LSD ist, was ihr draus macht

Der Drogenpapst Albert Hofmann wird 100. von johannes rosen

Hamburg, Anfang der Neunziger. Aus den hinteren Reihen des Vortragssaals kommt die Wortmeldung eines jungen Rastamanns. Er möchte Albert Hofmann noch mal dafür danken, dass der »das LSD erfunden« hat. Weil er selbst erlebt hat, wie frei man durch LSD wird. Am Rednerpult lässt Albert Hofmann seine Schultern noch ein wenig tiefer hängen und wirkt so noch kleiner als sonst. Fast scheint er hinter dem Rednerpult zu verschwinden. »Nein, nein, entdeckt«, sagt er matt, als sei er es leid, dies immer wiederholen zu müssen. Doch dann ist da plötzlich wieder dieses Lächeln des bald 90jährigen, das ihn so sympathisch wirken lässt. Im schweizerischen Akzent schickt er schließlich hinterher, dass ihm der Stoff vielleicht dabei geholfen habe, die Freiheit wieder zu entdecken. Aber sie zu bewahren, das könne das LSD sicher nicht.

Zuvor hat er etwa eine Stunde lang erzählt. Feinfühlig, ruhig. Davon, wie er als junger Chemiker für die Firma Sandoz die Entwicklung von Medikamenten zur Migräne-Behandlung angehen wollte. Selbstverständlich die Geschichte von seinem ungewolltem, dann den gezielten Selbstversuchen mit der entdeckten Substanz. Der alljährlich als ­Bicycle Day gefeierte 19. April. Nach der wilden Fahrradfahrt nach Hause sein stundenlanger Zustand in der Überzeugung, nun sterben zu müssen oder zumindest für immer dem Wahn verfallen zu sein. Das langsame Abklingen der Dröhnung und das anschließende Gefühl, dass die Dinge beseelt seien.Der große Frieden mit sich und der Welt.

Seine Zuhörer, die im Schnitt weit unter 30 sind, viel kiffen und einander oft umarmen, fühlen hemmungslos mit, bei seinen Horrorvisionen und bei seinen Schwärmereien über die Naturschauspiele im eigenen Garten. Dann die fünfziger Jahre, als er mit dem Ehepaar Wasson in Mexiko die Zauber­pilze aufspürte und wie er später an ihnen weiter forschte. Seine Begegnungen mit Aldous Huxley, zahlreiche Trips, die er mit seinem langjährigen Freund Ernst Jünger teilte.

Die nächste Frage kommt von einem knapp 20jährigen in bunter Patchwork-Baumwollhose: Was man tun soll, wenn man auf einer Party zu viel genommen hat und droht, »hängen zu bleiben«? Natürlich weiß Hofmann genau, was gemeint ist. Er war der erste, der diesen Zustand, 1943, ausgelöst durch LSD erfahren hat, im naiven Glauben, die 250 Mikrogramm seien eine geeignete Dosis zum gefahrlosen Antesten der Substanz. Hätte er gewusst, dass ihn zwar Himmel und Hölle, hingegen kaum körperliche Gefahren erwarteten, hätte er seine Begegnungen wohl so gelassen hingenommen wie später üblich. Hofmann aber konnte nicht wissen, weder von der außerordentlichen Wirkung der Droge auf Geist und Hirn noch von der unheimlichen Potenz des entdeckten Stoffes. Auf einer Party bei lauter Musik und unter vielen Menschen, da würde er es nicht empfehlen, LSD zu konsumieren, es sei viel produk­tiver, es in geschützter Atmosphäre zu nehmen.

Berichtet von seinen Entdeckungen und Erfahrungen hat Hofmann immer schon, und er hat damit den Erdball oft umrundet. Nur sein Publikum hat sich geändert, und natürlich die Formulierung der eigentlich immer gleichen Fragen.

Für ihn steht fest, dass schon die alten Griechen das Mutterkorn im eleusinischen Demeter-Kult verwendet haben. Über Hun­derte von Jahren wurden auf diese Weise unzählige Generationen eingeweiht in Zusammen­hänge zwischen Geist, Seele und Natur. Für ihn auch Beweis, dass ein produktiver Umgang mit der Droge möglich ist, wenn seine Nutzung angeleitet ist von erfahrenen Medizinmännern und das Ganze eingebunden ist in Rituale mit strengem Ablauf.

Die Albert-Hofmann-Stiftung setzt sich bis heute dafür ein, dass LSD wieder in der Psychotherapie nutzbar gemacht werden kann. Und tatsächlich gibt es einige hoffnungsvolle Entwicklungen: In den USA – dem Land, das der gründ­lichen Umdefinierung gesellschaftlicher Werte durch Beatniks und Hippies nicht mehr entgegen zu setzen hatte als die totale Prohibition von Cannabis und LSD – scheinen langsam diejenigen wieder an Bedeutung zu gewinnen, die es gezielt anwenden wollen. Vor allem bei der Behandlung von schweren Traumata wird es für effektiv gehalten. Nachgewiesen hatten dies Mediziner bis zum Ende der Sechziger zwar schon in Hunderten von Publikationen. Doch die Angst vor der Hippie-Revolution überwog, und die Lysergsäure musste fortan im Giftschrank gelagert werden.

Mythen ranken sich um LSD wie eh und je, nur ihre Qualität ist – genau wie beim Stoff selbst – erheblich schlechter geworden. Eigentlich müsste dies eine bittere Bilanz für jemanden sein, der sich die meiste Zeit seines langen Lebens dafür ein­setzte, die Mythen um die Drogen zu entschlüsseln. Der es als Gnade sieht, dass ihm die Entdeckung des LSD zuteil wurde. Doch ihn scheint es nicht negativ zu berühren, seit 60 Jahren mantrahaft eigentlich immer das Gleiche erzählen zu müs­sen.

Das allerdings hängt vielleicht auch damit zusammen, dass er selbst LSD längst als Symbol für etwas viel Größeres begriffen hat, als es eine Drogenerfahrung je sein könnte. Noch lieber als aufs Erzählen von der Drogenerfahrung verlegt sich der alte Meister inzwischen darauf, die Vorzüge der Naturbeobachtung zu preisen. Wobei es ihm auch vorher nie darum ging, einfach den Gebrauch »seiner« Droge zu propagieren, und schon gar nicht darum, sie im Sinne eines Allheilmittels möglichst weit zu verbreiten. Die Aufzeichnungen seiner Begegnungen mit Tim Leary zeugen denn auch mehr von Unverständnis denn von gegenseitigem Verstehen.

Aber es gibt sie noch, die LSD-Experten. Diejenigen, die unermüdlich Wissen ausgraben, um noch eine Runde mehr über psychedelische Erfahrungen und ihre Bedeutung für die Entwicklung der Menschheit diskutieren zu dürfen. Gern erzählen sie vom Schock, den das Establishment der sechziger und frühen siebziger Jahre durch das Zusammengehen von Bürgerrechtsbewegung, Anti-Vietnam-Protesten, Rock’n’Roll, LSD und Kiffen davon trug und von dem es sich angeblich bis heute nicht erholte. Zu Hofmanns 100. Geburtstag kommen auf Einladung der Gaia-Media-Stiftung kommende Woche in Basel rund 80 von ihnen zusammen. Und so heißt es dann in der Ankündigung des Vortrags von Eso-Opa und Ethnobotaniker Wolf-Dieter Storl: »Wie der weise Al­berich die Nano-Blume fand, die den Devas ihre Wiederkehr gewährte und die Flower-Power-Kids aus ihrem Exil in die Freiheit zurückkehren ließ.« Das Lesen solcher Texte scheint die wahre psyche­delische Erfahrung zu sein im Jahr 2006. Und wenn schon das LSD nicht mehr wirkt, scheint es immerhin nach wie vor eine große Erfahrung zu sein, sich an Albert Hofmann selbst zu berauschen.