Die Hosen hoch

Das Parlament von Barcelona plant, mit restriktiven Verordnungen
gegen Graffitisprayer, Straßenprostituierte und fliegende
Händler vorzugehen. von inge wenzl, barcelona

Es ist noch früh am Morgen, wenn die Angestellten vom städtischen Reinigungsdienst in Barcelona ihre Schläuche schwenken. Mit einem kräftigen Wasserstrahl treiben sie Bierdosen, Pappbecher und die unappetitlichen Reste des nächtlichen Alkoholkonsums vor sich her. Die Hüter des Gesetzes sind ebenfalls schon auf den Beinen. Zwei Polizeibeamte haben ihre Motorräder wenige Meter weiter geparkt und patroullieren über den Platz. Gegenüber, auf dem Altstadt-Straßenstrich, haben sich derweil die ersten Prostituierten eingefunden.

Die Willkür und Omnipräsenz der Polizei während der vergangenen Wochen in der Altstadt gibt einen Vorgeschmack darauf, was auf Jugend, Arme und Straßenkünstler zukommen könnte, wenn am 23. Dezember das Stadtparlament die neuen Verordnungen, ordenança, verabschieden sollte. Es ist der Höhepunkt einer breit angelegten Kampagne von Politik und Medien gegen incivisme, das »unkultivierte Verhalten« im öffentlichen Raum. Ins Fadenkreuz rückt dabei nicht nur, wer etwa auf der Straße seinen Müll ablädt oder dort nachts betrunken herumkrakeelt, sondern auch Graffitimaler und Straßen­musiker, Prostituierte oder Obdachlose. Mittels massiver Polizeipräsenz und saftiger Geldstrafen wie 120 Euro für das unverlangte Putzen von Windschutzscheiben an Ampeln, bis zu 300 Euro für öffentliches Urinieren oder gar bis zu 1 500 Euro für das Besprühen von U-Bahnwaggons will die Verwaltung Armut und Alternativkultur aus dem Stadtbild verbannen.

Besonders hart würden die geplanten Regelungen Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis treffen. Wegen ständiger Polizeikontrollen ist es bereits jetzt für die fliegenden Händler trotz des Weihnachtsgeschäfts schier unmöglich, ihre Ware unter die Leute zu bringen. Kaum haben sie ihre Schals auf dem Boden ausgebreitet, schon müssen sie sie wieder zusammenpacken und sich aus dem Staub machen. »Normalerweise arbeite ich zwei, drei Stunden am Tag hier am Hafen«, erzählt Maqbool Hussain. »Aber heute ist zuviel Polizei unterwegs. Wenn ich endlich Papiere habe, suche ich mir einen anderen Job.« Als der 28jährige vor einem Jahr aus Pakistan nach Spanien kam, arbeitete er zunächst im Supermarkt eines Landsmanns: »Doch da musste ich 14 Stunden am Tag arbeiten und verdiente bloß 500 Euro«, sagt er. »Hier habe ich in zwei Stunden 25 bis 30 Euro zusammen.« Allerdings nur, wenn die Polizei ihm nicht die Ware konfisziert. Doch »ohne Papiere haben viele Migranten keine andere Wahl«, erklärt der Sprecher der Flüchtlingsorganisation Papeles para Todos, Enrique Mosquera.

Für die Prostituierten des Straßenstrichs im Raval würden die veränderten Regelungen faktisch ihre Vertreibung bedeuten, denn sie geben der Polizei freie Hand, Platzverweise auszusprechen und Geldbußen von bis zu 750 Euro für Wiederholungstäterinnen zu verhängen. Schon allein ihre Präsenz reicht oft aus, um Freier abzuschrecken. Grund genug für etwa 100 Sexarbeiterinnen verschiedener Nationalitäten, an einem Novemberabend gemeinsam mit 250 anderen Bürgern gegen die vorgeschlagenen Verordnungen zu demonstrieren. Mit Trillerpfeifen ausgerüstet skandieren sie Sprechchöre wie: »Weniger Hotels, mehr Stundenhotels« und strecken ihre Transparente zum Rathaus empor, wo gerade der Stadtrat tagt. »Ich bin Spanierin und finde keine andere Arbeit«, schmettert Jenifer Martínez durchs Megafon und rückt ihre Schirmmütze gerade. »Deshalb arbeite ich auf der Straße, nicht in einem Etablissement, wo der Besitzer 50 Prozent meines Lohns einbehält. Die gebe ich lieber meinem Sohn. Ich arbeite nämlich für mein Kind, genau wie wir alle!«

Blanca Fernández, die für die NGO Ambit Prevenció mit Prostituierten arbeitet, sieht die Gründe für die anvisierten repressiven Maßnahmen in städtebaulichen Interessen. Seit den neunziger Jahren befindet sich der Raval im Umbruch. Ganze Straßenzüge wurden abgerissen und die Flaniermeile Rambla del Raval gebaut; auf dem Nachbargrundstück, das an den Straßenstrich grenzt, sollen in nächster Zukunft ein Fünf-Sterne-Hotel, Büro- und Wohnräume entstehen. Dabei will man den künftigen betuchten Besuchern natürlich gerne den Anblick der Armut ersparen, die das Viertel bis heute charakterisiert. »Sie promoten das ober­hippe Barcelona der Geschäfte und der Spekulation. Die Leute sind ihnen egal. Sollen sie doch wegziehen, wenn sie nicht genügend Geld haben«, erregt sich Jordi Gómez, der in einer Stadtteilgruppe mitarbeitet und sich ebenfalls mit ein paar Freunden auf der Demonstration eingefunden hat.

Blanca Fernández findet noch härtere Worte: »Die Verordnungen würden die Rückkehr zu einer Diktatur bedeuten, deren Ende vor 30 Jahren wir gerade erst gefeiert haben«, urteilt sie. Tatsächlich tragen die geplanten Maßnahmen auch antidemokratische Züge: So ist vorgesehen, dass derjenige, der eine Demo anmeldet oder ein Straßenfest organisiert, für etwaige Schäden aufkommen muss.

Joan García von der Föderation der Nachbarschaftsinitiativen Barcelonas unterstreicht dagegen die Notwendigkeit einer Regelung, denn viele Anwohner der Altstadt litten unter dem Müll, Dreck und Lärm, mitverursacht durch den starken Touristenansturm der letzten Jahre. »Aber im Stadtrat werden Dinge vermengt, die nicht zusammengehören: Alles was mit Armut zu tun hat, wie die Prostitution oder die Obdachlosen, hat unserer Meinung nach in Verordnungen über zivilisiertes Verhalten nichts zu suchen.« Eine Meinung, die auch der Juniorpartner der regierenden Sozialisten, Iniciativa Catalunya/Els Verds, teilt, der sich bei der ersten Lesung der Stimme enthalten hat. Statt Geldstrafen propagiert García soziale Hilfsangebote, öffentliche Toiletten und Erziehungsmaßnahmen.

Währenddessen befinden sich die sozialen Bewegungen der katalanischen Hauptstadt noch im Tiefschlaf. Nur wenige kamen zu den Kundgebungen im Herbst, die praktisch im Familienkreis stattfanden. Eine größere Demons­tration ist für den 17. Dezember geplant, bis dahin können noch Einwände gegen die geplanten Regelungen eingereicht werden. Die Ankündigung eines Happenings, bei dem die Teilnehmer kollektiv vor das Rathaus kacken wollten, entpuppte sich allerdings als Fake.

Der Sauberkeitsdrang der Stadtväter kollidiert auch mit hiesigen Traditionen: »Das ist das erste Jahr, dass es hier keinen caganer gibt«, empört sich eine Rentnerin nach dem Besuch der Krippe am Rathausplatz. Dabei handelt es sich um einen hockenden Hirten mit heruntergezogener Hose, der in Katalonien traditionell die Krippen ziert und hier durch Abwesenheit glänzt. Sicherlich kein Zufall.