Lange Rede, kurzer Sinn

Die jüngste Pop-Debatte ist eine Personal-Debatte,
die ohne Inhalte auskommt. von tim stüttgen

Ich geb’s gerne zu: Ich mag Theater, besonders wenn es im Feuilleton und in ähnlichen Institutionen von vorwiegend klugen Herren veranstaltet wird. Ungefähr nach dem Zivildienst fing das an: In der Uni kluge Leute, im Fernsehen kluge Leute, in den Zeitschriften kluge Leute, und in den Clubs sahen sie auch noch gut aus. Keine Frage, was ich die nächsten Jahre gemacht habe: probiert, so gut es geht, mich auch als klug zu produzieren und auch noch ein bisschen cool auszusehen. (Politik kam dabei so nebensäch­lich wie selbstverständlich mit ins Spiel, warum, habe ich damals nicht immer kapiert, aber das war ja gerade das Aufregende.)

Ungefähr um diese Zeit habe ich mir auch Ulf Poschardts Buch über DJ-Kultur gekauft. Denn DJ-Kultur, so hatte ich das in den Neunzigern aus Zeitschriften wie Spex gelernt, war irgendwie revolutionärer als das, was in den Galerien oder auf den Straßen passierte. So jagte ich also, teilnehmend beobachtend, bekifft und begehrend, einem aufregenden, wenn auch falschen Versprechen hinterher, das sich monatsweise aktualisierte. Diese obskure Abstraktion, durch Produkte über die Welt da draußen zu sprechen, konnte durch das Taschengeld, das mir meine Eltern gaben, jeden Monat aufs Neue überprüft, weiterverfolgt und genossen werden.

Ein paar Jahre später, studierter Besserwisser und Journalist, auf Tuchfühlung und in den gleichen Formaten mit den großen Idolen, brach das irgendwie auseinander. Mittlerweile hatte ich gelernt, dass Politik kompliziert und auch nach ein paar hundert neuen smarten Kultur-Industrie-Produkten die Masse immer noch nicht affiziert war. Schade.

Deswegen hatte es was Anrührendes, als in den letzten Wochen und Monaten wieder auf einmal ganz viel über Pop und Wirklichkeit gesagt werden sollte. Aufhänger war aber nicht Pop, war nicht Spex und auch nicht die Wirklichkeit, sondern der Typ namens Ulf Poschardt, der mittlerweile ja nicht nur »DJ-Culture«, sondern auch »Über Sportwagen« geschrieben und für Jetzt und die Welt gearbeitet hat und für Kataloge zu Videoclip-Ausstellungen. Mittlerweile fühle ich mich ihm fast zu Dank verpflichtet, als Liebhaber des Theaters, immerhin ist er verantwortlich für eine der nicht immer unterhaltsamsten, aber sicher aus­führ­lichsten Luftrudereien in Sachen Pop & Politik in diesem Jahrtausend.

»Wir sollten mal wieder reden« hat er seinen Text überschrieben und dann ganz viel erzählt: Die Linke ist ja jetzt die Mehrheit, also wählt FDP. Neokonservatismus ist die Überschreitung des Konsens, bedeutet coole Haltung und eine glorreiche Zukunft für unser Land. Und, ganz was Neues: Deutschland braucht mehr Wachstum.

Warum man sich darüber so aufregte und das gleich zum Anlass einer Debatte machte? Keine Ahnung. Immerhin hat Poschardt immer schon Stil als Argument benutzt. Und Stil ist, deswegen können ihn ja mittlerweile auch die Neocons zu schön imitieren, mittlerweile von seinen politisch verbindlichen Bezügen befreit und deswegen ziemlich bedeutungslos.

Die Starpopautoren, meistens Ex-Spexler, reagierten schnell und wiesen ihn in die Schranken. Das war sicher korrekt und hin und wieder auch unterhaltsam. Highlight war sicherlich Poschardts grandios ins Leere laufende Rede im ZDF-Nachtstudio mit Moderator Volker Panzer, in dem er von Mark Terkessidis heftig angegriffen wurde.

Das war schon lustig – und gleichzeitig genauso Theater wie viele der momentanen Debatten im neuen Bundestag. Über die Krise der Repräsentation im kontemporären Machtdiskurs, ob im Parlament oder im Feuilleton, wurde sich nämlich in beiden Kontexten kaum unterhalten. Was tut man da eigentlich in diesen hermetischen Räumen, und welches Verhältnis hat das überhaupt zum Rest der Gesellschaft? Tja, Ulf Poschardt war wich­tiger.

Mittlerweile hatte sich auch Tobias Rapp in der taz eingeschaltet und sprach vom Kampf um den Nachlass von Spex, angeblichen Vatermorden an Diedrich Diederichsen durch FAZ-Redakteur Diethmar Dath; großes Pathos, wunderbar, aber leider immer noch kaum Analyse. Und was war überhaupt mit Spex passiert, auf deren Tod man sich relativ selbstverständlich einigte? Keine Antwort. Ist halt tot, hatte früher mal Bedeutung, klar. Leider fällt Spex-Lesern und -Redakteuren im Internet-Forum auch nichts anderes ein, als sich darüber aufzuregen. »Lass uns nicht von Spex reden« war Rapps taz-Text überschrieben, und dann redete er doch über Spex, aber halt nicht besonders genau. Vielleicht gar kein so schlechter Anlass, um wirklich mal über Spex zu reden.

Denn dass Spex nicht mehr so wich­tig ist, auch wenn es einige Macher immer noch nicht hören wollen, ist weder schlimm noch alleiniges Verschulden der Beteiligten. Klar könnte einiges besser laufen, könnten viele Texte schärfer, radikaler sein, sich mehr an mutig behauptenden oder kritisch analytischen Haltungen orientieren als an privatistischen Tagebuchstyles.

Dabei ist es nur logisch, dass eine heftige Krise ausbricht, wenn das, was man jahrelang predigt (»Sagt auf politische Art yes zu Pop«), in pervertierter Form zum Allheilmittel erhoben wird. Mittlerweile haben alle »ja« gesagt: Gerhard Schröder, Jürgen Klinsmann, Wir Sind Helden, die neue Deutschland-Kampagne und natürlich auch Ulf Poschardt, der sich jedoch absurderweise als Alternative zum angeblichen Konsens inszeniert. Eigentlich ist seine Position nur die logische Folge: Während sich in den funky Mittelklasse-Neunzigern alle auf den Pop warfen, müssen sich jetzt eben wieder die Neocons die besser bezahlten Ränge sichern und das als Affirmation verkaufen, was bleibt einem zwischen Hartz IV und Gloabilisierungsstress nur übrig, wenn das Geld knapp wird?

Die deutlich interessanteren Alternativen liegen aber woanders: Lasst uns, wenn schon, wieder über Gegenstände reden und danach vielleicht auch wieder über die Wirklichkeit. Zum Beispiel über die Bedingungen, unter denen das Kult-Heft entstehen konnte, fragen, wie das kam, dass die Poptheorie-Stars keine Lust mehr auf die glamouröse Mitte hatten und sich lieber all den Bereichen zuwendeten, gegen die man sich so lange eher gewehrt hatte (bürgerliche Feuilletons, Privat-Hochschulen, modernistische Kunstkontexte und -kongresse) und politisch wohl das Traurigste taten, was man tun kann: einen wichtigen Ort aufgeben. Lasst uns über die Bedingungen sprechen, warum solch ein damals selbstverwaltetes Projekt scheiterte, ob es an der Okkupation durch den Mainstream liegt (während Pop populär wurde, sanken die Verkaufszahlen von Spex), und was sich strukturell ändert, wenn alte Idealisten ein Heft an einen weniger idealistischen Verleger verkaufen.

Das wäre ein vielleicht angemessenerer Diskussionsgegenstand als das Gerede von Poschardt, würde aber jedoch einen Weg durch die ach so matschige Mitte bedeuten, mit denen sich die Etablierten aus den privilegierten Nischen das Hemd dreckig machen müssten. Das übernehmen jetzt leider eher die Leute, über die (und mit ihnen erst recht nicht) man kaum redet: neue gute Spex-AutorInnen (die soll es auch geben) oder politische Pop-Bands wie Von Spar, die man als alter Hase natürlich von vornerein als schon dagewesen und Fake dissen kann. Alles nicht revolutionär, aber vielleicht trotzdem reizvoller und wichtiger, dass ein paar Leute unter 35 auch noch was sagen und dafür in den Trümmern und der Gegenwart rumwühlen, anstatt das ganze Popding gleich entweder Aggro Berlin oder der FDP-Jugend zu überlassen.