Schwupps, bist du antideutsch

Das Label »antideutsch« dient nur noch zur Abgrenzung. Dabei geht es nicht um Marken, sondern um Klassenkampf auf der Folie der deutschen Verhältnisse. von gaston kirsche

Wie wird man eigentlich Antideutscher«, fragte Ivo Bozic augenzwinkernd in der letzten Ausgabe der Jungle World. Es gibt in der Tat einige, die sich selbst gerne dieses Etikett aufkleben. In der Regel aber sind es andere Linke, die einen zum Antideutschen machen. Ein richtiges Wort zur notwendigen Solidarität mit Israel als staatsgewordener Konsequenz aus der Shoah, oder eine Kritik an national aufgeladenem Antiimperialismus – und schwupps, bist du antideutsch. Einmal so abgestempelt, glauben viele Linke, sich nicht mehr mit von dir geäußerter Kritik oder Aktionsvorschlägen auseinandersetzen zu müssen. Der Traditionslinke kann sich gemütlich zurücklehnen – wieder einmal ein Angriff auf die Einheit der Linken abgewehrt, denkt er sich.

»Die Antideutschen« als vorgestellte Einheit, das sind die Anderen, die Schmuddelkinder, die nicht dazugehören zur linken Community. Und tatsächlich eignen sich die selbst ernannten Vorreiter des Antideutschtums rund um die Bahamas mit ihren schrillen Verlautbarungen hervorragend zur Abgrenzung. Immer wieder wird inbrünstig betont, »die Antideutschen« seien ja gar keine Linken. Anstatt nüchtern festzustellen, dass es »die radikale Linke« als Einheit nicht gibt, weil keine gemeinsame Grundlage existiert, wird durch die Ausgrenzung des »Antideutschen« eine linke Identität gestiftet. Zu welchem Zweck will man Stalinist/innen und antikommunistische Anarchos oder Völkerrechtler/innen und Autonome unter einen Sammelbegriff fassen? Alles Linke, außer den bösen Antideutschen? So wenig Erkenntnisgewinn daraus entspringt, so eifrig wird in Szenekneipen darum gerungen, wer denn nun ein echter radikaler Linker sei und wer nicht.

Doch auch bei der überdrehtesten antideutschen Gruppierung sind immer noch Spurenelemente zweier grundsätzlicher Einsichten erkennbar: Erstens muss eine linke Politik in Deutschland die Shoah mitdenken, ein Kommunismus nach Auschwitz muss den Antisemitismus wie den Nationalsozialismus bekämpfen. By any means necessary. Und zweitens: Linke Politik in Deutschland, die nicht opportunistisch sein will und keine Kompromisse mit Antisemitismus und nationaler Formierung eingeht, ist nur aus einer Minderheitenposition heraus denkbar und muss deutschlandkritisch sein. Die Absage an einen »Massenansatz«, der die historische Niederlage der Linken in Deutschland vor 1933 verdrängt, ist eine zwingende Vorrausetzung für linksradikale, emanzipatorische Politik in diesem Land.

Das ist unbequem und stört linke Gewissheiten. Nach 1989 war das ein paar Jahre anders. Es gab bei einem Großteil der radikalen Linken, geschockt von der Wiedervereinigung, der aggressiven Ostexpansion des westdeutschen Kapitals und eines brutalen nationalen, rassistischen Coming-Outs in Deutschland, eine Bereitschaft zur antinationalen Deutschland-Kritik. Die pogromartige Belagerung der Flüchtlingsunterkünfte 1991 in Hoyerswerda, 1992 in Rostock-Lichtenhagen und Mannheim-Schönau war zu offensichtlich nicht nur das Werk zugereister Nazis, sondern auch der deutschen Nachbarschaft.

Es gab eine rege und breite Debatte darüber, wie Linke auf das Wiedererstarken deutschnationaler Ideologie und Politik reagieren sollten. Viele Linksradikale trugen das Label »antideutsch« nicht als Bekenntnis vor sich her, sondern organisierten praktisch die Kritik der deutschen Verhältnisse. Dem offenen Streit zwischen linken Optionen folgte die Phase der Fossilisierung. Die von der Wiedervereinigung aufgescheuchte Linke war geschrumpft, Positionen waren eingeschliffen. Drei Jahre nach Rostock-Lichtenhagen, bei den Aktivitäten rund um den 50. Jahrestag der Niederlage Nazideutschlands, war radikale Deutschlandkritik nicht mehr erwünscht. Die lebhafte Kontroverse vom Beginn der neunziger Jahre war für Traditionslinke abgegessen. Ein bisschen Antirassismus und, wenn’s hoch kommt, eine Prise Antinationales, das ließ die Traditionslinke noch zu, aber die unbequeme Deutschland-Kritik wurde verdrängt.

In der antideutschen Hauptstadtszene rund um die Bahamas setzte alsbald eine Selbstethnisierung ein. Der Ausgrenzung und Ignorierung durch die deutsche Linke folgte die entgegengesetzte Abgrenzung von den »anderen«, traditionellen Linken. Diese Inszenierung fand ihren erbärmlichen Schlusspunkt darin, sich als Turbo-»Antideutsche« zu gerieren, indem die US-Army als bewaffneter Arm der Emanzipation herbeihalluziniert wurde. Dieses turbo-»antideutsche« Gehabe setzt aber voraus, antiherrschaftliche Positionen als Ballast abzuwerfen.

Eine auf diese Weise zum Trachtenverein mutierte antideutsche Identitätspolitik hat sich von einer realen Deutschland-Kritik insbesondere nach den Anschlägen vom 11. September 2001 komplett gelöst. Statt »Deutschland denken heißt Auschwitz denken«, »Nie wieder Deutschland« und »No Tears for Krauts« heißt es jetzt »Bush – the Man of Peace«, es könnte auch heißen Nie wieder Islam und No Tears for Palestinians.

Die notwendige Kritik des Islamismus wie anderer Herrschaftsideologien zum neuen Hauptwiderspruch zu machen und »das Deutsche« überall in der Welt bekämpfen zu wollen, nur nicht in Deutschland, ist jedoch nicht antideutsch. Die deutsche Nation und ihre postnationalsozialistische Volksgemeinschaft muss schon hierzulande in linker Theorie und Praxis etwas entgegengesetzt werden. Antideutsch sollte keine Pose sein, sondern kann bedeuten, »auf der Folie der Negation der deutschen Verhältnisse und ihrer Kontinuitäten« Politik zu machen, »etwas zu wollen gegen Deutschland«, wie das die Hamburger Gruppe Rapidas kürzlich formulierte.

Neu an der Weltlage ist, neben einer Radikalisierung des allerdings schon seit Jahrzehnten aktiven Islamismus, dass die imperialistische Konkurrenz zunehmend offener ausgetragen wird und der BRD- und Euro-Imperialismus gegenüber den USA häufig auf eine nichtmilitärische Austragung von Konflikten drängen wird, um seine eigene militärische Schwäche zu kompensieren. Für radikale Linke stellt sich damit die Aufgabe, die Friedensbewegung mit einer Kritik eben des vermeintlich friedliebenden, angeblich humaneren BRD-EU-Imperialismus zu konfrontieren. Diese Kritik ist keineswegs damit gleichzusetzen, in vermeintlich radikaler Pose auf die imperialistische Konkurrenz zu setzen und beispielsweise die Absichten des US-Imperialismus schönzureden. Es gilt, Befreiung jenseits der imperialistischen konkurrierenden Interessen zu denken und zu propagieren.

Das Eintreten gegen Antisemitismus und für das Existenzrecht Israels ist aus der deutschen Geschichte unabdingbare Konsequenz. Dementsprechend vielfältig ist die Aufgabe, der unheimlichen Penetranz entgegenzutreten, mit der deutsche Linke immer wieder Anlässe suchen, um ausgerechnet Israel verbal anzugreifen. Das Zeigen der Israel-Fahne in der deutschen Öffentlichkeit kann hier eine symbolische Solidarität ausdrücken – radikale Linke sollten sich aber nicht hinter dieser staatlichen Symbolik verstecken. So ersetzt eine israelische Fahne keine Kritik des gegenwärtigen Klassenkampfs von oben. Dass aber in Deutschland Menschen angegriffen werden, die Israel-Fahnen zeigen, muss entschieden zurückgewiesen werden, weil eine solche Ignoranz gegenüber der Shoah unerträglich ist. Hier geht es nicht um Spaltung, sondern um einen Mindeststandard für linke Politik.

Eine radikale Kritik der kapitalistischen Vergesellschaftung, die antideutsch und kommunistisch sein will, kann keine umgehend erfüllbaren realpolitischen Forderungen aufstellen und damit Herrschaft affirmieren. So landet man als antideutscher Bettvorleger im Hausstand des Kapitalismus: Wer sich den Kopf der Herrschenden zerbricht – ist es jetzt besser, mit der Opposition oder mit dem Regime im Land XY ein Bündnis einzugehen –, kann sich als antideutschen Diplomaten bezeichnen, mit kommunistischer Kritik hat das nichts zu tun.

»Antideutscher Kommunismus« kann sich aber auch nicht auf unmittelbare soziale Forderungen beschränken. So sinnvoll es ist, Forderungen nach mehr Lohn, sozialer Teilhabe, der Befriedigung sozialer Grundbedürfnisse und Rechte zu unterstützen, so beschränkt ist der vermeintliche Klassenkampf von unten heutzutage auf ein bisschen Umverteilung. Hinter der Ebene des Klassenkampfs, dem berechtigten Kampf um mehr Teilhabe am Ertrag des kapitalistischen Systems, steht die Ideologieebene, auf der sich die Subjekte für eine radikale Kritik der politischen Ökonomie und kapitalistischen Vergesellschaftung entscheiden können: nicht mehr Raum im Käfig, sondern der Ausbruch!

Ein revolutionärer Bruch mit der kapitalistischen Vergesellschaftung und seiner deutschen Ausprägung ist nicht ohne das andere – die Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeiten, kapitalistischer Deformierung und Hierarchisierung – zu haben. Jede und jeder kann für Befreiung und Emanzipation aktiv werden, sozial kämpfen und radikal kritisieren.

Die Einflusslosigkeit radikaler Linker hierzulande ist schwer zu akzeptieren. Sich deshalb andere Staaten als starke Bündnispartner herbeizuphantasieren, hilft nicht weiter.

Die Befreiung von Deutschland, Ausbeutung und Herrschaft kann nur durch soziale Bewegungen errungen werden. Die deutschen Verhältnisse im Grundsatz abzulehnen, gehört unbedingt dazu, nicht nur für kosmopolitische Kommunist/innen. Gerade in der linksradikalen Marginalität.