Kollektiver Kitsch

Thesen zu Volksgemeinschaft und Geschlecht. Von Sebastian Winter

»Einheit« und »Ganzheit« beschwor Armin Mohler, der apologetische Chronist der völkischen Bewegung, als die zentralen Eigenschaften der ersehnten Volksgemeinschaft und führte 1972 in »Die Konservative Revolution« weiter aus: »Diese Worte wenden sich gegen eine Aufspaltung der Welt in zwei Teile, wobei der eine gegenüber dem andern geringer gewertet wird.«

Das Volk, das im Nationalsozialismus seine Apotheose fand und als politische Reli­gion hegemonial wurde, sollte die Aufklärung eliminieren, indem es die ihrer Dia­lektik immanente Spaltung und Herrschaft auf­hob. Entfremdungskritik und eine posi­tive Utopie trieben die völkische Bewegung um und machten sie anschlussfähig an so irritierend viele Diskurse von der Frauenbewegung über die bündische Jugend und Soldatenverbände bis hin zum ArbeiterIn­nen­milieu. Trotz aller Heterogenität blieben als unantastbares gemeinsames Fundament das große Wir der Gemeinschaft sowie die Gegnerschaft zum Egoismus und zur »Verschwörung des bürgerlichen Geistes gegen die Gesetze von Bindung und Verantwortung«, wie es die SS-Zeitschrift Das Schwarze Korps im Januar 1943 ausdrückte.

Als Gegenentwurf zum Liberalismus, in dem das bürgerliche Subjekt in seiner Zerrissenheit zwischen Kultur und Natur der Ausgangspunkt der Einrichtung der Gesellschaft gewesen sei, sollte im völkischen Denken diesen Zweck das Volk als überin­dividuelle Wesenheit stellen. Mit dieser anti­individualistischen Begeisterung gingen zwei weitere Entwicklungen einher, deren Verflechtungen und wechselseitige Konstituierung im Folgenden skizziert werden: erstens eine bemerkenswerte Veränderung in den normativen Geschlechterentwürfen und zweitens das Aufkommen des modernen Antisemitismus. Mit dieser Betrachtung soll an die Diskussion angeknüpft werden, die sich im vergangenen Jahr unter anderem um zwei Buchveröffentlichungen zentrierte: den diskursanalytisch orientierten Tagungsband »Antisemitismus und Geschlecht. Von ›maskulinisierten Jüdinnen‹, ›effeminierten Juden‹ und anderen Ge­schlech­terbildern« der Berliner A.G. Gender-Killer und die sozialpsychologische Studie »Die friedfertige Antisemitin? Kritische Theorie über Geschlechterverhältnis und Antisemitismus« der Wiener Politologin Ljiljana Radonic.

Bündische Männlichkeit

Mit der Entwicklung bürgerlicher Verkehrsformen im ausgehenden Mittelalter wurden Frauen und Männer neu in der Gesellschaft positioniert. Das agrarisch-handwerk­liche Modell des »Ganzen Hauses«, das Geschlechterdifferenz nur als quantitativen Unterschied gekannt hatte, wurde durch die Trennung von Lohn- und Hausarbeit und deren »gendering« abgelöst. Geschlech­terdifferenz verband sich mit unterschied­lichen Qualitäten von Reproduktion – hier Konkurrenz, freier Warenverkauf, tauschvermittelte Beziehungen; dort Pflege, Abhängigkeit, affektiv vermittelte Beziehungen –, und deren Charakteristika wurden in den nun dichotom gedachten Frauen- bzw. Männerkörpern verortet. Das bürger­liche, rationale Subjekt wurde als ein männ­liches entworfen, Weiblichkeit aber als Gegenpol zu Verdinglichung und Kampf, als ein Hort der Wärme und Unmittelbarkeit imaginiert. Komplementär hatten diese beiden Pole in der patriarchalen Ehe – die erst das vollständige Menschsein ermögliche – zusammenfinden sollen.

Diese Zuschreibungen veränderten sich im Kontext der völkischen Bewegung, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im deutschen Kaiserreich ihren Ursprung hatte. Sie kam zu einem Zeitpunkt auf, als das Paradigma der Vermählung der Geschlechter, untergraben von der ökonomischen Ent­wicklung, ins Wanken geriet. Im entfalteten Kapitalismus wurde Autonomie in ihrem illusionären Charakter offenbarer, und auch für Frauen der Mittelschichten erschien eine Berufstätigkeit zunehmend tolerabel. Der Patriarch verlor an Substanz, erschien vereinzelt und ohnmächtig, und seine Söhne wehrten sich mit einer zunehmenden Schärfe gegen ihren Bedeutungsverfall. Nicht zuletzt als Abwehrbewegung gegen die radikalen Teile der ersten Frauenbewegung, die die Modernisierung der bürger­lichen Familie emanzipatorisch zu wenden und Geschlechtergrenzen durchlässiger zu machen suchten, wurde die ideologische Komplementarität der Geschlechter um die Jahrhundertwende von offen hierarchisierenden Betrachtungsweisen angegriffen.

Deren Männlichkeitsentwürfe hatten wenig gemein mit dem überholten Patriarchen als Leitbild. Vielmehr zeichnete sie eine (feindliche) Übernahme »weiblicher« Eigenschaften aus, die androgyne Harmonisierung des Dualismus in einem, dem gerade dadurch revirilisierten männlichen Geschlecht. Kameradschaft, homophile, als Geborgenheit vermittelnd, liebevoll und aufopfernd beschriebene bündische Gemeinschaft sollte den von der Welt gerissenen Geist wieder mit dieser versöhnen. Nicht die strenge Würde des Vaters war mehr das Ideal, sondern – mit einem Wort Adornos – die »brother horde« aus einem Guss, die sich um einen geliebten Führer als großen Bruder versammelte. Hans Blüher, Führungsfigur der bündischen Wandervogelbewegung und Verkünder des »mann-männlichen Eros«, der die Frauen obsolet machen sollte, schrieb in den unruhigen Anfangsjahren der Republik:

»Die Männer und Jünglinge, die in einer männlichen Gemeinschaft stehen, haben das tiefe Bewusstsein, dass die Kraft, die aus ihnen durch das Leben in der Gemeinschaft entsteht, stärker ist als die zusammengezählten Kräfte der Einzelnen … Dies ist ja eben die eigentliche und zauberhafte Rolle des Eros, dass er die Berechnungen überflügelt und mit einem Schlage aus –einer Mehrzahl einzelner Menschen einen lebendigen Organismus schafft, der sein –eigenes Leben hat.« (Blüher: Die Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft, 1921)

Diese rein männliche Fundiertheit im »Dienst am Ganzen«, das Miteinanderverbundensein durch die »Belanglosigkeit des Einzelwesens«, grenzte den ganzheitlichen Geist der bündischen Männlichkeit ab gegen den von ihr verachteten Rationalismus. Weiter Hans Blüher:

»Schöpferischer Geist aber ist solcher, der in ganz enger Verschwisterung mit dem Eros schafft … Dies ist der Grund, weshalb unser Zeitalter der Technik und der Wissenschaft kein geistiges Zeitalter ist, sondern ein merkantil-intellektuelles.«

Männer im Stahlbad

Der selbstlosen Verschmelzung im Männerbund entsprach – zunehmend entfaltet und radikalisiert nach der traumatischen Erfahrung des Ersten Weltkriegs – die gepanzerte Selbstwerdung im Drill. Das autonome Subjekt wurde nicht aufgehoben, es versteinerte unter dem Stahlhelm. Doch der Mythos der Kameradschaft verband die Stahlgestalten Ernst Jüngers mit den sehnsüchtigen Jünglingen Blühers. Die Schützengräben wurden in der Erinnerung als der Ursprungsort des wieder erwachten deutschen Volkes verklärt. Dort sollte die große Gemeinschaft aus dem soldatischen Kameradschaftsgeist, dem Einssein mit der Truppe geboren worden sein. Der völkische Schriftsteller Franz Schauwecker schrieb im Rückblick auf seine Zeit als Soldat:

»Mit einem Male, wo es auf Leben und Tod geht, wo wir im Dreck waten und im Feuer liegen und Dreck, Läuse, Brot und Durst teilen – nun, da, endlich sind wir zusammen. Endlich haben wir uns gefunden, wir, die wir uns so lange nacheinander gesehnt haben … Endlich ist es soweit! Da haben wir sie, die Eine, die Unlernbare, die Unverlierbare, die Einmalige, die Na­tion!« (Schauwecker, Aufbruch der Nation, 1943)

Frauen waren in dieser Welt nicht nur überflüssig, sondern wurden als Bedrohung und Störung der männlichen Zusammengeschlossenheit empfunden. Ungebührlich aktives, gar freches Verhalten – im Krieg durch das bolschewistische »Flintenweib«, im Zivilleben durch die »ichsüchtige« Feministin verkörpert – stachelte den frauenfeindlichen Hass zu Vergewaltigung und Totschlag an, wozu zumindest an der Front reichlich Gelegenheit gegeben war.

Der Mainstream der damaligen deutschen Frauenbewegung teilte die Stoßrichtung gegen intellektuelle »Gehirndamen« und sexualisierte »Salondamen«, postulierte aber im Gegensatz zu Autoren, die Weiblichkeit als bloßer Vorstufe von Männlichkeit jede Existenzberechtigung absprachen, eine »Gleichwertigkeit der Geschlechter« in ihren getrennten Sphären, die am Erodieren waren. In der Aversion gegen egalitäre Feministinnen und »Männchen in Lackschuhen und lila Strümpfen«, so eine spätere Formulierung des NSDAP-Ideologen Alfred Rosenberg, vereint, kämpften sowohl misogyne Männerbündler als auch differenztheoretisch argumentierende Frauen gleichermaßen gegen die »Verwischung« der Geschlechterdifferenz. Beide Richtungen waren konstitutive Elemente der völkischen Bewegung und sollten somit zu Vorläufern des NS werden.

Mütter des Volkes

Während Männlichkeit und die ihr zuge­ordnete Sphäre des Politischen sich nicht mehr lediglich auf rationales Kalkül stützen, sondern im Widerspruch zu der Distanziertheit der älteren Ideale ihr Fundament im »Ganzen« finden sollten, veränderten sich auch die von vielen Frauen stolz vertretenen normativen Vorstellungen von Weiblichkeit. Die deutsche Frau galt hier, anknüpfend an die ihr in bürgerlichen Zeiten zu­geschriebene Naturnähe, – ebenso wie der Männerbund – als Ausweg aus der Abstraktheit der verkopften Gesellschaft, als organische Verbindung mit der »Volksseele« und darüber hinaus in der neu interpretierten mütterlichen Rolle auch ganz ma­teriell als Bewahrerin des ewigen »Blutstro­mes« des Volkes.

Dies wurde ausdrücklich nicht als ein Zurück zu der Mütterlichkeitsideologie des 19. Jahrhundert verstanden, aus der sich das Motiv freilich entwickelt hatte. Der Einsatz als »Mutter des Volkes« sollte die als altmodisch-sentimental empfundene, auf Personen bezogene »Mutterliebe« ablösen. Dieses völkische Frauenideal ähnelte dementsprechend keineswegs dem träumerischen »Heimchen am Herd«. Vielmehr stand zwar das Kinderkriegen weiterhin im Vordergrund, doch wurde die deutsche Mutter gesehen als selbständige, in Mutterschulungen professionell ausgebildete Frau im Dienst am Volk. Im Nationalsozialismus entsprach dieses Bild der offiziellen Propaganda der Partei und ihrer Frauenverbände.

»Wir deutschen Frauen und Mütter sind in den vergangenen Jahren durch eine harte Schule gegangen. Wir haben alle Weichmütigkeit abgelegt. Am Beispiele des Führers und seiner Soldaten hat die deutsche Frau gelernt, dass heute alles unwesentlich und nichtig ist und dass nur das Eine gilt: Deutschland!« (NS-Frauenwarte, April 1942)

Die völkischen Frauen inszenierten sich – gerade in der Betonung der Mutterschaft – als diszipliniert, öffentliche Aufgaben wahrnehmend und heroisch, als wehrhafte Produzentinnen von Soldaten, Waffen und sons­tigem Nachschub an der »Heimatfront«. »Jedes Kind«, rief Hitler in einer Rede 1934 vor der NS-Frauenschaft aus, »das sie zur Welt bringt, ist eine Schlacht, die sie besteht für Sein oder Nichtsein ihres Volkes.«

Die Mutter-Kind-Beziehung, zuvor Sinnbild von Intimität und Abgeschlossenheit, wurde zur politischen Aktion und ihr Kontrast zur militarisierten Männerwelt un­klarer. Kinder zu bekommen und zu pflegen, war der spezifisch weibliche Beitrag zum Wohlergehen der Volksgemeinschaft und wurde mit militärischen Ehren – dem Mutterkreuz, verbunden mit einer Grußpflicht für HJ-Mitglieder – honoriert.

In den radikalsten Entwürfen zeichnete die völkischen Weiblichkeitsentwürfe eine explizite Geschlechtergleichheit aus: Im Umfeld der – allerdings 1938 verbotenen – antisemitisch-frauenrechtlerischen Zeitschrift Die deutsche Kämpferin wurde die Zulassung zu sämtlichen staatlichen und militärischen Ämtern gefordert und mit mütterlicher Pflichterfüllung begründet.

Ebenso wie die Autonomie des männlichen Subjekts ging im Volk, dieser symbiotischen Gemeinschaft ohne persönliche Bindung, ihr Gegenstück, die »liebende Hausfrau und Mutter«, unter. Diese Angleichung der Geschlechter war zutiefst paradox. Sie geschah im Namen der Wiedervereindeu­tigung der Differenz, in der Feindschaft zur »Neuen Frau« und zum unsoldatischen Mann.

Die klare Aufgabenzuweisung und Petri­fizierung der Geschlechterdifferenz war eindeutiges Ziel der völkischen Bewegung und wurde im NS gegen dissidente Stimmen durchgesetzt. Hitler formulierte in der bereits erwähnten Ansprache:

»Es hat sich gezeigt, dass der klügelnde Verstand doch nur zu leicht irregeleitet wer­den kann, … und dass gerade in diesen Zeiten der tiefinnere Instinkt der Selbst- und Volkserhaltung in der Frau erwacht … Das Empfinden und vor allem das Gemüt der Frau hat zu allen Zeiten ergänzend auf den Geist des Mannes eingewirkt … Das ist ja das Wunderbare in der Natur und Vorsehung, dass kein Konflikt der beiden Geschlechter unter- und nebeneinander möglich ist, solange jeder Teil die ihm von Natur vorgezeichnete Aufgabe erfüllt.« (Hitler, Die völkische Sendung der Frau, 1934)

Doch die »neue Synthese« (A. Rosenberg) der Geschlechter wurde von den Eigendynamiken der männerbündischen Männlichkeit und der Mutterschaft fürs Volk unterlaufen: Die gemütvolle Einswerdung mit dem großen Ganzen reklamierten die hypervirilen Männer ebenso für sich, wie die hypermaternen Frauen deren diszipliniert-soldatische Verteidigung. Die intrasubjek­tive Versöhnung, die gleichermaßen voll­zogene Schrumpfung zur gepanzerten Volks­zelle, stand im Widerspruch zur Versöhnung zwischen den Geschlechtern. Es bedurfte des Anderen zur Ganzheit im Grunde gar nicht mehr. Die dauernden Querelen innerhalb der NS-Führung um die richtige Linie bei der Geschlechterordnung konzentrierten sich denn auch einerseits auf die »Verbengelung« im BDM:

»Ich empfinde es als eine Katastrophe, wenn ich Mädel und Frauen sehe – vor allem Mädel –, die mit einem wunderbar gepackten Tornister durch die Gegend ziehen. Da kann einem schlecht werden … Ich sehe es als Katastrophe an, wenn wir die Frauen so vermännlichen, dass mit der Zeit der Geschlechtsunterschied, die Polarität verschwindet.« (Himmler: Rede vor SS-Gruppenführern in Bad Tölz, 18. Februar 1937)

Auf der anderen Seite aber stand die Sorge um die »Übersteigerung« des Männerbundgedankens, der qua Lebensborn und Friedelehe die Ehefrau und Familie überflüssig bzw. zur bloßen Gebäranstalt zu machen drohte. Lydia Gottschewski, die Vorsitzende der NS-Frauenschaft, bemängelte (und wurde nicht zuletzt wegen solcher Kritik bald von der willfährigeren Gertrud Scholtz-Klink ersetzt):

»Es besteht die ernste, noch viel zu wenig beachtete Gefahr, dass durch die Idee des Männerbundes eine zwiespältige Auffassung der Liebe herbeigeführt wird, dass ›körperliche‹ und ›geistige‹ Liebe zu schärfs­ten Gegensätzen auseinanderfallen. Die Vertreter des Männerbundes haben – zu­gestanden oder nicht – die Neigung, die Bindungen zwischen Mann und Frau als minderen Wertes zu betrachten, sie vollständig in den Bereich des Rein-Kreatürlichen zu verweisen.« (Gottschewski: Männerbund und Frauenfrage, 1934)

Aber auch Himmler stellte, besorgt über die Konsequenzen der ausschließlich mann-männlichen Bindung, in seiner Tölzer Rede fest:

»Wir sind ein Männerstaat … Dieser Män­nerstaat ist aber jetzt durch Homosexualität im Begriff, sich selbst kaputt zu machen. … Wir müssen uns darüber klar sein, wenn wir dieses Laster weiter in Deutschland haben, ohne es bekämpfen zu können, dann ist das das Ende Deutschlands, das Ende der germanischen Welt … Wir dürfen die Qualitäten des Männerstaates und die Vorzüge des Männerbundes nicht zu Fehlern ausarten lassen.«

Das im NS am ehesten hegemonial durch­gesetzte Modell beschrieb einen eingefrorenen Mittelweg. Im Gegensatz zur SA, über die reichlich homophobe Zoten kursierten, und zu den homoerotischen Entwürfen à la Blüher stellte ein Kommentar zu den Ordensgesetzen der Elite- und Vorbildorganisation SS klar:

»Nun will die SS niemals ein Männerbund sein. Es wird vielmehr angestrebt, dass jeder SS-Mann sobald als möglich heiratet. In der Erkenntnis, dass die Familie die Keimzelle des Volkes ist, bekennt sich die SS zur Ehe und zum Kind … Aus dieser grundsätzlichen Einstellung heraus sprechen wir von der SS-Sippengemeinschaft.« (SS-Oberabschnitt West: Erläuterungen der Ordensgesetze der SS, 1938)

In diesem normativen Horizont und seiner Sprache und Ästhetik zeichnete sich das gesunde Liebesleben der GermanInnen durch Enterotisierung bei gleichzeitiger Harmonisierung und Enttabuisierung aus. Das Schwarze Korps druckte des Öfteren Photos nackter VolksgenossInnen (vor allem –genossinnen und Kinder) in freier Natur ab und betonte, wie wenig diese Bilder unsittlich oder anstößig seien. Auf so einen Gedanken könne nur die prüde katholische Kirche in ihrer Körperverachtung kommen. Anders noch als im italienischen Faschismus, den vom deutschen unter anderem der Machismo unterschied, sollte zwischen den deutschen Geschlechtern alle Erotik still gestellt sein. Entspannt und natürlich sollte ihr Umgang miteinander werden. Das Schwarze Korps stellte dementsprechend im Hinblick auf die Aktbilder fest:

»Nur ein Schwein wird sich dabei die Brille des Lüstlings aufsetzen, die alle natürlichen Dinge ins rote Dämmerlicht eines Nachtlokals taucht … Niemand zweifelt doch daran, dass ein fröhliches, gesundes nacktes Mädel nicht das mindeste zu tun hat mit der ausgezogenen Niggertänzerin Josephine Baker…« (Ausgabe vom 20. Oktober 1938)

Die »Kameradschaftsehe« wurde zum neuen Leitbild. In dem Buch »Kamerad und Kameradin«, das die BDM-Führung als Geschenk zur Kriegsweihnacht 1940 empfahl, wird den Jugendlichen in diesem Sinne nahe gelegt:

»Wir haben – während des Krieges – im Felde auch nicht viel von ›Kameradschaft‹ gesprochen, aber – wir wussten, dass sie da war, – wir fühlten und erlebten sie. Wir standen Schulter an Schulter, jeder an seinem Platz und wussten, dass wir uns – einer auf den anderen – verlassen konnten … Genau so – nein, noch viel schöner und noch viel tiefer kann und wird auch die Kameradschaft in der Ehe sein.« (Kinau: Kamerad und Kameradin, 1940)

Antisemitismus

Deutsche Seele und deutscher Geist, deutsche Weiblichkeit und deutsche Männlichkeit fanden zusammen im Dasein als Volksglieder und untrennbar davon im Antisemitismus. Mohlers »Einheit« und »Ganzheit« galt lediglich der in-group, außen dagegen tobte das Böse. Während die deutsche Geschlechterdifferenz im völkischen Kontext geklärt und harmonisiert werden sollte, erschien der Jude als das Prinzip der Widersprüchlichkeit schlechthin.

Drei Aspekte kennzeichneten das Bild, das von ihm gemalt wurde. Erstens ein Unklarwerden der Geschlechterdifferenz. Er sei geprägt von »sexueller Applanation«, wie der NS-Rassetheoretiker Arno Schickedanz es formulierte: als Mann verweichlicht, lüstern, gar schwul und als Rekrut lächerlich, als Frau aber berechnend, do­minant und Hosenanzüge tragend. Der Anthropologe Robert Stigler, den Schickedanz zustimmend zitierte, hatte 1920 ausgeführt:

»Doch sind auch die somatischen Geschlechtsmerkmale bei Juden auffallend häufig verwischt. Es finden sich bei Juden anscheinend besonders häufig Frauen mit relativ schmalem Becken und relativ breiten Schultern … Prof. Pilcz bestätigte nach seiner Erfahrung die relative Häufigkeit der Homosexualität bei Juden. Ganz besonders typisch ist aber das psychische Verhalten. Bei Jüdinnen findet sich mit auffallender Häufigkeit eine Verwischung der psychischen Weiblichkeit und Auftreten als unweiblich bezeichneter Seeleneigenschaften, vor allem ein Zurücktreten der spezifisch weiblichen Instinkte, der weiblichen Pas­sivität, der für Frauen typischen Hemmungen psychomotorischer Impulse (z.B. der Scheu vor öffentlichem Auftreten), wodurch sich das Überwiegen der Jüdinnen unter den politischen Aufrührerinnen erklärt … Feministische Bestrebungen finden besonders häufig bei der jüdischen Intelligenz lauten Widerhall. Weltschmerzliche Überempfindlichkeit bei männlichen Juden steht häufig unweiblichen Eigenschaften … der Jüdinnen gegenüber.« (zit. nach: Schickedanz: Ein abschließendes Wort zur Judenfrage, in: Nationalsozialistische Monatshefte, Januar 1933)

Dieser eher männerbündischen Akzentuierung stand das Bild des Juden als intellektualistischen Erfinders des Patriarchats und als der mütterlichen Erde vollständig entfremdeten Stadtbewohners gegenüber. In diesem Kontext repräsentierte er nicht die Verwischung, sondern stand gerade für die Spaltung, den Dualismus. Margarete Kurlbaum-Siebert, eine der frühen, an der Deut­schen Kämpferin orientierten völkischen Schriftstellerinnen, schrieb 1933 in einem Appell an Hitler:

»Nicht laut und nicht deutlich genug kann gesagt werden: die Herabsetzung des Weibes, seine Stellung unter die Botmäßigkeit des Mannes ist nicht wurzeldeutsch. Alle Herabwürdigung der Frau ward zuerst erklärt allein vom jüdischen Gesetz. Von dem jüdischen Mann … Niemals ward in der Weltgeschichte ein verhängnisvollerer Schritt getan. Das Weib ward vom Anteil an aller öffentlichen Volkstumwerdung aus­geschlossen, damit von jedem Einfluss auf alle Geistigkeit, damit von jeder echten und wahren Verantwortlichkeit. Da wurde die Welt zerspalten.« (Kurlbaum-Siebert: Nur das jüdische Gesetz nahm der Frau das Pries­tertum, 1933)

Drittens verkörperte der Jude das (gewaltförmige) Begehren: als Vergewaltiger, wie in jedem zweiten Stürmer-Leitartikel, oder auch, im Fall der Jüdin, als aufreizende Femme fatale. Der Frühgeschichtler Alfred Baeumler empörte sich über das Ungermanische:

»Wesentlich ist der Genuss jeder Art … Der Gefühlsuntergrund der materiellen [d.h. der »verjudeten«, SW] Kultur ist der eines dunklen, ausweglosen, nie zu befriedigenden sinnlichen Begehrens. Wehrlos fühlt sich hier der Mensch seinen Trieben ausgeliefert; … Anmutige Verzweiflung, verzweiflungsvolle Anmut ist hier der beste Fall; der schlimmste Fall ist anmutloser, gieriger Materialismus.« (Baeumler: Männerbund und Wissenschaft, 1943)

Als einem Vertreter der männerbündischen Richtung erschien Baeumler diese sinnliche Unkultur als »durch das Weib bestimmt«. Das ominöse Jüdische blieb im Gesamtphantasma aber geschlechtlich unbestimmbar – sowohl männlich als auch weiblich. Nicht einzuordnen, entwischte es jeder Kategorisierung, indem es zugleich immer ihr Gegenteil darstellte. Zygmunt Baumann traf dies – auch wenn er dabei nicht die Kategorie Geschlecht im Sinn hatte – sehr genau, als er das antisemitische Judenbild, die »Gegenrasse« als »proteisches Phänomen« bezeichnete, als »per definitionem undefinierbar – weil sie«, also die Juden des Klischees, »genau jene Kategorien sprengen, die das Geschäft der Definition betreiben sollten« (Baumann: Große Gärten, kleine Gärten, in: Werz: Antisemitismus und Gesellschaft, 1995).

Das pathetische und von Zweifeln unangefochtene Reden über die eigene Harmonie und Authentizität, Natürlichkeit und Unverdorbenheit, in dessen Sprache die Völkischen sich begriffen, war eine kitschige Maske. Ihr Pendant fand sich im Hass auf das Bemäntelte, auf jene jüdischen, sexuellen »Schweine«, die nicht verschwinden wollten. Selbstredend entsprach die Konfliktlosigkeit nicht der Wirklichkeit, weder dem realen Handeln, noch den ganz und gar nicht entspannten Wünschen und peinlichen Geheimnissen in den Köpfen der Nazis.

Ihr zu Symptomen erstarrtes, der bewussten Steuerung weitgehend entzogenes, sprachloses Ausagieren beschreiben z.B. Belá Grunberger und Pierre Dessuant eindrucksvoll am Beispiel von Hitlers sexuellen Perversionen (Grunberger/Dessuant: Narzissmus, Christentum, Antisemitismus, 2000). Und Udo Pini zeigt in seinem bilderreichen Buch über »Leibeskult und Liebeskitsch« nicht nur den aseptischen Charakter der während des NS beliebten Aktdarstellungen auf, sondern auch, wie sehr diese nichtsdestotrotz voyeuristische Interessen bedienten, worüber der Sicherdienst der SS besorgte Stimmungsberichte ablieferte (von den sehr kurzen Uniformkleidchen des BDM-Werkes »Glaube und Schönheit« ließe sich Ähnliches sagen). Die Harmonie überdeckte nur mühsam den Sexismus der Volksgenossen.

Neue Analysen

Aber was genau wurde durch die diskursiven und ästhetischen Schablonen beiseite geschoben und projektiv an den als jüdisch bestimmten Körpern festgemacht? Welchen verworfenen Impulsen dienten die antisemitischen Stereotype als Rationalisierung, als äußerer, angreifbarer Container, als Rechtfertigung, sich intensiv (in der Verfolgung) mit ihnen zu beschäftigen? Anders als die A.G. Gender-Killer in der Tradition von Klaus Theweleit nahe legt, reicht es nicht aus, die Analogie der Klischees über JüdInnen und sexualisierte Weiblichkeit zu betrachten und das in ihnen Projizierte als grenzenlose, nicht gegenderte Sinnlichkeit anzusprechen. Denn der antisemi­tische Hass zielte ebenso wie auf den »weibischen Sentimentalismus« auf den »verkopften Intellektualismus« und die seelenlose Abstraktheit.

Das Buch, das Ljiljana Radonic vorgelegt hat, beansprucht, diese beiden Seiten des Klischees in ihrer geschlechtlichen Codierung ernst zu nehmen und auf die ihnen un­terliegenden, von der Geschlechtsiden­ti­täts­genese untrennbaren Verdrängungsleistungen hin zu befragen. Die lange etwas vernachlässigten Teilstudien von Frenkel-Bruns­wik und Sanford zu den »Studies in Prejudice« des emigrierten Frankfurter Instituts für Sozialforschung aufgreifend, postuliert sie: »Die Funktionsweise und der psychische Gewinn des Antisemitismus sind bei Männern und Frauen gleich; bloß die Inhalte, welche nicht ins Bewusstsein vorgelassen, sondern verdrängt und projiziert werden müssen, unterscheiden sich entsprechend den unterschiedlichen Geschlechterrollen.«

Die Widersprüchlichkeit des Klischees soll sich also ergeben aus der zweiseitigen Projektion. Weiblich Assoziiertes werde durch Männer, männlich Assoziiertes durch Frauen projiziert. Elegant schlägt Radonic so zwei Fliegen mit einer Klappe: Erstens seien sowohl das den Juden unterstellte Männlich-Sein als auch ihr Weiblich-Sein erklärt, und zweitens die Existenz von Antisemiten so gut wie von Antisemitinnen. Allerdings bleibt Radonics repressionstheoretisches Konzept davon, wie »Frauen durch Erziehung und Umwelt weibliche Rollenvorstellungen verinnerlichen und lernen, alle Regungen zu unterdrücken, die dieser Rolle nicht entsprechen«, metapsychologisch un­zureichend.

Die Diskussion innerhalb der psychoanalytischen Theoriebildung um das Ablösungs-Paradigma kann hier weiterhelfen. »Geschlecht« ist demnach nicht einfach als Resultat sekundär verinnerlichter, repressiv wirkender gesellschaftlicher Anforderungen zu verstehen, sondern in die Individua­tion und die Bedürfniskonstitution selbst eingelassen. Die Entfaltung der Dialektik von Selbst und Anderem, Innenwelt und Realität, Berührung und Autonomie ist dem­nach hic et nunc eine, die in vergeschlechtlichten Bahnen ablaufen muss.

Nahmen ältere Ansätze im Anschluss an Freud an, dass Subjektivität nur über die eindimensionale, durch das Gesetz des Vaters erzwungene Ablösung aus dem undifferenzierten Ursprungszustand menschlicher Existenz in Form einer Entidentifizierung von der Mutter und einer Identifika­tion mit dem Vater erreichbar sei, wurden aus weniger affirmativer Perspektive die Vorstellungen von mütterlicher Verschmelzung und väterlicher Differenz als sekun­däre Phantasien – unter dem Zeichen des Geschlechterdualismus in der symbolischen Ordnung der Welt stattfindende, nachträgliche Verarbeitungen des antagonistischen Bedingungsgefüges von Autonomie und Abhängigkeit – dechiffriert. Die durch die Spracheinführung erzwungene und ermöglichte geschlechtliche »Rekategorisierung« (Irene Fast) dieser dialektischen Erfahrung positioniere Mädchen und Jungen in ihrer (handlungsleitenden) Selbst- und Weltdeutung unterschiedlich in dem Spannungsfeld.

Zu dem fundamentalen »Sexualitätsdilemma«, der »Spannung zwischen Auto­nomie (Objektfreiheit) und Abhängigkeit (Objektbindung)« (Rolf Pohl: Feinbild Frau, 2004), zu dem, was Lacan als »Mangel« beschrieben hat und was Hegel in seiner Herr-Knecht-Dialektik als die Unvereinbarkeit und doch Bedingtheit von Selbständigkeit und Unselbständigkeit fasste – zu diesem ambivalenten Erleben des Kleinkindes geben die Geschlechtsentwürfe differieren­de herrschaftsförmige Umgehensweisen vor, die Affekte und Handeln organisieren: den Autonomiewahn des Herrn als männliche, die Anschmiegsamkeit des Knechtes als weibliche Variante. Die früheren Erfahrungen ordnen und verdinglichen sich nach dem Erlernen der Geschlechterdifferenz als kulturellen Sinnstiftungsangebots in dessen Bahnen und werden entsprechend ausagiert.

Der hannoversche Sozialpsychologe Rolf Pohl zeigte diesen Vorgang fulminant für die männliche Seite auf: Das Sexualitätsdilemma wandle sich zum »Männlichkeitsdilemma«, indem für sich als Mann Unabhän­gigkeit und Unanrührbarkeit betont, das (weibliche) Objekt in der Folge aber als das Verlorene ebenso begehrt wie gefürchtet – man denke an die Angst des Herrn vor der Anähnelung an den Knecht! – werde. Sein devitalisierender Besitz schaffe nur eine notdürftige Balance, die Assimilation der Anderen an das Selbst lasse jene zusammen mit der Spannung verlöschen. Letztlich bestehe die Möglichkeit, das zunächst Abgespaltene im imaginären Omnipotenzrausch zum Teil eigener Ganzheit zu erklären und so – freilich nur illusionär – dem Dilemma zu entkommen. Die Geborgenheit im Männerbund ersetze dann die Attraktion von Weiblichkeit, und somit tendiere die männliche Autonomie immanent zum bündischen Kollektiv.

Für die weibliche Seite lässt sich Ähnliches zeigen. Das Weiblichkeitsdilemma, so wie die Psychoanalytikerin Jessica Ben­jamin es beschrieben hat, basiere umgekehrt auf der Identifikation mit der Bindung und der Absage an Aggression und Selbstbehauptung. Die Anbetung eines Märchenprinzen, der in der Unterwerfung unter ihn, durch das von ihm Besessenwerden die eigene Person wach küssen soll – der hoffnungslose Wunsch des Knechtes, vom Herrn erkannt zu werden – ist hier das paradig­ma­tische Bild. Der ganzheitliche Ausweg kann dann – nicht als Geliebte, sondern als Mutter – gesucht werden in der selbstlosen, dienenden Teilhabe am Volk und in der symbiotisch eingefärbten Kontrolle über Kinder und insbesondere Söhne, die schon als Soldaten geboren und geliebt werden.

Sowohl mit der Schablone der bündischen Männlichkeit als auch mit der militarisierten Mütterlichkeit wurden der Mangel und das Begehren, das auf ihn reagiert und Heterosexualität als prekäre Verbindung zu dem Anderen, dem Fehlenden hervorgebracht hatte, verleugnet. Während das Volk die Beziehungen zu anderen Menschen ersetzte, sollte die dilemmatische Spannung im Namen von Einheit und Ganzheit ihrer Endlösung zugeführt werden. Aus der bürgerlichen Gesellschaft erwachsen, hob der Nationalsozialismus diese negativ auf – dies gilt für die polit-ökonomische Ebene so gut wie für die Geschlechterordnung. Die erzwungene Stillstellung der Dialektik, ihre Yin-Yang-mäßige Versöhnung lief nicht nur auf die paradoxe Angleichung der Geschlechter, sondern auch auf den (psychischen) Tod des Selbst und des Anderen hinaus, wie Hegel und in seiner Nachfolge Ben­jamin es für die Extreme der Anerkennungs­dialektik beschrieben haben.

Auf den Punkt gebracht ist diese Suizidalität in einem der wohl bekanntesten (neben Treitschkes »Die Juden sind unser Unglück!«) Sätze der völkischen Bewegung: »Du bist nichts, Dein Volk ist alles!« Die SS trug den Totenkopf auch als Sinnbild der eigenen Selbstlosigkeit.

Der Jude, die »Gegenrasse« der versöhnungswütigen GermanInnen, repräsentierte mehr als nur die verbotenen, dem an­deren Geschlecht zugewiesenen Regungen, wie Radonic meint. Er wurde gehasst als Stellvertretung der unvereinseitigten und unversöhnten Ambivalenz, des Mangels und des Begehrens. Sowohl die Spaltung, als auch die Begegnung und Ähnlichkeit durch sie hindurch wurde ihm zugeschrieben. Jener Spielraum in der Spannung, das die Grenzen (von Körpern und Geschlechtern) überschreitende, queere Potenzial des Begehrens, war für die unerbittliche heil- und ruhesuchende Angleichung außerhalb der Spannung nichts als ein widerlicher Sumpf.

Horkheimer, für den »das Dilemma des Juden« nach Martin Jay darin bestand, dass er »sowohl mit der Aufklärung als auch mit ihrem Gegenteil identifiziert wurde« (Jay: Dialektische Phantasie, 1976), fasste die grausig-heile deutsche Geistesverfassung, während sie in Europa noch wütete, im Frühjahr 1944 zusammen: »In diesem Licht können wir den Faschismus als eine satanische Synthese von Vernunft und Natur beschreiben – das genaue Gegenteil jener Versöhnung der beiden Pole, von der Philosophie stets geträumt hat.« (Horkheimer: Zur Kritik der instrumentellen Vernunft, 1946)