hinweg – mag dazu beigetragen haben, dass die Kolonialfrage stets mit der gebotenen Zurückhaltung und lediglich als ein zweitrangiges Revisionsziel behandelt wurde.

Die Stabilität des eingeschlagenen Kurses kam auch daher, dass von Schubert als Brückners unmittelbarer Vorgesetzter, zunächst als Chef der Abteilung III und dann als Staatssekretär, mit Stresemanns Verständigungspolitik nicht nur konform ging, sondern sie erheblich mitbestimmte. Damit blieb die offizielle Kolonialpolitik, sofern diese Bezeichnung in der Weimarer Republik überhaupt noch zutreffend war, fraglos eine Berliner Angelegenheit.