Privilegierte Partnerschaft

Kontraguerilla in der Türkei

von sabine küper-büsch

Für die Attentäter war der Anschlag Routine. Sie parkten am 9. November ihr Auto an der Hauptstraße von Semdinli, einer Kreisstadt in der südostanatolischen Provinz Hakkari. Einer der drei Männer betrat eine Ladenpassage, in der Hand eine Plastiktüte. Wenig später detonierte ein Sprengsatz, offensichtlich zu früh, der Attentäter hatte gerade erst den Tatort verlassen können.

Ziel des Anschlags war es, den Besitzer des Buchladens »Umut« (Hoffnung), Seferi Yilmaz, zu töten. Während ein Kunde bei dem Anschlag ums Leben kam, überlebte Yilmaz unverletzt. Zusammen mit anderen Ladenbesitzern konnte er den flüchtenden ehemaligen PKK-Angehörigen Veysel Ates neben dem Fahrzeug seiner Komplizen stellen. Es kam heraus, dass der weiße Renault der Jandarma gehört, einer Sondereinheit des Militärs, und die beiden Insassen Unteroffiziere waren. Passanten stellten im Kofferraum zwei Handgranaten, zwei Kalaschnikows, vier Magazine sowie verschiedene Dokumente sicher, darunter einen Lageplan des Buchgeschäftes und eine Liste mit mehr als hundert Namen möglicher PKK-Sympathisanten.

Im Ort waren zuvor Flugblätter aufgetaucht, in denen Vergeltung für einen Bombenanschlag angedroht wurde, bei dem Soldaten getötet worden waren. Insgesamt sind in der Provinz in den vergangenen Monaten siebzehn Bombenanschläge verübt worden. Das Militär behauptet, die PKK sei dafür verantwortlich, die PKK beschuldigt die Sicherheitskräfte, die Wahrheit dürfte irgendwo dazwischen liegen.

Der Vorfall sorgte in der Türkei für viel Wirbel. Es kam zu Ausschreitungen in Semdinli, die Sicherheitskräfte erschossen drei weitere Menschen. Die Staatsanwaltschaft eröffnete ein Untersuchungsverfahren, Delegationen eilten in die Region, eine parlamentarische Untersuchungskommission wurde gebildet, Ministerpräsident Tayyip Erdogan reiste herbei, der Gouverneur von Hakkari wurde versetzt.

Wird der spontane Protest tatsächlich Veränderungen bewirken? Wohl kaum. Man hat gelernt, das Spiel der Institutionen zu spielen, Kommissionen zu bilden, Vorfälle zu dokumentieren. Nur Folgen dürfte dies nach den bisherigen Erfahrungen nicht haben.

Noch größeres Aufsehen als der Anschlag in Semdinli erregte ein Autounfall im November 1996. In einem nahe der Stadt Susurluk verunglückten Mercedes starben ein Kontra-Killer und Drogenschmuggler sowie ein Polizeipräsident, nur ein Abgeordneter der damaligen Regierungsparetei DYP überlebte. Die Zusammenarbeit zwischen der Mafia, der Polizei und Politikern war nicht mehr zu leugnen.

Ein paar Monate später wurde offensichtlich, dass auch das Militär in den Kontra-Aktivitäten mitmischte. Ein Unteroffizier des Geheimdienstes deckte auf, dass die als PKK-Taten getarnten Schmuggelaktivitäten, Erpressungen und Entführungen in Hakkari zu einem großen Prozentsatz von Militäroffizieren initiiert wurden, die sich eines PKK-Überläufers bedienten. Doch als der Prozess um diesen Mafia-Kontra-Ring in der vergangenen Woche nach fast zehn Jahren zu Ende ging, wurde nur der PKK-Überläufer verurteilt, die verantwortlichen Offiziere wurden freigesprochen. Hakkari an der Grenze zum Irak und Iran ist immer noch eine andere Welt als die Westtürkei, dort ist das Zentrum der Schmuggelaktivitäten und illegalen Grenzübertritte. Das wird sich auch nicht ändern, solange das türkische Militär sich als Garant der Stabilität dort sieht, die Region ein Krisengebiet bleibt und die Frage, was mit den verbleibenden PKK/Kongra-Gel-Einheiten geschehen soll, die in den Bergen des Nordirak sitzen, ungelöst ist.