Der Traum der Gummiwurst

Deutschland sucht wieder einen Superstar. Dieter Bohlen bewahrt uns vor dem Schlimmsten. von elke wittich

Früher oder später stellt sich für jeden die Frage, was man später mal machen möchte. Man denkt ein bisschen darüber nach, was man gern tut, stellt dann möglichst objektiv fest, wo die eigenen Stärken liegen und entscheidet sich dann für einen Beruf. In dem man zwar nicht unbedingt auch wirklich einen Ausbildungsplatz erhält, aber wir sprechen hier im Moment auch nur vom theoretischen Vorgehen. Und so wie niemand, der gern in einem Büro sitzt und als Lieblingshobby Autoschrauben hat, auf die Idee käme, Steuerfachgehilfe zu werden, wird umgekehrt auch kaum jemand, der nicht in der Lage ist, auch nur einen Nagel einzuschlagen, ausgerechnet Tischler werden wollen. Kein Computerhasser käme auf die Idee, Informatik zu studieren, und Leute, die Kinder grässliche Ekelpakete finden und absolut nicht mit ihnen klarkommen, würden niemals Erzieher werden wollen.

Dieses praktische Modell »Jeder macht das, was er kann« versagt jedoch ausgerechnet bei jungen Menschen, die Journalist oder Popstar werden wollen. Im ersten Fall ist dies vielleicht noch verständlich, denn Schreiben im Sinne von Buchstaben aneinanderreihen können die meisten Menschen, und viele verwechseln dies mit Schreibenkönnen. Außerdem ist der Irrtum, eine Meinung zu haben, ersetze die Fähigkeit zum schriftlichen Ausdruck, ziemlich weit verbreitet. Und so kommt es immer wieder, dass junge Menschen, denen Oma gesagt hat, sie schrieben so hübsche Postkarten aus dem Urlaub – oder deren Pamphlete in der Politgruppe immer sehr gelobt werden, plötzlich Journalist werden wollen. Was meist mit einem Praktikum beginnt, wo das drohende Unheil noch mit einigen klaren Worten: »Du kannst nicht schreiben, du wirst es auch nie lernen, lass es, und schau, es gibt so viele hübsche Berufe, geh los und such dir einen!« abgewendet werden kann. Worauf der Wannabe-Schreiber meist ganz furchtbar beleidigt ist und es bei der nächsten Zeitung versucht, wo vielleicht sogar Bedarf an Politgeschwurbel oder niedlichen Landschaftsschilderungen besteht. Journalismus im Sinne von Journalismus ist das dann trotzdem nicht.

Weit schlimmer wirkt sich die mangelnde Fähigkeit zur Selbsteinschätzung jedoch bei den zahlreichen Castingshows aus. 16jährige mit bereits Richtung Gesundheitsgefährdung tendierendem Übergewicht melden sich mit da mit einer an Arroganz dem eigenen Spiegelbild gegenüber grenzenden Nonchalance zu Model-Contests, Jungs, die so aussehen, als hätten sie in ihrem Leben noch niemals das Wort Bewegungsablauf gehört geschweige denn etwas anderes getan, als ihre dicken Stummelbeinchen zwischen Comupter und Fernsehcouch hin- und her bewegt, sehen sich als zukünftige Tänzer – und Leute, die nicht singen können, melden sich zum Vorträllern bei »Deutschland sucht den Superstar«.

Gut, das war abzusehen, nachdem die erste Staffel von Daniel Küblböck dominiert worden war, denn es mag sein, dass nicht jeder mitbekommen hat, wie zu Ende die Karriere des hyperaktiven kleinen Bayern nun schon seit einiger Zeit ist. Außerdem ist zu vermuten, dass nicht alle die Worte der großen britischen Literatin Julie Burchill in ihrem Herzen bewegen, die einst erklärte, es gebe kein Menschenrecht auf Popstarwerden und wenn die Regierung davon spreche, Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen, dann sollten die bitte nicht davon ausgehen, dass es Jobs als hippe Literaten oder Musiker sein würden, sondern eben ganz normale, völlig unglamouröse Broterwerbe. Aber angesichts der erbärmlich vor sich hin trällernden, absolut unvorteilhaft zurechtgemachten Mädchen, die weder den Text noch die Melodie des von ihnen vorgetragenen Liedes beherrschen (und wir sprechen hier von wirklich einfachen Liedern mit simplen Tonabfolgen) oder Jungs, die außer einem hastig dahingenuschelten Sprechgesang wirklich nichts, aber auch gar nichts draufhaben, stellt man sich unweigerlich schon einige, sehr unangenehme Fragen.

Nicht nur die, ob da draußen wirklich eine ganze Generation herangewachsen ist, die weder über auch nur halbwegs vernünftige Eltern noch über ehrliche Freunde verfügt, denn solche hätten dem unbegabten Balg von Rechts wegen schon bei der Anmeldung entweder die Unterschrift versagen oder einige sehr, sehr deutliche Worte im Sinne von: »Vergiss es! Du wirst dich zum Gespött machen, und ich liebe dich viel zu sehr, um das zuzulassen!« sagen müssen. Nein, es ist alles noch viel schlimmer: Man hat den Eindruck, dass Deutschland ein einziger großer Kindergarten ist. In dem auch die mittlerweile halbswegs ausgewachsenen Insassen das Recht darauf haben für jeden Pups gelobt zu werden, sei es dafür, dass sie es geschafft haben, sich die Schuhe fehlerfrei zuzubinden oder sei es dafür, dass sie stehen können, ohne umzufallen.

Und wie selbstverständlich erwarten, auch dann positive Verstärkung zu bekommen, wenn sie einmal etwas nicht ganz so gut hinbekommen. Man muss angesichts der bei »DsdS« im Casting durchgefallenen, unglaublich empörten halbpubertären Scheißer, die es nicht fassen können, dass jemand ihre kieksenden Töne nicht ganz toll fand, sehr dankbar sein, dass es den strengen und gerechten Juror Dieter Bohlen gibt. Denn der sagt, wie es ist. Bewegungen »wie ein angeschossenes Wildschwein«, Ausstrahlung »einer elektrischen Gummiwurst«, dreinschauen wie »Bruni, die Klofee«, Gesang, »der, wenn du bei mir im Keller singen würdest, bewirkte, dass die Kartoffeln freiwillig und geschält hochkommen würden« – das alles sind nicht die Attribute, die einen Superstar ausmachen. »Es gibt so schöne Jobs, such dir einen«, holt Bohlen energisch Erziehungsmaßnahmen nach, während auch seine beiden Beisitzer, zunächst gut gewillt, langsam die Geduld mit den unmusikalischen Möchtegernsängern verlieren.

Wie schlimm es wohl sein muss, im Minutentakt Rumgeknödel, täppische Ausfallschritte und Pidgin-Englisch, gepaart mit grenzenlosem Ego zu erleben, kann man nur erahnen. Es reicht aber wohl aus, dass einem eigentlich ganz niedlichen, wenn auch stimmschwachen Kandidaten auf dessen Ankündigung, er werde nach dem daneben gegangenen ersten Versuch rasch noch ein zweites Liedchen anstimmen, ein sehr energisches, dreistimmiges »Och nö« entgegnet wird. Wobei sich das Fehlen von »Onkel Stein« hin und wieder unangenehm bemerkbar macht, denn der neue Juror, Heinz Henn, ein unschön gekleideter Herr, der ein bisschen an Rainer Calmund erinnert, gibt Bohlen hin und wieder Widerworte. Keine witzigen, sondern eher trotzige, und das ist zwar eine Abwechslung vom ewig ähnlichen Anblick aufgeregter Nixkönner, aber trotzdem nicht so richtig unterhaltsam. Zumal der Neue einen ausgeprägten Hang zu mindestens unbedachten, wenn nicht schmierigen Äußerungen hat. Von Fritzi und ihrer Freundin aus Weimar, 16 respektive 17 Jahre alt, sind die Juroren zwar stimmlich nicht rundherum begeistert, aber es reicht für mäßige Anerkennung und das garantierte Weiterkommen in die nächste Runde. Soweit wäre auch noch alles okay, bis der Mann dann der zierlichen Blondine erklärt: »Was ich an Dir so liebe ist deine unschuldige Ausstrahlung. Ich würde dich am liebsten in den Arm nehmen …«

Dass zum Superstarwerden auch ein passables Aussehen gehört, ist etwas, was man nicht mögen muss, aber an das man sich eigentlich schon seit langer Zeit gewöhnt haben sollte. Dass ein Teenie mit Popstar-Traum zusätzlich noch eine Stimme braucht, scheint den meisten Kandidaten völlig entgangen zu sein. Obwohl Bohlen natürlich auch Kandidatinnen, die vokal nicht ganz spitze sind, großzügig eine Runde weiterkommen lässt, weil sie »megatoll« aussehen oder »hammermäßige« Augen haben oder ganz allgemein »total super« sind. Aber, so gibt er zu bedenken: »Nun sagt den untalentierten Leuten doch nicht immer, sie könnten noch was werden, wenn sie nur lange genug an sich arbeiten. Wie lange sollen die denn üben? Bis sie 82 sind? Ihr tut denen keinen Gefallen damit, drumherumzureden!« Dem ist nichts hinzuzufügen. Der deutsche Kuschelkindergarten braucht drei, vier, viele Dieter Bohlens.