Landesväter sind in

Die Wähler in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt scheinen zufrieden mit ihren Regenten. Linke und Rechtsextreme hatten wenig Erfolg.

Leistung, Leistung, Leistung

Wer im Schwabenland kein Auto besitzt, das er mindestens zweimal wöchentlich wäscht, mit Ortsfremden spricht oder gelegentlich gar einen eigenen Gedanken hat, erscheint der Mehrheit der Eingeborenen als armer Irrer. Wer eine Sache in Frage stellt oder evangelisch ist, gilt als Kommunist und wird für gewöhnlich am Ortseingang gelyncht. Alle anderen aber leben völlig unbeeindruckt von allem nach dem Grundsatz: Wer zuerst nachdenkt, hat verloren.

Wer so anspruchslos ist, der braucht im Grunde keine Wahl. Dennoch hat, weil man es so gewohnt ist, dort am Wochenende eine stattgefunden, bei der ein sehr akkurat frisierter Aktenschrank namens Günther Oettinger als Ministerpräsident mit 44,2 Prozent im Amt bestätigt worden ist. Seine Partei genießt dort deshalb großes Ansehen, weil sie die zwei Gesetze des Schwaben respektiert, die lauten:

1. Alle außerhalb Baden-Württembergs sind unsere Feinde, und wenn man’s genau betrachtet, gehören auch die Badischen nicht richtig zu uns.

2. Alle Arbeit ist heilig.

Günther Oettinger, dem es gelungen ist, die zwei ödesten Tätigkeiten in seiner Person zu vereinigen (Jurist, Volkswirt), und der naturgemäß »anständig verheiratet und saumäßig fleißig« (Financial Times Deutschland) ist, redet, als habe er schon als Fünfjähriger einen Zollstock verspeist und dabei den Wirtschaftsteil der Zeitung auswendig gelernt: »Der Arbeitsmarkt ist die wichtigste Baustelle der Politik.« Von so einem regiert zu werden, haben die Baden-Württemberger verdient.

Aufgrund des durch und durch Kargen und Lebensverneinenden, das er ausstrahlt und das mit viel gutem Willen auch als »kantig und technokratisch« (Deutschlandradio Kultur) beschrieben werden kann, und seiner kasernenhofkompatiblen Stakkatosprechweise repräsentiert er idealtypisch seine Wählerschaft: eine von Leistungswahn besessene Volksgruppe, die, ginge es nach ihr, noch den letzten Funken Hedonismus mit dem Schmiedehammer ausschlagen würde.

Aus seiner Obsession macht Oettinger keinen Hehl: »Eigenverantwortung steht im Zusammenhang mit dem Leistungsprinzip. Ich bin davon überzeugt, dass das Leistungsprinzip, der Anreiz, Leistungsträger zu sein (…), dass Leistung in unserm Land nicht genügend gewürdigt (…) wird. Und dass die Herausarbeitung des Leistungsprinzips bei uns überfällig ist, weil nur Leistungsträger in wachsender Zahl mit wachsendem Anreiz in der Lage sind«, ganz Deutschland in einem sinnlosen Dauerbetrieb zu halten.

Zwischendurch schlägt er schon mal vor, dass ältere Arbeitnehmer auf einen Teil ihres Gehalts verzichten sollen, da ab dem Alter von 40 Jahren die »Leistung« abnehme. Die Arbeit ist göttlicher Segen, Erfüllung des Daseins, Sinn und Lebenszweck. Ruht sie für einen Moment, lauert der Feind, die Freizeit, schon im Hintergrund, und mit ihr steigt die nackte Panik auf: »Ich stelle mit Bedrückung fest, dass wir mehr Freizeit haben als je eine Generation vor uns, mehr freie Jahre ohne Arbeit im Beruf, mehr freie Stunden in der Woche, mehr freie Tage im Jahr.« Ein Schreckensszenario. Baden-Württemberg soll stattdessen zu einem einzigen riesigen, wunderschönen Arbeitslager werden: »Ich bekenne mich ausdrücklich zum Gedanken des Leistungsprinzips (…) Machen Sie hier das Leistungsprinzip (…) zu einem Ziel, und sorgen wir dafür, dass die junge Generation mehr Leistung erbringt (…), als dies (…) in unserer Gesellschaft mit immer mehr Gleichheit und weniger Anreiz zu Mehrleistung sich ergeben und entwickelt hat!«

thomas blum

Links draußen

Nach dem Erfolg der parlamentarischen Linken bei den Bundestagswahlen 2005 folgte rasch der graue Alltag. In die Schlagzeilen gerieten Ost-Linke und West-Gewerkschafter zuletzt fast nur durch die parteieigene Kuba-Krise und die vom teilweise trotzkistischen Berliner Landesverband der Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (Wasg) verursachten Turbulenzen vor den Senatswahlen.

Bei den Landtagswahlen erzielte die Wasg in den beiden westlichen Bundesländern Ergebnisse, die sie in der Rubrik »Sonstige« verbleiben lässt und die nur knapp über ihrem Ergebnis bei der nord­rhein-westfälischen Landtagswahl vom Mai 2005 liegen. Was im vergangenen Jahr mit 2,2 Prozent ein Achtungserfolg war, ist gegenwärtig eine Enttäuschung für all jene, die von einer vereinigten Linkspartei mit Massenbasis in Ost und West träumen.

In Rheinland-Pfalz, wo die Linke bei den Bundestagswahlen in einigen Landesteilen über zehn Prozent erreicht hatte, blieb der Erfolg ebenso aus wie in Baden-Württemberg, trotz des Streiks im öffentlichen Dienst und aktiven Gewerkschaftern unter den Spitzenkandidaten. Die Diskrepanz zwischen der Mobilisierung zu den Streik- und zu den Wahllokalen ist ein Indiz für die Schwäche der sozialen Bewegungen, die Krise der Parteiform und die Defizite des DGB, der immer mehr als Lohnabhängigen-ADAC ohne politische Strahlkraft wahrgenommen wird.

Auch der drastische Rückgang der Wahlbeteiligung hatte im Westen keinen positiven Effekt für die Linke. Eine wachsende Klientel der Unrentablen, die unter den Bedingungen von Hartz IV nicht mal mehr als Konsumenten interessant sind, wählt politische Apathie statt parlamentarische Abwehrkämpfe. In ihren schlechtesten Momenten traten die linken Kandidaten als sozialpolitischer Flügel des »Exportweltmeisters« Deutschland auf, dessen Gewinne besser unter die Leute und dann als »Kaufkraft« in die Geschäfte gebracht werden sollen. Die Frage nach den Voraussetzungen und Nutznießern der katastrophalen terms of trade des Weltmarkts ging jedoch unter.

Gregor Gysi ließ am Wahlabend verlauten, diesmal hätten sich noch die »Querschüsse der Berliner Wasg« sowie der Umstand, »dass es die neue Partei der vereinigten Linken noch nicht gibt«, negativ ausgewirkt. Diese Einschätzung verschweigt, dass die Berliner »Querschüsse« auch Konsequenz der eigenen Senatspolitik sind und die »neue Partei der vereinigten Linken« vielfach erst Anhänger gewinnen muss. Erfolgreich ist die Linke dort, wo bereits ein entsprechendes Milieu existiert. In Sachsen-Anhalt ist dies traditionell der Fall, aber auch in verschiedenen hessischen Wahlkreisen, wo die Linke bei den Kommunalwahlen in Städten wie Frankfurt oder Marburg erfolgreich war.

Starke Parteien sind Ausdruck realer gesellschaftlicher Kräfte. Ob diese Kräfte aber umgekehrt von Parteien politisiert oder gar geschaffen werden können, ist fraglich. Der primäre Adressat der Linkspartei als Gegenkraft zum »Neoliberalismus« ist ohnehin »der Staat« bzw. »die Politik«, nicht die meist nur noch bonsaigroßen sozialen Bewegungen. Eine nüchterne Analyse hat also viel mehr zu leisten als die Beantwortung der Frage, warum eine linke Wahlalternative für Deklassierte sich trotz Sozialkürzungen und weiteren »Zumutungen« nur sehr zögerlich entwickelt.

richard gebhardt

Partei sucht Basis

Gewöhnlich gilt der Dreisatz: Die Wähler binden sich nicht langfristig an Parteien. Die Wähler gehen gar nicht zur Wahl. Die Chancen für Neonazis steigen. Alles das traf bei den Landtagswahlen im Südwesten Deutschlands und in Sachsen-Anhalt zu. Dennoch erlebten die rechtsextremen Parteien ein Debakel. Das bedeutet vor allem eine persönliche Niederlage Gerhard Freys und seiner politischen Firma DVU: aufwändige Postwurfsendungen, teure Plakatwerbung – alles für die Katz. Die Stimmen reichen nicht einmal für eine nennenswerte Wahlkampfkostenerstattung.

Das Konzept einer »rechten Volksfront« ist vorerst gescheitert. Der Wähler entscheidet nicht nach Inhalten, sondern nach Marken. Wer rassistisch und antisemitisch denkt, möchte das nationalsozialistische Logo eindeutig auf dem Produkt sehen und nicht dem, was er wählen will, in verschiedenen braun gefärbten Kostümen begegnen. Nur in Bayern ist das anders. Die DVU ist aber nicht die CSU der Neonazis. Sie ist trotz ihrer völkischen Ideologie nicht im sachsen-anhaltinischen Wahlvolk verankert, obwohl sie dort ihre größten Erfolge erzielte.

Die Wahlen haben die Fronten innerhalb des ultrarechten Milieus weiter geklärt. Republikaner und DVU sind out, die NPD hat sich die Hegemonie erobert. Das gilt sowohl für den Südwesten mit seinem für den rechten Rand schon immer anfälligen bürgerlichen Milieu als auch für den proletarisierten Osten.

Die NPD ist jetzt in einer heiklen Situation. Sie muss ihren Anhängern – wieder einmal – erklären, warum der Marsch durch die Institutionen nicht von Erfolg gekrönt ist. Und sie muss sich entscheiden, ob sie nur innerhalb ihrer Stammklientel auf Stimmenfang gehen will, also den Republikanern im Westen den Rest der Stimmen abzujagen und die DVU weiter so zu umarmen versucht, dass der die Luft wegbleibt. Dann blieben die Neonazis zwar ein Ärgernis, wären aber keine politische Gefahr.

Oder die NPD entscheidet sich langfristig gegen ihren militanten Flügel, wie die italienischen Neonazis vom Movimento Sociale Italiano vor elf Jahren. Dazu brauchte sie aber Verbündete, nicht nur am rechten Rand der CDU, sondern unter den Arbeitern, deren populistische Ultrarechte in den Großstädten Westeuropas oft das Erbe der Kommunisten angetreten hat. Diese Verbündeten gibt es zurzeit in Deutschland nicht. Das Wahlverhalten der Deutschen ist seit Jahrzehnten extrem stabil, trotz kurzfristiger konjunktureller Schwankungen im einstelligen Prozentbereich. Die Republikaner haben bewiesen, dass eine extrem rechte Partei, die aber von einer militanten Basis und vom nationalen Sozialismus nichts wissen will, langfristig keine Chance hat.

Die Neonazis können nur hoffen, auf Dauer in ganz Deutschland Achtungserfolge einzuheimsen, wenn sie das unter der Schirmherrschaft einer rechtspopulistischen Bewegung tun können. Der Neonazismus müsste sich dann mit der Rolle des weltanschaulichen Katalysators für Rassismus und Antisemitismus begnügen. Danach sieht es nicht aus, zumal es rechtspopulistische Politiker vom Format eines Pim Fortuyn oder Jörg Haider oder auch rundum­erneuerte Neonazis wie Gianfranco Fini in Deutschland nicht gibt.

Die Wahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt haben gezeigt, was Politik in Deutschland bedeutet: Es bleibt auch bei den Neonazis alles, wie es immer war.

burkhard schröder